Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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Schwerlich hat irgendein Sterblicher jemals einen erhabeneren Augenblick erlebt als Columbus, da er auf Guanahani ans Land ging. Schwerlich auch ist jemals ein Tedeum das Vorspiel zu solchen blutigen Tragödien, zu solchen Orgien der Verfolgung und Menschenschlächterei gewesen wie das von der Besatzung der drei Admiralschiffe am 12. Oktober 1492 gesungene.
Siebentes Kapitel.
Die Indios und das Gold
Guanahani hieß die Insel; eine melodiöse Verbindung von Vokalen, wie Urlaute, kindlich, schmeichlerisch, onomatopoetisch. Sie gehört zur Gruppe der Bahama-Inseln: der Streit gelehrter Geographen hat erst spät zu der vorläufigen Feststellung geführt, daß es die heutige Watlingsinsel sein müsse. Nachforschungen an Ort und Stelle kamen nicht in Frage, es gab keine Überlieferung mehr, denn wenige Jahre nach der Entdeckung wurden die gutmütigen und zutraulichen Bewohner des ganzen Archipels wie Schlachtvieh nach Kuba transportiert, um dort nach Perlen zu tauchen oder furchtbare Zwangsarbeit in den Minen zu verrichten, so daß sie in kurzer Zeit insgesamt zugrunde gingen. Schon im Jahre 1520 fanden spanische Schiffe die ehemals blühenden Eilande vollkommen ausgestorben und wüst.
Der Admiral ruft die beiden Kapitäne sowie den Notar der Flotte zu sich und fordert sie auf, Zeugen zu sein, daß er in dieser Stunde die Insel für den König und die Königin rechtskräftig in Besitz nehme. Er zieht sein Schwert, entfaltet das kastilische Banner und entbietet die sämtliche Mannschaft, daß sie ihm als Admiral und Vizekönig den Eid der Treue leiste. Die feierliche Veranstaltung hatte er zweifellos lange vorher in allen Einzelheiten ausgedacht. Sie ist die Verwirklichung des ersten aus einer fortgesponnenen Reihe von Träumen. Ihm geschah, was unter Millionen einmal einem geschieht: Wahrwerden des heimlichsten, inbrünstigsten Traumes. Die Chronisten versichern, die Leute seien vor Begeisterung wie verrückt gewesen; sie drängten sich um den Admiral, sie umarmten ihn, sie küßten seine Hände, und die noch gestern die Widerspenstigsten gewesen, zeigten sich nun als die Demütigsten und Dankbarsten. Nicht zu verwundern. Der Explosionsgewalt dieses Moments war keine Menschenvernunft gewachsen. Es gibt Erschütterungen, unter denen die Bösen aufhören böse zu sein, die Schwächlinge nicht mehr schwach, die Trübsinnigen nicht mehr melancholisch sind, da bricht die elementare Triebnatur hervor, die alles Eigenschaftliche und auf den Zweck Gerichtete überschwemmt und verbrennt. Dieser Auswurf Europas wird sich auch nicht mit harmlosen Freudenbezeugungen begnügt haben; in ihren tollhäuslerischen Rausch mengten sich wahrscheinlich gleich die wildesten Hoffnungen, und die Brunst einer noch wesenlosen Begierde verwandelte jeden einzelnen im Nu in einen heimlichen, zu jeder Untat bereiten Verschwörer.
Ich war ein zehnjähriger Junge, als ich zum erstenmal las, wie Columbus von Guanahani »rechtskräftig« Besitz ergriff. Ich entsinne mich, daß mich der Ausdruck »rechtskräftig« so in Erstaunen setzte, daß ich tagelang darüber grübelte. In meiner Naivität fragte ich mich, wie denn das möglich sei, da doch auf der Insel bereits Menschen lebten und vermutlich von alters her. Mich erstaunte vor allem die Selbstverständlichkeit des Vorgangs, und daß sich die Spanier nicht wenigstens vorher erkundigten, ob das Land bereits jemandem gehörte. In diesem Fall schien es mir höchst seltsam, von Rechtskraft zu sprechen, und die Begriffe verwirrten sich mir. Es war natürlich eine kindliche Auffassung, ich sah es später ein, besonders da die Tatsache in allen Büchern mit der gleichen Selbstverständlichkeit berichtet wurde und ich auf keinen Menschen stieß, der mein Befremden geteilt hätte.
