Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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Ein Märchen, das offenbar allen Pinzons bis in späte Geschlechter schon von ihren Ammen erzählt wurde.
Palos mag auch deswegen als Ausgangshafen bestimmt worden sein, weil der Stadt während des Krieges mit den Mauren wegen eines Ungehorsams vom König die Buße auferlegt war, zwei ausgerüstete Schiffe auf zwölf Monate zur Verfügung der Krone zu stellen. Durch eine Ordonnanz vom 30. April 1492 wurde der städtische Magistrat aufgefordert, diese beiden Schiffe innerhalb zehn Tagen segelfertig zu machen und sie dem Cristobal Colón zu übergeben. Die Bürgerschaft weigerte sich jedoch, das Strafmandat anzuerkennen, es bedurfte wiederholter Befehle und strengen Eingreifens. Als Vollstrecker wurde ein Beamter des königlichen Hausmarschallamtes, Juan de Penalosa, nach Palos geschickt, der so lange, bis die Schiffe abgeliefert sein würden, zweihundert Maravedis Taggelder von der Stadt erheben sollte. Da aber weder diese Gelder bezahlt noch die Schiffe gerüstet wurden, schritt die Regierung zu gewaltsamer Requisition; so wurde die Caravelle Pinta ihren Eigentümern einfach weggenommen.
Nur die Santa Maria war ein Nao oder Vollschiff von hundertsiebzig Tonnen, nach Art der Gallionen mit vollständigem Deck; die beiden andern, die schnellsegelnde Pinta, die Bemalte, und die kleine Niña, das Kind, waren leichte Fahrzeuge mit drei Masten, in der Mitte offen, an den Enden überdeckt, zu ansehnlicher Höhe emporsteigend, mit Vorder-und Hinterkastell und Kajüten für die Mannschaft. Die Niña hatte nur lateinische Segel. Die Santa Maria wurde für die Königin gemietet, sie trug die Admiralsflagge, Colón befehligte sie selbst. Kapitän der Pinta war Martin Alonzo Pinzon, sein Bruder Vincente Yañez führte die Niña. Als Piloten wurden Sancho Ruiz, Pedro Alonzo Niño und Bartholomeo Roldan, der spätere Rebell, aufgenommen. Als königlicher Notar ging Rodrigo de Escobar mit; als Ober-Alguazil Diego de Arana aus Cordova, Oheim der Beatriz, als Generalinspektor und Vertreter der Regierung Rodrigo Sanchez aus Segovia. Der Besitzer der Santa Maria, der nachmals so berühmte Kartograph Juan de la Cosa, diente auf seinem eigenen Schiff als Maestre, Mastmeister, und der Besitzer der Pinta, Cristobal Quintero, ein Bürger von Palos, scheint als Passagier an der Fahrt teilgenommen zu haben; ihm schlossen sich einige andere Personen sozusagen als Privatabenteurer an. Ein einziger Arzt und neben ihm ein Wundarzt fanden sich bereit, die gefährliche Reise zu wagen.
Das waren Leute, die ihren Vorteil suchten, von Reichtümern träumten und für ihren Traum etwas aufs Spiel setzen wollten, mutige, seegewohnte Männer auch, die nicht leicht zu schrecken waren, für die das ungewöhnliche Unternehmen einen lockenden Reiz hatte, dann auch königliche Beamte, die im Bewußtsein der Pflichterfüllung höherem Befehl gehorchten; mit ihnen allen war aber dem neuen Admiral nicht gedient, sie machten keine Besatzung aus, sie konnten nicht die schwere Schiffsarbeit verrichten. Woher die notwendige Mannschaft nehmen? Das war von Anfang an die Schwierigkeit, denn unter den Matrosen und dem gemeinen Schiffsvolk hatte die Nachricht von der Unternehmung des Genuesen abergläubisches Entsetzen verbreitet, und es scheint eine förmliche Verschwörung bestanden zu haben, ihm den Dienst zu verweigern.
