Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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Liegt aber nicht in jedem Menschen das heimliche Wissen um sein Geschick, oder wenigstens um die Grundfarbe und Grundrichtung seines Lebens? Bei aller leidenschaftlichen Insichgewendetheit mußte Columbus merken, welche tückischen Mächte er durch seinen Triumph aufrührte. Vorläufig war der Glanz, der von der Entdeckung ausging, so groß, daß er auch den Neid und den Haß verstummen machte, ganz Europa geriet in unbeschreiblichen Taumel, das Bewährte wankte, tausendjährige Grenzen waren aufgehoben, Armut schien kein unbesiegliches Los mehr, es gab Raum, es gab Wege, es gab neue Erfüllungen, der Name Columbus wurde dem Bettler in Dänemark so geläufig wie dem Leibeigenen in Rußland und der Dirne in Rom, jedoch derselbe Mann hatte das Gefühl als zerstäube ihn seine Tat, als mache sie ihn wesenlos, und wenn sich Verleumdung und Eifersucht hinter ihm erhoben, trafen sie ihn zunächst gar nicht, weil die Tat zu gewaltig war, als daß sie mehr als ein Schattenbild von ihrem Urheber übriggelassen hatte.
Neuntes Kapitel.
Die mörderische Wirklichkeit
Dynastischer Streit: die Krone Portugal fand sich benachteiligt und reklamierte ihre Rechte. Durch drei päpstliche Bullen aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts war ihr der alleinige Eigentumstitel über alles Land von Kap Bojado bis nach Indien zugesprochen worden. Eine Schenkung. Rom, wenn es vorher genügend entschädigt war, verschenkte Bischofssitze, Throne, Provinzen, Erdteile und ewige Straflosigkeit. Die Macht der Kirche war im geistigen Bezirk unbegrenzt, im physischen besiegte sie alle Widerstände durch ihre geschlossene Disziplin, ihren unerschöpflichen Reichtum und die Überlegenheit ihrer Unterhändler.
König Joan erklärte, die Entdeckung und Besitzergreifung des Columbus schmälere die ihm garantierten Befugnisse, und als er vernahm, Spanien rüste eine zweite Flotte aus, säumte er nicht, so rasch wie möglich dasselbe zu tun, um den Rivalen nötigenfalls mit Gewalt an weiteren Expeditionen nach dem Westen zu verhindern. Spanien wiederum hatte sich beeilt, den Papst, Alexander den Sechsten, seinem Vorhaben geneigt zu machen und sich mit den entdeckten Ländern belehnen zu lassen. An saftigen Bestechungsgeldern wird es nicht gefehlt haben; von den indischen Goldkörnern, die der Vatikan erhielt, wurden die Gesimse von Santa Maria Maggiore vergoldet, wie eine Inschrift dort bezeugt. Am 3. Mai 1493 erging eine Bulle, worin der heilige Vater der Krone Spanien die neue Welt zu »ewigen Besitz schenkte«, mit der Bedingung, allsogleich mit der Verbreitung des christlichen Glaubens zu beginnen. Der Erdapfel wurde durch eine Meridianlinie, die hundert Leguas westlich von den Azoren vom Nordpol zum Südpol lief, in zwei Hälften geteilt, deren östliche Portugal, deren westliche Spanien zu eigen sein sollte.
Einfaches Verfahren. Aber man hatte keine wissenschaftlich verläßlichen Mittel, die Meridianabstände zu bestimmen; der Chronometer, der es ermöglicht hätte, wurde erst zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts erfunden. Portugal war unzufrieden. Es forderte, Spanien dürfe über die Canaren hinaus nicht nach Süden gehen, womit es das ganze Gebiet der heißen Zone für sich zu monopolisieren drohte. Spanien, das im Augenblick keinen Krieg führte und nach günstigen Verträgen mit Frankreich die Hände frei hatte, ließ sich nicht einschüchtern, sein Gegner wich Schritt für Schritt zurück, und nach endlosem Gefeilsche, teils mündlich, teils in wortreichen diplomatischen Noten, kam es im Juni 1494 zum Vertrag von Tordesillas, der die westlichste Insel der Capverden zum Ausgangspunkt der Zählung nahm und die Demarkationslinie nicht hundert, sondern dreihundertsiebzig Leguas (etwa 2200 Kilometer) von da aus zog. Astronomen und Piloten sollten gemeinschaftlich die Grenze bestimmen, aber dazu kam es nicht, die Aufgabe war mit den damaligen Mitteln undurchführbar, und so blieb alles in der Schwebe. Es konnte passieren, daß die Entdecker bei der Fortsetzung ihrer Fahrten nach Westen und Osten in den Meeren der Antipoden zusammenstießen und über Gebiete, die dem einen oder dem anderen Vertragspartner gehörten, in erbitterten Hader gerieten. Was später auch geschehen ist, als Karl der Fünfte in seinem unersättlichen Geldbedürfnis sich abermals mit Portugal einigen mußte und ihm für dreihundertfünfzigtausend Dukaten die Molukken verpfändete. Die Könige und großen Herren betrachteten die Erde als ihr Fideikommiß und die Menschen als Ware, mit der man einträglichen Handel betreiben konnte.