Der Admiral ließ die Eingeborenen um sich versammeln, und folgendes sind seine Worte über sie, die ersten, die über die blumenhaften Wesen dieser Inselwelt von einer Menschenhand niedergeschrieben wurden: »Ich erkannte, daß es Leute seien, die sich eher durch Sanftmut und Überzeugung als durch Gewalt zu unserem heiligen Glauben bekehren lassen würden, und gab darum einigen von ihnen Glasperlen und farbige Kappen und viele andre wertlose Dinge, die ihnen großes Vergnügen bereiteten und uns ihre Freundschaft schnell erwarben. Sie kamen darauf an unsere Schiffe geschwommen, brachten Papageien, Garnknäuel, hölzerne Lanzen und vieles andere, was sie gegen die Dinge austauschten, die wir ihnen boten, Spielzeug und kleine Schellen. Männer und Frauen gehen ganz nackt, sie sind schön gewachsen, haben schöne Glieder und Angesichte. Ihre Bewegungen sind zierlich, sie müssen gute Dienstboten sein, von sehr gutem Charakter, ich glaube auch, daß man sie ohne Schwierigkeit zu Christen machen kann.«
Zwei Tage später, als er sich entschlossen hatte, nach Südwesten zu steuern, wo nach den Andeutungen der Indios (so nannte er sie, da er ja überzeugt war, sich in Indien zu befinden) noch anderes Land war, berichtet er, daß beim Tagesgrauen der Strand von lauter jungen Menschen voll gewesen sei, alle von hohem Wuchs. »Es ist wahrhaftig ein schöner Menschenschlag«, beteuert er »ihre Haare sind nicht gekräuselt, sondern fallen lang herab und sind grob wie Roßhaar. Die Augen sind schön und keineswegs klein. Ihre Hautfarbe ist nicht schwarz, sondern wie die der Leute auf den Kanarischen Inseln, die Füße sind ganz gerade. Ich frug sie aufmerksam aus, um zu hören, ob sie Gold haben. Ich bemerkte, daß einige ein kleines Stückchen Gold in einem Loch tragen, das sie sich in die Nase machen, und es gelang mir, durch Zeichen zu erfahren, daß, wenn ich ihre Insel umschiffe und mich nach Süden wende, ich ein Land finden werde, dessen König eine große Menge von diesem Metall besitze. Ich versuchte sie dazu zu bringen, mich zu diesem Land zu führen, begriff aber bald, daß sie nicht wollten. (Das heißt, er hatte sich einer Anzahl von ihnen mit Gewalt bemächtigt und zwang sie zu Führerdiensten.) Das Gold, das sie in den Nasenlöchern tragen, findet sich wohl im Lande, aber ich lasse nicht danach suchen, um keine Zeit zu verlieren, denn ich will trachten, daß ich an der Insel Zipangu landen kann.«
Derselbe bezeichnende Vorgang wiederholt sich nun immer wieder. Er verläßt Guanahani, dem er den Namen San Salvador verleiht, und entdeckt eine zweite Insel, die er Santa Maria de la Concepcion nennt, eine dritte, die den Namen Fernandina, eine vierte, die den Namen Isabella erhält. Schickliche Ordnung: zuerst der Erlöser und die Mutter Gottes, dann die irdischen Majestäten. Überall begegnen ihm die Indios mit scheuer Freundlichkeit, nachdem sie die tiefe Angst vor den Fremdlingen überwunden haben, in denen sie Götter und Halbgötter erblicken. Niemals das geringste Anzeichen feindseliger Gesinnung, niemals eine boshafte Handlung, höchstens stehlen sie gelegentlich eine Kleinigkeit auf einem der Schiffe, etwas Glänzendes oder Buntes, das ihr naives Verlangen erweckt hat; damit machen sie sich dann eilig aus dem Staub, um es in Sicherheit zu bringen, sind aber, zur Rede gestellt, gern bereit, ihr ganzes Eigentum hinzugeben, wenn man ihnen nur erlaubt, das wunderbare glänzende oder bunte Ding, einen Spiegelscherben, einen Fetzen rotes Tuch, zu behalten. (Dies scheint, in allen Jahrhunderten vorher und nachher, das symptomatische Benehmen der sogenannten Wilden gewesen zu sein: der Kehricht europäischer Zivilisation, der glänzende Scherb und der bunte Fetzen reichen hin, sie in Entzücken zu versetzen und den Geist anzubeten, der dergleichen hervorzubringen imstande ist. Zweihundertsiebzig Jahre nach Columbus macht Kapitän Cook genau dieselbe Erfahrung in der Südsee.)
Ihr ganzes Gefühl gegen die Ankömmlinge ist Bewunderung und Verehrung. Uralte Sage, die in allen Stämmen von hier bis nach Mexiko, Guatemala und Peru lebendige Tradition ist, hat die Erwartung göttlicher Wesen in ihnen erregt, von Söhnen der Sonne, die aus dem Osten kommen und unermeßliche Freude und Schönheit spenden werden: ein Erlösungsmythos, der die Menschheit durch alle Formen ihres frühen Bewußtseins begleitet. »Sie dankten Gott«, notiert Columbus am vierzehnten Oktober, »warfen sich auf die Erde nieder, erhoben die Hände zum Himmel und luden uns ein, an Land zu kommen.« Aber das erste, was er am andern Morgen unternimmt, ist, einen Ort zu bestimmen, wo er eine Festung bauen kann. Etwas beschämt fügt er dem Bericht hinzu; es sei vielleicht doch nicht nötig, da die Leute in bezug auf den Krieg äußerst einfältig seien. In dieser Feststellung tritt eine nicht geringe Verachtung des zivilisierten gegen