Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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Er speiste an demselben Tag mit dem Admiral, und es wird versichert, sein Benehmen sei so freundlich und unbefangen gewesen, daß Columbus den Verdacht nicht länger hegen konnte, als habe er teilgehabt an der Ermordung der achtunddreißig Kolonisten. Ein derartiges Maß von Verstellung sei unmöglich, habe er ausgerufen. Es ereignete sich aber in der folgenden Nacht, daß zehn indianische Weiber, die der Admiral von der Insel Cariba mitgenommen (in dem Bericht steht: mitgenommen, was ein mildernder Ausdruck ist für: geraubt), vom Schiffe flüchteten und, ohne daß es die Wachen bemerkten, ans Ufer schwammen. Es stellte sich heraus, daß ihnen Guacamari seinen Schutz gewährte, ja, daß er sie zur Flucht veranlaßt hatte, und als der Admiral einige Leute ans Land schickte, um sie von ihm zurückzufordern, hatte der Kazik mit sämtlichen Untertanen und all ihrer Habe das Dorf verlassen und war weit in das Innere der Insel gezogen. Bedurfte es noch eines klareren Schuldbeweises?
Die Begebenheit, charakteristisch für das Wesen der Indios wie für die Ahnungslosigkeit der ersten Eroberer im Umgang mit ihnen, ist der Auftakt eines verhängnisvollen geschichtlichen Prozesses, der mit der blutigen Vernichtung einer ganzen Rasse endete.
Von dem ersten Besuch bei Guacamari erzählt Doktor Chanca: »Wir fanden ihn in seiner Hängematte, die nach Landesbrauch im Freien aufgehängt war; sie bestand aus einem Gewebe von Baumwollgarn, gestrickt wie ein Netz. (Am Rande: das Wort Hängematte ist eine Verballhornung des indianischen ›Hanamac‹, so wie ›Orkan‹ vom indianischen ›Hourragan‹ abstammt.) Die Art und Weise der Ermordung unserer Landsleute betreffend, wiederholte er nur, was wir bereits wußten, und nachdem er seine Schilderung beendet, schenkte er dem Admiral acht und eine halbe Mark feinen Goldes, fünf-bis sechshundert bunte Steine und eine mit ebensolchen Steinen besetzte Mütze. Dann bezeigte er, fortwährend liegend, sein Beileid über den Tod der Christen und vergoß viele Tränen, er wie auch seine Diener und Anverwandten.«
Beileid, Tränen, Schluchzen; genau wie seinerzeit beim Untergang der »Santa Maria«; abgefeimte Heuchler also, die gepriesenen »unschuldigen Wilden«? So mußten die Europäer denken, die Zeugen davon waren, so haben spätere gedacht, so würden auch heutige urteilen. Doch war da etwas anderes im Spiel, das mit abschätziger Moralbetrachtung nichts zu tun hat, nämlich der sogenannte Tränengruß, ein uralter indianischer Ritus, den meines Wissens Cabeça de Vaca in seinem aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammenden Reisebericht, sehr merkwürdigen Erlebnissen unter den Völkern Floridas und Texas’, zum erstenmal erwähnt, und der erst von einem deutschen Forscher unserer Tage als eine kultische Handlung erkannt worden ist.
Columbus und seine Begleiter zogen natürlich nur die primitivsten Schlüsse. In hochmütiger Selbstbezüglichkeit maßen sie die fremde Welt, das tieffremde Leben an ihren engen Begriffen von Nutzziel und gewohntem Brauch. Konnten sie es dem nicht einfügen, so sahen sie Frechheit und Entartung darin. Gerechtes Abwägen fand sich selten, Gewährenlassen und Bemühung um Verständnis fast nie, ohne Sinn und Interesse für die innere Legitimität einer anders gearteten Daseinsverfassung war ihr einziges Bestreben deren Vergewaltigung: Christianisierung. Aber das wäre das Schlimmste noch nicht gewesen. Das Schlimmste war, daß sie diese Geschöpfe vom ersten Augenblick an als ihr Eigentum und ihre Beute betrachteten und mit ihnen verfuhren wie die Jäger mit herrenlosem Wild. Indem ich den Vergleich niederschreibe, zucke ich die Achseln über ihn, weil er zu schwach ist: Tiere behütet man gern vor dem radikalen Abschlachten, weil sie nützlich sind und man auf ihre Fortpflanzung rechnet; wozu aber sind Menschen nütze?
