Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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Endlich konnten die Schiffe den Hafen verlassen. Vielen der Zuchthäusler, die ihre Bemannung ausmachten, wurden erst auf hoher See die Arm-und Beinfesseln abgenommen, und wennschon Columbus Gott danken mochte, daß er das gehaßte Europa und seine hassenswerte Menschheit wieder einmal hinter sich gelassen hatte, von diesem Schauspiel wird er wohl die Augen abgewendet haben, und es wird ihm angst und bang geworden sein, vor sich, vor seinem Dämon, vor seinem Werk.
Was galt es noch zu tun? Worin bestand die tiefe Unrast? Was trieb ihn wieder und wieder auf die andere Seite des Erdballs? Weil es seine Welt war, ihm zu eigen, von ihm gefunden? Oder fühlte er, daß die Aufgabe nicht erfüllt, das Ziel nicht erreicht war? oder gar, daß er einer jener tragischen Betrogenen des Schicksals war, die das Ziel nicht sehen, auch wenn sie es mit Händen greifen? Wir dürfen ihm nicht mehr Erkenntnis zuschreiben als das Zeitalter den Menschen ermöglichte, und was von Instinkt in ihm war, hörte zu wirken auf, sobald seine Person ins Spiel kam. Er war ein Bild ohne Gnade, er wußte nichts von innerem Frieden, die ungeheure Tat, die er vollbracht, zeichnete ihn wie den Mörder die Schuld. Blind befuhr er die Meere, betrat er die jungfräulichen Länder, immer auf anderes sinnend als auf die Forderung der Stunde; keiner Gegenwart gewachsen, kein Antlitz wissend, keines Menschen Herz besitzend, dunkel in sich vergraben, landflüchtig und freudlos.
Auf der Insel Cuba hatte er seine Leute schwören lassen, daß sie sich auf dem Festland befänden, und als er im Juli 1498 auf der Tierra di Gracia zum erstenmal den Fuß auf den amerikanische Kontinent setzte, leugnete er diese Tatsache rundweg ab und erklärte das Land für eine Insel. Seit er die transatlantischen Fahrten begonnen, war es seine Sehnsucht und sein geheimes Trachten gewesen, das Paradies zu finden, worin das erste Menschenpaar gelebt. Seine astrologischen und magischen Studien hatten ihn dazu geführt, es auf eine Insel im indischen Meer zu verlegen, es war eine theologische Konstruktion, jeder Anschauung fern, von lebendiger Phantasie nicht befruchtet. Kaum war er dort, an der Küste von Paria, gelandet, so verkündete er: Dies ist das Paradies des Alten Testaments, kein Einwand vermag in der Folge seinen Glauben zu erschüttern. Er hat es nicht betreten, er wagt es nicht, es ist zudem auf einem hohen Berg gelegen, aber auch dieser Umstand, neben der Süßigkeit der Luft und der üppig wuchernden Vegetation der umgebenden Landschaft, bestärkt ihn in seiner Überzeugung. »Denn die Erde ist nicht rund«, schreibt er in seinem Bericht, »sondern sie hat an der Stelle, wo Indien unter dem Äquator an den Ozean grenzt, eine steile Erhebung. Als unser Herrgott die Sonne schuf, stand sie aufgangsbereit am höchsten Punkt der Erde im äußersten Osten. Und dieser höchste Punkt, als der himmelnächste, muß auch der trefflichste sein. Obwohl nun Aristoteles behauptet, der Südpol sei der höchste Punkt, und andere Gelehrte wieder versichern, der Nordpol sei es, ist meine Ansicht dagegen, daß es der Äquator ist. Daran dachte keiner bis jetzt, was mich nicht wundert, da man, ehe Eure Hoheiten befahlen, diese Länder und Meere zu erforschen, nur eine sehr geringe Kunde von ihrer Beschaffenheit hatte.«
Der bare Gallimathias. Aber er läßt nicht locker, mit der Konsequenz eines Wahnsinnigen verfolgt er den Gedanken weiter: »Das Paradies liegt an einem Ort, wohin niemand gelangen kann als durch den göttlichen Willen. Es hat die Form eines Berges, vielmehr, es befindet sich auf einem Gipfel, der dem Stielende einer Birne oder einem Ball mit der Warze einer Weiberbrust gleicht, und um diese Warze schwillt die Erde auf und nähert sich dem Himmel. Das sind sichere Anzeichen des Paradieses, die genau mit den Beschreibungen der Heiligen und der verständigen Gottgelehrten übereinstimmen.« Das Phänomen, daß der Orinoko bis weit hinaus in den Ozean das Salzwasser verdrängt, gibt ihm gewaltig zu schaffen; die einzige Erklärung, die er findet, ist die, daß der Fluß aus dem Paradies kommt und somit übernaürliche Eigenschaften besitzen muß: »Nachdem ich die Mündung verlassen hatte«, schreibt er, »wurde die Meeresströmung so stark, daß ich bei mäßigem Wind von der Frühmesse bis zum Abendgebet fünfundsechzig Meilen zurücklegte, woraus hervorgeht, daß man gegen Süden bergauf, gegen Norden aber bergab fährt.«
Viel evidenter, dünkt mich, geht aus der Schlußfolgerung hervor, daß er nicht fähig war, eine Erfahrung zu machen und eine Beobachtung auf ihre natürliche Ursache zu prüfen. Der Überschwang des Entzückens, in den ihn die Tierra di Gracia versetzte, erhält eine eigentümliche Beleuchtung durch den Umstand, daß er während der ganzen Zeit seines Aufenthalts durch ein schweres Augenleiden am Sehen verhindert war. Er hätte sonst vielleicht nicht so viel gesehen. Die hektische Glut seines Willens macht alle seine Träume wahr und gibt jedem Wahn eine praktikable Gestalt.
