Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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Die Gründe sind völlig rätselhaft, die ihn zu dem unklugen Brief und noch unklugeren Besuch veranlaßt haben. War es die Not, die ihn in den nächstbesten Hafen getrieben hatte, da er doch mit zerrissenen Segeln und durchlöcherten Wanten nach Cascaes kam? Aber auf einer gewissen Seehöhe hätte es nur einer geringen Kursveränderung bedurft, und er wäre ebenso rasch in einem spanischen Hafen gewesen. Warum unterließ er es? Den spanischen Nationalstolz nicht in Rechnung zu ziehen, den er durch die Bevorzugung eines fremden Hafens beleidigen mußte, war eine unverzeihliche Dummheit. Vielleicht fürchtete er, Alonzo Pinzon sei ihm in Spanien zuvorgekommen, und er wollte von Portugal aus erst Sicherheit gewinnen. Vielleicht lag ihm an einem billigen Triumph über den König Joan, der seine Dienste einst verschmäht hatte, und es lockte ihn, dort zuerst als Sieger aufzutreten, wo er die tiefste Demütigung erlitten hatte, Mensch der unaustilgbaren Ressentiments, der er war? In solchen Zügen hat man die verkrochensten Heimlichkeiten seiner komplizierten Natur zu suchen, da wirkt er bisweilen wie eine Figur von Dostojewski.
An einem Freitag war er ausgezogen, am Freitag, dem fünfzehnten März, lief die »Niña« mit der Flut über die Barre bei Saltes in das Astuarium des Rio Tinto ein und ankerte vor Palos. Die Furcht wegen der »Pinta« war unbegründet, Alonzo Pinzon war noch nicht eingetroffen, er kam erst, sonderbarer Zufall, am Abend desselben Tages und hatte Columbus nichts vom Jubel und dem Aufsehen der Welt vorweggenommen, als sei die Vorsehung selbst willens gewesen, daß er der erste sein sollte. Denn davon hing alles ab: der erste zu sein.
Gleich nach seiner Ankunft sandte er einen Boten an den Schatzmeister Santangel, zusamt dem für die Königin und den König bestimmten ausführlichen Bericht seiner Fahrt. Das Hoflager war in Barcelona, er wartete in Sevilla auf die Befehle der Majestäten. Wo immer er erschien, wurde er mit den größten Ehren empfangen, sein Einzug in Sevilla erregte unbeschreibliche Begeisterung, seinen Erzählungen lauschten hoch und niedrig mit fassungslosem Staunen. König und Königin schickten ihrem »Admiral des ozeanischen Meeres« einen der vornehmsten Offiziere ihres Hauses entgegen, um ihn in ihrem Namen willkommen zu heißen, ihm die Aufträge zur Ausrüstung einer zweiten Expedition zu überbringen und ihn einzuladen, sobald wie möglich zu ihnen nach Barcelona zu kommen.
Wunderlicher Pomp, den er auf dem Weg zu dem Herrscherpaar entfaltet. Mit den Augen eines späteren Jahrhunderts gesehen, war es ein Jahrmarktszug, eine Gauklerkavalkade, eine reisende Zirkusgesellschaft. Da man zu jener Zeit in Spanien keine Kutschen benutzen konnte, weil die Straßen zu schlecht waren, hatte sich der Admiral eine Anzahl Pferde und Maultiere verschafft. Bewaffnete Matrosen eröffneten den Zug; sie mußten den Weg durch die Volksmenge bahnen; ihnen folgten exotische Gruppen in berechneter Inszenierung, die Indios mit Kopfschmuck aus Vogelfedern, bunten Gürteln und Schürzen aus farbigen Stoffen; ihre Nasen und Ohren waren mit goldenen Behängen geziert, auch Armbänder und Halsgeschmeide hatten sie anlegen müssen. Einige trugen Speere und Ruder mit den heimischen Schnitzereien, auf den Schultern von anderen saßen gelbe, grüne, rote Papageien, deren gellendes Geschrei das Johlen und Brüllen der Menge übertönte. Was man an seltenen Pflanzen, ausgestopften Tieren, Muscheln, Spezereien und flimmerndem Gestein übers Meer transportiert hatte, wurde in riesigen Körben prahlerisch vor dem Admiral hergetragen, der wie seine Söhne Diego und Hernando zu Pferde saß. Vierzehn schwer beladene Maultiere mit geschlossenen Truhen, in denen angeblich die Kostbarkeiten des entdeckten Indien verwahrt lagen, schlossen unter sicherer Bedeckung den Zug. Sobald die ausgeschickten Eilboten meldeten, daß Colón sich der Stadt nähere, ritten ihm zahlreiche Edelleute und die Vornehmsten der Kaufmannsgilde entgegen, an ihrer Spitze der Haushofmeister des Königs, um ihn zu den Hoheiten zu geleiten. Von allen Türmen läuteten die Glocken, von allen Balkonen hingen Teppiche herab, aus allen Fenstern wehten Fahnen und Tücher, Musik und Freudengeschrei erfüllten die Straßen: der wahrgewordene Traum. Aber noch nicht sein Höhepunkt.