Columbus, der sich viel darauf zugute tat, daß er in den Indios eine Art Idealvolk entdeckt hatte, von dem er anfangs glaubte, es sei bestimmt, verlorengegangene Tugenden wieder zu Ehren zu bringen, mußte bitter enttäuscht sein, als es unwiderleglich am Tage lag, daß diese selben, von ihm so verherrlichten Wesen des vielfachen tückischen Mordes anzuklagen waren. Und wenn er ihren Ruhm auch nur zu Propagandazwecken verkündet hatte, so war ihm das doch schwerlich bewußt. Er konnte seine Meinung nicht von einer Stunde zur nächsten ändern; vor einer Tatsache zu kapitulieren war er nicht imstande; daher kam er auf den Gedanken, der für einen einfachen Menschen ganz nahe lag, den zu erfassen es für ihn aber einer komplizierten Schlußfolgerung bedurfte, daß nämlich die Ermordeten nicht ganz schuldlos an dem Schicksal waren, das sie ereilt hatte. Großartige Entdeckung. Von dem Moment an, wo er die Dinge aus diesem Gesichtswinkel beurteilte, häuften sich auch die Indizien, und die Gerechtigkeit hätte gefordert, daß der wahre Sachverhalt offiziell bekanntgegeben wurde. Das zu tun hütete sich Columbus wohl; er zog es vor, darüber zu schweigen. Es war zu unangenehm, zu peinlich, wenn man vor der frommen spanischen Welt eingestand, was sich zwischen christlichen Herrenmenschen und unwissenden Heiden ereignet hatte; höchstens ein paar dürftige Andeutungen ließen es durchblicken. Eine politische Haltung, die von allen befolgt wurde, die mit Columbus kamen, und allen, die nach ihm kamen, ausgenommen den leidenschaftlichen Freund der Indios, den Priester Las Casas.
Da es ein symptomatischer Vorgang ist, braucht es nicht viel Scharfsinn, um die Gründe zu erraten, die zur Tötung der achtunddreißig Kolonisten geführt haben. Alles ist so klar, als sähe man es in einem Spiegel. Ein Haufen Kerle, ohne Zucht, ohne Gefühl, ohne sozialen Halt; vom ersten Tag an treten sie als Fordernde auf, frech und beleidigend. Sie fordern Nahrung, sie wollen bedient sein, sie wollen es bequem haben, und wenn sie nicht blinden Gehorsam finden, wenden sie Gewalt an. Was sind denn diese Indios in ihren Augen? Tiere, gutmütige dumme Tiere, man kann sich alles gegen sie erlauben, schon deswegen, weil es keine Christen sind. Man kann sie kujonieren, denn sie lassen es sich gefallen. Sie verbeugen sich, sie lächeln, sie scheinen nichts übel zu nehmen. Man kann es sich sogar ersparen, ihnen gegenüber auf seine Herkunft, seine Religion, seine Bewaffnung zu pochen, in ihrer Kindergläubigkeit anerkennen sie diese Vorzüge demütig und unbedingt. Himmelssöhne sind fehlerlos. Nun, die Himmelssöhne wollen sich für ihre Position bezahlt machen. Man hat sie in einer fürchterlichen Ferne von der Heimat einem ungewissen Los überlassen; ungewiß ist die Rückkehr des Admirals, der Admiral selbst ein ungewisser Mann, so sollen ihnen die verachteten Wilden Entschädigung verschaffen für die Qual des Harrens und des Ausgesetztseins im unendlichen Ozean. Der Preis, mit dem sie bezahlt sein wollen, ist Gold. Wenn es ihnen auch sonst an jeglicher Phantasie für die Bewohner des Landes und seine natürlichen Bedingungen fehlt, im Hinblick auf die Möglichkeit, sich zu bereichern, sind ihre Vorstellungen maßlos. Dazu hat sie ihr Führer Columbus erzogen, das ist das einzige, worin sie ihm vertrauen, worin er ihnen Vorbild ist. Jede Geste; jeder Blick fordert Gold, jedes Wort, jede Handlung zielt darauf ab. Mit der Zeit macht sich daneben noch ein physischer Übelstand bemerkbar, und gerade der schwillt zur Katastrophe an und wird ihr Verderben. Sie sind ohne Frauen. Sie sind aber nicht gesonnen, wie heilige Mönche zu leben. Ebensowenig haben sie Lust, auf anständige Manier zu werben oder zu verhandeln, das hieße sich zu weit herablassen, sich zu viel vergeben; keine Rede davon, was man braucht, nimmt man einfach mit Gewalt und kümmert sich den Teufel um Einspruch und Klage, wozu soll man sie denn schonen, diese Wilden, sind sie doch nicht besser als das liebe Vieh, sie müssen einem noch dankbar sein, wenn man ihre hübschen Weiber für wert hält, eines Europäers und katholischen Christen Bett zu teilen, sei er auch drüben aus einem Bagno ausgebrochen. Was einzelner Übergriff war, heimliche Untat, wird allmählich Gewohnheitsverbrechen am