Man muß sich fragen, was ihn zu dem Entschluß getrieben hat, so weit nach Süden zu steuern, die ihm bekannten Meere zu verlassen und sich trotz seines Siechtums und seiner seelischen Niedergeschlagenheit neuerdings dem Ungewissen anzuvertrauen. Einer der Gründe liegt auf der Hand: Er wollte endlich das Festland von Asien und die wunderbare Insel Zipangu erreichen, das ursprüngliche Ziel; der andere ist in dem Aberglauben der Zeit zu suchen, daß dort, wo die Sonne am heißesten brennt, die größten Schätze der Erde an edlen Metallen, Perlen, Gewürzen und Spezereien sein müssen. Es gibt ein Gutachten eines gewissen Mossen Jaimen Ferrer, angesehenen Mineralogen und Steinschneiders, das die Hypothese mit scholastischer Gründlichkeit und Zitaten aus den Schriften Cäsars und der Apostel verficht. Der berühmte Peter Martyr, Zeitgenosse des Columbus, ruft den Seefahrern zu: »Gen Süd! Gen Süd! Wer Reichtümer finden will, darf nicht in die kalten Regionen des Nordens gehen.«
Allein bei alledem ist es nichts Sagbares und Rationales, was diesen ahasverischen Menschen von Aufbruch zu Aufbruch hetzte. Es ist sein Verhängnis und sein Gesetz. (Auch dies könnte für sein Judentum sprechen.) Obschon er einerseits die Epoche nicht wie eine lebende Person, sondern fast wie ein Paradigma verkörpert, haftet andererseits seinem Wesen etwas Chaotisches an, und das Chaotische verursacht, daß in ihm, wie einzelne Sterne im Äthernebel, alle die nach ihm kamen charakterologisch und motorisch gleichsam schon enthalten sind, all jene Abenteurer, Eroberer, Wegesucher, Reichegründer, jene columbischen Diadochen, wie man sie heißen könnte, denen es auf eine verzweifelte oder heroische Weise gelungen ist, ihren Namen auf die Tafel der Unsterblichkeit zu schreiben, meist mit blutigem Griffel: die Alonzo de Ojeda, Pedro Niño, Sebastian Cabot, Fernando Cortez, Nuñez Bilbao, Fernando Magalhães, Franzisco Pizarro: Es ist nur eine kleine Auslese derer, die das Leben von Menschen nicht höher achteten als das von Käfern und ihr eigenes dazu. Überall hausten sie wie die leibhaftigen Teufel. Nicht um jene Ziele zu erreichen, die sie erreicht haben und für die sie dann in den Geschichtsbüchern gepriesen werden, sondern um ihre elementare Energiespannung zu entladen. Ohne die Entdeckung des Columbus wären sie wahrscheinlich an Raummangel erstickt oder hätten in ihrer Willensraserei alles Bestehende in Trümmer geschlagen.
Zweifellos war es eine magische Gewalt, die Columbus immer wieder nach Española zog, wie sehr ihn auch der Westen und das nahvermutete Land des Großchans lockten. Sein Herz hing an Española. Je toller es dort zuging, je greuelvoller die spanischen Einwanderer wüteten, je vergeblicher seine Anstrengungen waren, Ordnung zu schaffen, und je öfter er die niederschlagende Erfahrung machte, daß seine Anwesenheit die Wirren nur vermehrte und sogar die wenigen Friedfertigen zu Aufruhr und Zwistigkeit reizte, desto unwiderstehlicher zwang es ihn an den verhexten Ort, als sei etwas Diabolisches in ihm, das nach dem Anblick des Zusammenbruches, dem Schauplatz dieser Menschenhölle in dem ehemals so zauberisch schönen Bezirk mit aller Heftigkeit verlangte. Er hielt Española für ein ihm von Gott besonders bestimmtes und zugewiesenes Fideikommiß, sein Krongut gleichsam, und die blutige Verwüstung, der es durch die zügellosen Horden der beutegierigen Kolonisten ausgesetzt war, schnitt ihm in die Seele. Daß er den Zustand selbst herbeigeführt, den frechsten Forderungen von der einen Seite nachgegeben hatte, gegen das beweglichste Flehen um Abhilfe von der andern taub gewesen war, das wischte er aus seinem Bewußtsein hinweg. Ihm geschah auf alle Fälle Unrecht, was anderes sah er nicht, vor