Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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Er hat sich nicht geirrt: das Andenken ist erhalten worden. Eines der Hilfsmittel, die dazu beitrugen, war der Bluthund. Mit historischer Genauigkeit läßt sich der Zeitpunkt nicht feststellen, in welchem die nützliche Bestie zum erstenmal in Tätigkeit tritt. Setzen wir einen Augenblick aus, um Atem zu schöpfen. Der Hetz-und Schweißhund, perro corso, wurde, zur bequemeren Erlegung des indianischen Wildes, gewöhnlich losgelassen, wenn die Indios zu fliehen begannen. Er fiel ihnen dann mit gieriger Wut in den Rücken, riß sie zu Boden und zerfleischte sie. Auf diese Weise gewann die Jagd einerseits an Ergötzlichkeit, andererseits steigerte sie das sinnlose Entsetzen der Gejagten und brach den letzten Rest ihres Widerstands. Bei derart erwiesener Dienlichkeit zögerte der Admiral auch nicht, ganze Koppeln der Tiere aus Spanien kommen zu lassen; einzelne, z. B. der Hund Berçerrico, erlangten als Würger eine gräßliche Berühmtheit und wurden zu Stammvätern von Geschlechtern, denen besondere Meisterschaft im Aufspüren und Zerreißen der Indios zugeschrieben wurde und die deshalb hoch im Preise standen. »Seht nur darauf, daß die Gerechtigkeit nicht verletzt werde.«
Wenn aber Don Quichote zum Wüterich wird, hört er auf, Don Quichote zu sein. Nur eins oder das andere kann er sein, beides nicht. Oder weiß Don Quichotes linke Hand nicht, was die rechte tut? Ist seine Seele so hoch gespannt, sein Geist so in die fixe Idee verfangen, daß er das Maß für die nahen Dinge verliert und ihm das Kleine groß, das Gute schlecht erscheint und umgekehrt? Ist das der Einfluß und die Wirkung Sancho Pansas? Denn Sancho Pansa ist immer an seiner Seite, ohne ihn ist er nicht vorstellbar, und Sancho Pansa ist ein listiger und erfahrener Mann, der sich auskennt im Leben und sein Geschäft versteht. Das Urbild freilich ist ein gutmütig-einfältiger Bursche, der keiner Fliege weh tun könnte; doch er ist verwandlungsfähig, die Zeitalter modeln ihn, die Umstände treiben ungeahnte Talente aus ihm hervor, die Welt ist voller Sancho Pansas, in allen Jahrhunderten, in allen Berufen und Ständen findet man sie, in allen Altern. Wohin das Schicksal ihn stellt und welche Gestalt er annimmt, eines Bauern, eines Landsknechts, eines Kleinbürgers, eines Vagabunden, eines Höflings, eines Beamten, eines Haudegen, stets wird er die Schwächen auszunützen wissen, die der jeweilige Don Quichote, an dessen Fersen er sich heftet, ihm darbietet. Denn wirklichkeitslos wie Don Quichote ist, läßt er die Wirklichen, die Tatsächlichen, die Nutznießer gewähren, und indem er sie für seine Kreaturen hält, schalten sie mit ihm nach ihrem Belieben, haben sie doch nur nötig, ihn in seinem Wahn zu befestigen und seine Einbildungen zu nähren.
Es ist eine undankbare und meist vergebliche Arbeit, Vorgänge, die sich in weit zurückliegender Vergangenheit abgespielt haben, sozusagen auf ihren chemisch reinen Wahrheitsgehalt zu prüfen. Wie Bauten in Schutt und Trümmer zerfallen, so auch Ereignisse, was übrig bleibt, ist roher Umriß, der höchstens über Dimension und Proportion Aufschluß gibt, selten darüber, was an der Form lebendig, ursächlich und zeitbedingt war. Das muß durch Vergleichung und innere Anschauung festgestellt werden und durch die Folge, die es im weiteren Verlauf gehabt hat. Noch schwieriger ist der Mensch aus der Historie herauszuschälen, sein wahres Antlitz verliert sich hinter tausendfachem Hörensagen, Umkrustung mit Gleichartigem, hinter der Willkür der Erfinder und Entsteller, hinter Mißverständnis und Anekdotenbildung. Neben eine Überbelichtung schiebt sich unaufhellbare Dunkelheit, das wichtige Private zerfließt, und die verästelten Züge des täglichen Lebens werden grob vereinheitlicht, um sie dem Schauplatz und der Rolle anzupassen. Hab ich doch Mühe, den Menschen, der mit und neben mir lebt, zu erkennen, er braucht nur einmal das Unerwartete zu tun, so muß ich mein ganzes Urteil über ihn revidieren (mit Menschen zu sein, heißt überhaupt nichts anderes als beständig Urteile revidieren); bei einer geschichtlichen Person, zumal einer von hohem Rang, gibt es, um nicht heillos in die Irre zu gehen, nur den einen Weg, sie aus der Vision neu zu erschaffen.