Denn das Ungeheure kam erst: Als sich Colón dem Throne nahte, erhob sich das königliche Paar und wollte nicht zugeben, daß er ihnen mit Kniebeugen die Hände küsse. Das bedeutete, er war nicht mehr ein bloßer Vasall, er war als Vizekönig der indischen Länder begrüßt und anerkannt. Man wies ihm einen Lehnsessel an, und er wurde aufgefordert, sich zu setzen. Eine Auszeichnung und Gnade, die ihm die Seele erstarren ließ vor Glück. Er nahm also auf dem Stuhle Platz und schaute mit weiten Augen im Thronsaal ringsherum, geblendet. Er sieht die Fürsten, Herzöge, Erzbischöfe, Ritter und Barone, die geschmückten Damen, alle Blicke sind mit brennender Neugier auf ihn geheftet, sie ahnen, daß sie etwas vernehmen sollen, was ihre innere Welt in den Fugen erschüttert, er spürt die Erwartung, den Hunger nach dem Fabelhaften, wie wird er bestehen? Genügt die einfache Wahrheit des Erlebnisses, oder muß er sie steigern, in seinen erregten Sinnen zum Wunder umschmelzen? Er beginnt zu erzählen. Die sonore Stimme steigt aus der Stille empor wie dunkler Gesang aus exotischer Nacht, die Köpfe beugen sich vor, die erlauchte Versammlung gerät in einen Zustand von Bezauberung, sie hören das Wort von der »neuen Welt«, in dieser Stunde wird der Begriff zum erstenmal geprägt, der erstaunliche Mensch selbst ist es, der die Formel findet, und sie hat in jener Stunde die Wucht und den Glanz einer himmlischen Offenbarung. Neue Welt; davon zu wissen; zu wissen, daß sie existierte, daß sie in einer meßbaren Ferne lag, erreichbar, betretbar, erschließbar. Natürlich läßt sich der Erzähler von der verschönenden Erinnerung und vom eigenen Wort und Bild zu romantischen Übertreibungen, ja zu verwegenen Unwahrscheinlichkeiten hinreißen, er kann nicht anders, wer vermöchte der Vorführung des schicksalhaften Moments zu widerstehen, es bleibt immer noch genug Wirklichkeit übrig, sogar solche, die er vorweisen kann. Ein Wink, und die Indios treten auf, wie im Theater; die Körbe werden gebracht, und er entnimmt ihnen die verschiedenen Produkte der Inseln (der spanische Geschichtsschreiber Muñoz hat es sich nicht verdrießen lassen, ein Verzeichnis davon anzufertigen): die Batatas; die Yamswurzel; den Jamaikapfeffer; die Yukawurzel; das indianische Korn; die Wolfsbohne; die Banane; den Pisang; die Baumwollstaude; den Tabak; das Mastixharz; die Aloe; die Mangrovefrucht; die Kokosnuß; den Flaschenkürbis; das Palmöl; dann die Tiere: den amerikanischen Hund; eine Kaninchenart, die Utia hieß; eine Art großer Mäuse, die bei den Eingeborenen für Leckerbissen galten; die Kammeidechse und viele Fische und Vögel. Wichtiger als alles aber das Gold; er legt vor die verzückten Augen des Hofes Gold in Körnern hin, Gold in Erzstufen, Goldstaub und verarbeitetes Gold; Münzen, Ringe, Platten, Masken, Gehänge. Es heißt, der König und die Königin geruhten eigenhändig die Schwere des Metalls zu prüfen und wurden nicht müde, den Worten des Admirals zu lauschen.
Nun bestätigte der König dem Columbus alle ihm vertraglich zugesicherten Rechte und zeichnete ihn außerdem noch in besonderer Weise aus. Es wurde ihm, seinen Söhnen und seinen Brüdern der Titel Don verliehen, den damals nur Adelige führen durften. Er hatte das Recht, an der Seite des Königs zu reiten. Er sollte an der königlichen Tafel gleich den übrigen Granden bedient und bei allen Feierlichkeiten in derselben Art begrüßt werden. Er erhielt ein Wappen, bestehend aus vier Feldern; die beiden oberen zeigten die Embleme von Kastilien und Leon, nämlich rechts ein goldenes Schloß auf rotem, links einen purpurnen Löwen auf weißem Grund; das untere Feld rechts trug eine Anzahl vergoldeter Inseln in Meereswogen, das zur Linken sollte das Wappen seiner Familie tragen; da es aber ein solches nicht gab, wurden fünf goldene Anker auf blauem Grund gesetzt. Dazu als Legende:
Por Castillo é por Leon Nuevo mundo dió Colon.
Es gibt keinen Brief, keine Mitteilung, keine Stimme, nicht die leiseste Andeutung darüber, wie sich Columbus in diesen Tagen der maßlosen Erfüllung innerlich oder äußerlich verhalten hat. Er gehörte zu jenen Menschen, die sich