Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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Es ist noch ein königlicher Befehl vorhanden, ein in Form eines Freipasses ausgestellter Brief an die Stadträte, Richter, Regidoren, Ritter, Lehnsträger, Offizialen des Landes, worin diese alle aufgefordert werden, dem Cristobal Colón, wenn er in irgendwelchen Städten, Ortschaften, Dörfern eintreffen sollte, gutes Quartier ohne Bezahlung zu geben; nur die Verköstigung sollten sie zu den üblichen Preisen berechnen dürfen. Denn er sei um wichtiger, den königlichen Dienst betreffender Dinge willen an den Hof und nach andern Teilen des Reiches beschieden worden.
Es heißt, daß er nicht nur die Gefahren und Entbehrungen des Feldzugs mit seiner Fürstin teilte, sondern bisweilen auch große Tapferkeit an den Tag legte, wie bei der Belagerung von Baza, wo die Gegenwart der Königin den Mut ihrer Ritter aufs höchste entflammte und Muley Boabdil, der König von Granada, um Frieden bitten mußte. Es war ein schlauer politischer Schachzug des maurischen Herrschers, daß er den Sultan von Ägypten bewog, eine Abordnung jerusalemitischer Mönche an die Königin zu schicken, um ihr anzukündigen, daß er das Heilige Grab zerstören und alle Christen in Syrien und Palästina werde niedermetzeln lassen, wenn sie nicht ihre Hand von Granada abzöge. Isabella, in schwerem Seelenkampf, wich der Drohung nicht, sie entließ die Mönche mit dem Versprechen, daß sie jährlich tausend Dukaten zur Betreuung des Grabes Christi an die Klosterbrüder senden werde und gab ihnen als Weihgeschenk für die heilige Stätte einen Schleier mit, den sie selbst gewebt hatte.
Bei dieser Szene sei Columbus zugegen gewesen, wird berichtet, und sie habe einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht, daß er das Gelübde tat, alle Schätze, die er aus Indien heimbringen würde, zur Ausrüstung eines Kreuzzugs nach Syrien zu verwenden, um das Heilige Grab zu befreien. So verfügte er bereits, Urbild des Don Quichote, aufs generöseste über Reichtümer, zu denen es noch keinen Weg gab und die zu erlangen er nicht die geringste Aussicht hatte.
Mit dem königlichen Freipaß in der Tasche irrt er in Spanien herum, wahrscheinlich von Schenke zu Schenke, von Schloß zu Schloß, sucht Anhänger zu gewinnen, Gefolgschaft zu finden, Stimmung zu machen, Kapital für die Ausrüstung einer Flotte aufzutreiben, verfaßt Sendschreiben, zeichnet Karten und wieder Karten, lauert mit Angst auf die Nachrichten vom Kriegsschauplatz, da Sieg oder Niederlage, wie ihm oft bedeutet worden ist, auch für seine Sache Sieg oder Niederlage bringen müssen.
Im Verlauf des rast-und planlosen Herumziehens heftet sich allerlei zweideutiges und lästiges Volk an seine Fersen, Abenteurer, Deserteure, Schiffbrüchige, Unzufriedene aus allen Ständen, ruinierte kleine Hidalgos, entlaufene Mönche, gewerbsmäßige Schmarotzer, Leute, die ihm schmeicheln, das Gefühl der Zurücksetzung und der Auserwähltheit in ihm nähren und steigern, während sie sich insgeheim über ihn lustig machen und als Gesamtheit etwas Ähnliches vorstellen, was zweihundert Jahre später individuenhaft und typenbildend in der Sancho-Pansa-Figur gloriose Gestaltung gefunden hat. Eine bestimmte Lebensbewegung erzeugt unter allen Umständen die nämliche Gruppierung von Charakteren, die nämlichen Anziehungen und Geisteslagen, und manchmal verschweißt sie sie zu einer einzigen Person. Daß die Geschichte davon so wenig zu melden hat, beweist nur, wie dumm und unoriginell sie ist und mit was für einem großlöcherigen Sieb sie eine feine Materie aufzufangen sucht.
In diese Jahre fällt die Liebesbeziehung mit einer armen Adeligen in Cordova, Beatriz Henriquez, Schwester des Pedro de Arano, den er später zum Befehlshaber der Besatzung in Española ernannte. Wie es heißt, war sie schön und hatte eine schwärmerische Teilnahme für den um mindestens dreißig Jahre älteren Mann gefaßt. Er muß ihr viel an Aufmunterung und Obsorge zu verdanken gehabt haben, in einer Periode schwerster Verdüsterung mag sie das einzige Herz gewesen sein, das er wirklich besaß, denn noch in seinem Testament empfiehlt er seinen Erben dringend, sich ihrer anzunehmen, als einer Person, gegen die er hohe Pflichten habe. »Was ich hierfür tue«, sagt er, »geschieht, um mein Gewissen zu erleichtern, denn es lastet auf meiner Seele. Es ist nicht zulässig, hier den Grund davon zu nennen.«
Warum? Weil der Bund nicht von der Kirche sanktioniert war? Es scheint so. Seine Anschauungen in diesen Dingen wurden mit den Jahren immer strenger, errungene Würde beherrschte ihn, und obschon sich hinter seinen Worten noch ein Geheimnis verbergen kann, Gewissenslast bestand durch die Illegitimität allein, und er war ganz der Mann, dem die Last zur Qual wurde. Alle katholischen Schriftsteller haben sich daher bemüht, die sittliche Verfehlung mit Schweigen zu bedecken oder das Verhältnis in ein gesetzliches umzulügen.