Keine Frage, Columbus ist in die Hände seiner Kreaturen geraten. Da erst wird er schuldig, von Schritt zu Schritt schuldiger. Nur ganz starke Persönlichkeiten, deren Handlungen unmittelbar aus ihrer Natur fließen, können sich dem Druck entziehen, der von der Umgebung ununterbrochen auf ihren Willen ausgeübt wird. Columbus’ Verhängnis war, daß er eine Figur darzustellen hatte, deren Eigenschaften er nicht besaß. Er war ein phantastischer Schwärmer und sollte ein Gebieter, ein Herr, ein Verwalter sein. Er war ein Mensch der Traum-und Wahnwelt, vielleicht hatte er sogar die Gabe der Versenkung, sicher die der Selbststeigerung, und war an einen Platz gestellt (für den er sich auch auserwählt glaubte), wo er eine harte, gefahrvolle, nüchterne Wirklichkeit hätte meistern sollen. Um nun nicht kläglich zu scheitern, war er genötigt, das zu spielen, was er scheinen wollte, und wird eine Rolle nur gespielt und nicht gelebt, so wird sie auch schon übertrieben und verzerrt. Alles weitere vollzieht sich zwangsläufig; er verfällt dem Schmeichler und will dessen anderes Gesicht nicht sehen, obschon er davon weiß; er kann den Gierigen nichts verweigern, wagt die Rechtsbrecher nicht zur Verantwortung zu ziehen und tritt nur dort mit Entschiedenheit auf, wo er nicht für sein Amt und seine Würde zittern muß, von denen er, bei allem Bestimmungsdünkel, im tiefsten Innern weiß, daß sie ihm nicht zukommen, weil er ihnen nicht gewachsen ist. Er ist nicht daran gewöhnt, daß jedes Tun eine so unbarmherzige Folge hat, sein früheres Leben in der Welt der Vorstellung war unter einen viel weiteren Bogen gespannt, plötzlich wankt alles um ihn, und er, der sich nur halten, nur feststehen will, greift nach Stützen, die unter ihm brechen, oder nach Menschen, die ihn verräterisch herunterstoßen. Fast wie der geniale Einfall eines Dichters wirkt es (Shakespeare hat etwas Ähnliches in der Gegenüberstellung von Hamlet und Horatio verkörpert, im übrigen ist ja das Schicksal ein noch größerer Dichter als Shakespeare), daß Columbus, als er seinen Bruder Bartolomé auf die zweite Reise mitnahm und ihn zum Statthalter machte, einen Mann zur Folie und zum Widerspiel neben sich setzte, der ihn in gewissem Sinne ergänzte und ihm seine Mängel veranschaulichte, denn dieser Bartolomé Colón hatte eine schwere Faust und einen eisern-unbeugsamen Willen, er war genau der, der Christoph Columbus hätte sein müssen, um die tobende Welt zu bändigen, in die er als irrender Ritter verschlagen war. Aber die rücksichtslosen, ja grausamen Versuche Bartolomés, des Unwesens Herr zu werden, warfen nur ein um so grelleres Licht auf die Schwäche des andern und gaben beide dem Haß der gebürtigen Spanier preis. Man war nie gut zu sprechen gewesen auf den »Ausländer«, den landflüchtigen Italiener, den die Zufallsgunst mit unverdientem Lorbeer bekränzt hatte, und in dem Wunsch und Vorsatz, ihn wieder in das Dunkel zu stürzen, aus dem er gekommen war, fanden sich alle einig, vom letzten Goldgräber bis hinauf zum Bischof Fonseca und zum König Ferdinand.
Er braucht sich nur aufzuraffen und dem schwülen Dunstkreis den Rücken zu kehren, wo Ehrgeiz, Habsucht, Enttäuschung und Ausschweifung alle Fesseln sprengen, und er ist wieder der schweifende Seefahrer, der fabel-und wundergläubige Adept, der, immer noch, die Insel Zipangu und das Reich des Großchans sucht. Es wird eine Szene überliefert, unvergleichlich in ihrer Art, paradox und komödienhaft, in der sich sein Bild am reinsten als das eines Menschen spiegelt, der von den wahren Tatbeständen und Zusammenhängen überhaupt keine Notiz nimmt, der die Dinge so darstellt, wie er sie haben möchte und wie sie seiner vorgefaßten Idee entsprechen.
Nachdem er die nötigen Sicherheitsmaßregeln für Española getroffen und einen trügerischen Zustand von Ruhe geschaffen hatte, ging er im April ‘94 mit einigen leichten Karavellen unter Segel, um neue Entdeckungen zu machen und den Ostrand von Asien zu finden. Daß die Länder, die er bis jetzt kennengelernt, etwas anderes sein könnten als Teile von Indien, darüber ist ihm nicht der leiseste Zweifel aufgestiegen. Wenn andere einen solchen Zweifel auch nur schüchtern zu äußern wagen, weist er sie mit glühendem Zorn zurück und erachtet dies für