Um die zweite Expedition zu ermöglichen, nahm die Krone Kastilien beim Herzog von Medina-Sidonia eine Anleihe von fünf Millionen Maravedis auf. Die Summe genügte aber nicht und was an Geld noch fehlte, lieferte das geraubte und beschlagnahmte Eigentum der vertriebenen Juden, ihre Häuser, Kapitalien, Juwelen und gesamte fahrende Habe. Ob der Willkürakt, übrigens ein sehr gewöhnliches Ereignis in der Geschichte der abendländischen Juden, in kausalem Zusammenhang mit der Entdeckung Amerikas stand, läßt sich genau nicht sagen, wahrscheinlich ist es. Wenn die regierenden Fürsten Geld brauchten, mußten es die Juden beschaffen, konnten sie es im geforderten Ausmaß nicht beibringen, so wurde kurzer Prozeß gemacht, sie wurden der mühselig und unter den größten Demütigungen erworbenen Rechte für verlustig erklärt, was sie in Jahrzehnten, gehemmt von tausend boshaften, ja unmenschlichen Vorschriften und erniedrigenden Sonderbestimmungen mit unendlichem Fleiß und meist exemplarischer Lebensführung gesammelt hatten, wurde ihnen durch ein einfaches Edikt entrissen, und wenn sie dabei noch das nackte Leben retten konnten (in der Regel gelang dies nur einem kleinen Prozentsatz), konnten sie sich glücklich preisen. Man behandelte sie etwa wie einen ausgezeichnet funktionierenden Sparapparat, den man zerschlägt, wenn man genügend Schätze darin aufgespeichert hat. Wie die Tat des Columbus drüben in der entdeckten Welt Blutbad um Blutbad herbeiführte, war auch in der Heimat ihre unmittelbare Folge, daß Hunderttausende von friedlichen und unschuldigen Menschen von allen Existenzmitteln entblößt außer Landes gejagt und andere Hunderttausende (man nimmt an eine Viertelmillion) grausam hingeschlachtet wurden. Seltsam, dies zu denken, da es doch zunächst den Anschein hat, wie wenn es nichts Segensreicheres und Gesittung-Fördernderes geben könne, als für raumarme Völker, sei es in der Phantasie, sei es faktisch, neuen Raum zu erobern. Aber es muß wohl auf einer Art Selbstvernichtungshang beruhen, daß die Menschheit auch ihre reinsten Bestrebungen und glückverheißenden Vollbringungen in Blut und Tränen ersäufen muß. Unter der Herrschaft der Mauren waren die Juden geachtete Bürger gewesen, hohe Staatsbeamte, weltberühmte Lehrer und Gelehrte, tiefe Dichter, bedankte Mäzene, eine Zeit des Glanzes und der blühenden Entfaltung. Der spanisch-katholische Geist der Inquisition und der Pogrome machte dem mit der Rapidität und Gründlichkeit eines Eissturms ein Ende; wobei es bezeichnend und von gleichsam epigrammatischer Schauerlichkeit ist, daß die umbarmherzigste Verfolgung von einem jüdischen Mischling ausging, der sich bis zum obersten Staatswürdenträger und gefürchteten Kirchentyrannen und Priesterfürsten emporgeschwungen hatte.
Es war ein Geschwader von siebzehn Fahrzeugen, großen und kleinen, das sich im Hafen von Cadix versammelte. Das Admiralsschiff führte den Namen Marigalante und war durch seine Größe und feste Bauart ausgezeichnet. Diesmal bedurfte es keiner Repressalien und Zwangsanheuerungen; Colón konnte sich der zuströmenden Freiwilligen kaum erwehren; die nicht mitkommen durften, verfielen in eine Art Tobsucht, und manche machten in der ersten Enttäuschung ihrem Leben ein Ende, es gab offenbar ganze Schichten von Verelendeten, denen sich plötzlich ein Dorado auf getan hatte; die an der Fahrt teilnehmen durften, befanden sich in einem wahren Fieber der Erwartung, vom Kapitän bis zum letzten Schiffsjungen sahen sie sich schon mit Gold beladen heimkehren, war Gold ihr einziger Gedanke. So schrieb der Admiral in seiner hölzernen Naivität an die Königin: »Gold ist das allervortrefflichste Ding; wer es besitzt, hat alles, was er sich in der Welt wünschen kann und bringt es so weit, daß er die Seelen ins Paradies befördern kann.« Hierin liegt nicht der leiseste Unterton von Sarkasmus; dieser Geist, obschon ihm die Menschenverachtung nicht fremd ist, weiß nichts von Ironie, seine Erfahrung ist eng und linear, der Ausdruck kennt nicht die Form der Übertragung; Seelen ins Paradies befördern, das meint er, wie es gesagt ist, im Sinn der Kirche, und wenn er es vermochte, absolvierte es ihn von jeder Sünde. Die Goldraserei,