Die Frucht dieser Liaison war ein Sohn, Hernando, derselbe, der in einem vielfach angezweifelten Werk voller falscher Angaben und pittoresker Entstellungen das Leben seines Vaters beschrieben hat. Das Buch ist wie eine schlechte Übermalung, die das darunter befindliche Bild für immer zerstört hat.
Vermutlich haben Schwierigkeiten, die mit der unehelichen Geburt des Kindes zusammenhingen, Columbus wünschen lassen, nach Portugal zu reisen. Es müssen dort noch unerledigte Geschäfte zu ordnen oder wichtige Papiere zu besorgen gewesen sein, vielleicht war er auch des tückischen Hinhaltens müde und wollte in seiner Trostlosigkeit Spanien entweder wirklich verlassen oder mit dem Entschluß hierzu einen Druck ausüben. Er richtete ein Gesuch an den König Joan und bat um die Erlaubnis, auf einige Zeit unbehelligt in sein Land kommen zu dürfen. Damit liegt am Tage, daß seine vormalige Flucht keine freiwillige Entscheidung gewesen war. Der König, der natürlich wußte, daß der Bittsteller in Diensten der spanischen Hoheiten stand und nun bedauerte, daß er selbst diese Dienste verschmäht hatte, antwortete, er solle unbesorgt reisen; das Schreiben schloß: »Und weil Ihr zufällig von meinen Behörden wegen gewisser Vorfälle, in die Ihr verwickelt wart, bedroht seid, so sichern wir Euch durch diesen Brief zu, daß Ihr weder gefangengenommen, angeklagt, vorgefordert, noch überhaupt befragt werden sollt wegen irgendeiner Angelegenheit, sei es Zivil-oder Kriminalsache oder was sonst.«
Ob er die Reise unternommen hat, weiß man nicht. Er scheint nur Vorbereitungen getroffen und dann seine Freunde in La Rabida aufgesucht zu haben, ebenso niedergedrückt, ebenso hoffnungslos wie bei seinem ersten Aufenthalt vor fünf oder sechs Jahren. Von ihm selbst oder von seinen Anhängern wurde das Gerücht verbreitet, er wolle Spanien gänzlich den Rücken kehren und sein Glück in Frankreich und England versuchen; erschreckt durch diese Botschaft, schickte ihm die Königin ihre Bevollmächtigten nach, um die Unterhandlungen wieder anzuknüpfen. Sie hegte einen seltsam ahnungsvollen Glauben an ihn; seit sie von seinem Gelübde erfahren hatte, das Gold Indiens für die Eroberung des Heiligen Grabes zu verwenden, hatte sich diesem Gefühl eine Art frommer Dankbarkeit gesellt. Ein beweglicher Brief des Fray Juan Perez, dem sie unbedingtes Vertrauen schenkte, ließ ihr als Pflicht erscheinen, was bisher vielleicht nur Gedankenspiel gewesen war.
Sie ruft also Columbus zu sich. Sie sendet zwanzigtausend Maravedis in Guldenstücken für die Reise und Instandsetzung seiner Garderobe. Er ist in Palos bei dem Arzt Garcia Hernandez, es hat ihn in die Hafenstadt getrieben, er will das Meer sehen, es ist ihm zumute, als sei der Ozean nicht mehr da. Man händigt ihm Brief und Geld aus. Es wird für ein wohlgezäumtes Roß, anständige Diener und seidene Gewänder gesorgt. Er reitet nach Santa Fé, in der Vega von Granada, wo das Hoflager ist.
Aber was hat ihm die Königin zu sagen? Nichts. Soviel wie nichts. Er möge sich noch gedulden. Granada ist vor dem Fall, die Ungläubigen haben sich in der Alhambra eingeschlossen, jede Stunde kann die Entscheidung bringen. Man schreibt Dezember 1491. Geduld? Er hat die letzten Reste davon verbraucht. Der Hunger zwingt den maurischen König Mohamed Boabdil zur Übergabe von Stadt und Festung. Damit ist ganz Spanien von den Sarazenen befreit, achthundert Jahre nach der Eroberung. Großer Jubel im spanischen Lager, Siegesfeste, Dankgottesdienste. Darf der unglückliche Supplikant jetzt endlich Hoffnung schöpfen? Wird man ihn hören? Wird man ihm glauben? Trübsinnig und fast mit Haß blickt er auf die allgemeinen Lustbarkeiten, zuviel von seiner Lebenskraft ist aufgezehrt, der Körper ist morsch, der Geist hat die Biegsamkeit eingebüßt, die Seele ist erfroren. Er erscheint vor dem königlichen Paar, um seine Glückwünsche darzubringen,