So erging ein königlicher Aufruf, daß gegen diejenigen, die sich auf den Schiffen des Capitan general Cristobal Colón anwerben ließen, jede Kriminaluntersuchung eingestellt werden sollte. Die verzweifeltste Maßregel, die zu erdenken war. In einer Ordre, gerichtet an sämtliche Gerichtsbarkeiten des Reiches, hieß es: »Ihr wißt, daß wir den Cristobal Colón beauftragt haben, in das ozeanische Meer zu schiffen. Nun sagt er, daß es, um Mannschaft für seine drei Caravellen zu erhalten, notwendig sei, den Personen, die er heuert, Sicherheit zu geben, da sie auf andere Weise nicht willens sind, mit ihm zu gehen. Und da er Uns gebeten, daß Wir die Befehle hiezu erteilen möchten, und Wir es für gut finden, so geben Wir durch Gegenwärtiges Sicherheit allen und jeden Individuen, die mit dem genannten Cristobal Colón sich zur genannten Reise nach dem genannten ozeanischen Meer einschiffen, so daß ihnen weder an ihrem Leibe noch an ihrem Eigentum irgendein Schaden oder eine Strafe zugefügt werden kann aus keinerlei Anlaß irgendeines Verbrechens, das sie bis zum heutigen Tag begangen, und solches soll für die Dauer der Reise bis zu ihrer Heimkehr und noch zwei Monate darüber hinaus Gültigkeit haben.«
Erklärlicherweise fehlte es nun an Leuten nicht; das verworfenste Gesindel meldete sich, Straßenräuber, Piraten, dem Zuchthaus entflohene, dem Galgen entsprungene Burschen, Diebe, Mörder, Münzfälscher, Gebrandmarkte aus dem ganzen Königreich. Columbus hatte keine Wahl. Er nahm sie auf. (Wer erinnert sich da nicht der grandios-lächerlichen Szene, wie Don Quichote den Galeerensträflingen die Fesseln abnimmt und ritterliche Worte zu ihnen spricht, über die sie sich lustigmachen?) Aber auch von diesem Abschaum lief ein großer Teil, kaum gedungen, wieder davon, obgleich ihnen der Sold wie auf Kriegsschiffen zugesagt und auf vier Monate vorausbezahlt wurde. Das Grauen war stärker als die Lockung, Stadt und Hafen schwelten von schlimmen Gerüchten, Trotz und Aufsässigkeit machten sich allenthalben bemerkbar, sogar die mit der Ausbesserung der Schiffe beschäftigten Arbeiter verrichteten ihr Tagewerk widerwillig, alles mußte mit den härtesten Maßregeln gegen das öffentliche Vorurteil durchgesetzt werden.
Endlich, in den ersten Tagen des August, waren alle Hindernisse überwunden und die Flotte zur Abfahrt bereit. Columbus ordnete seine Angelegenheiten, nahm Abschied von seinen Gönnern und Freunden und stellte seinen Sohn Diego, der bisher im Kloster La Rabida gewesen war, unter die Aufsicht eines Geistlichen in der Stadt Moguer; dieser sollte ihn dann an den Hof bringen, denn die Königin hatte ihn durch ein Albala oder Patent zum Pagen beim Prinzen Don Juan ernannt, eine Ehre, die sonst nur Personen höchsten Ranges widerfuhr. Um die Reise nicht mit schuldbelastetem Gewissen anzutreten, ging der Admiral mit seinen Kapitänen, Piloten und gesamten Mannschaften zur Messe, Beichte und zum Abendmahl nach La Rabida. Es waren, auf den drei Schiffen, im ganzen hundertzwanzig Personen. Columbus blieb die Nacht über im Gebet und Gespräch mit den Franziskanern, am Morgen des dritten August verließ er in Begleitung des Priors Juan Perez das Kloster und wandte sich zum Hafen. Die ganze Bevölkerung hatte sich ans Ufer des Rio Tinto begeben. Um acht Uhr gab der Admiral vom Deck der Santa Maria mit mächtiger Stimme im Namen Jesu Christi Befehl zum Lichten der Anker und Hissen der Segel.
Sechstes Kapitel.
Fahrt ins Unbekannte
Wenn Christoph Columbus derjenige Mensch ist, der nach der üblichen Geschichtsauffassung das Tor des Mittelalters zuschlug, um eine neue Welt und Zeit heraufzuführen, so ist der Augenblick, wo die drei armseligen Kähne den spanischen Hafen verlassen, sicherlich einer der epochalsten in der Geschichte der Menschheit.
Man muß sich das Ungeheure der Tatsache nur versinnlichen. Da es uns so geläufig geworden ist wie das Einmaleins, haben wir das Maß und die Anschauung verloren. Das Einzigartige ist natürlicherweise dem Schicksal verfallen, außerhalb jedes Gleichnisses zu stehen, und die heftigste Phantasie-Entzündung bewirkt manchmal etwas wie Blindheit gegenüber dem Bild, das die Veranlassung dazu war.
Nicht im Aufgeben aller bisherigen Bindungen liegt die Größe des Entschlusses, im Hintersichlassen des Gewohnten, Vertrauten, Befriedeten, von Regel, Behelf,