Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

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ist es, wie er die Kolonie für das Mutterland rentabel machen kann. Vielleicht war es dieser Schein von spekulativer Tüchtigkeit, der einige neuere Historiker, namentlich in Spanien, zu der Behauptung geführt hat, er sei von Abstammung Jude gewesen. Damit es nicht aussehe, als ob es eine willkürliche Annahme sei, stützten sie sich dabei auf mittelalterliche Quellen, die allerdings zu schwer zugänglich sind, um sie auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen. Aber manche urteilen nur aus einem allgemeinen Gefühl heraus, ob in feindseliger oder sympathisierender Tendenz, läßt sich nicht unterscheiden. Zunächst hat die Hypothese etwas Verblüffendes, es ist wahr, sie beleuchtet eine Seite des Mannes, die bis jetzt noch recht dunkel war. Es steckt nämlich viel vom Renegaten in diesem Cristobal Colón, er hat viele Züge eines eifervollen Abtrünnigen, der mit Angst bemüht ist, den Weg zuzuschütten, den er gegangen ist. Immer ist es der Neubekehrte, der in seiner für mißtrauische Augen berechneten Haltung und mit einer Leidenschaft, durch die er sowohl sich selbst wie auch die Umwelt glaubt täuschen zu müssen, alle Grenzen des Geschmacks, der Vernunft und des Anstands überschreitet. Und wenn man ganz, ganz nah an die Seele dieses Finders einer Welt heranhorcht, wittert man Verrat, freilich eine unbezeichenbare Art davon, spürt man den Verräter, freilich einen, den das Schicksal zu hoher Leistung hinauftreibt gerade dadurch, daß es ihn zum Verräter gemacht hat. Jüdisch, im schlechten und im guten Sinn, ist eine gewisse Weichmütigkeit an Columbus; jüdisch ein unverkennbarer Hang, Probleme der Wirklichkeit sentimental zu lösen; jüdisch die eigentümliche Zaghaftigkeit vor weittragenden Verantwortungen, die aus einer uralten Furcht vor dem Unwiderruflichen stammt, dem von oben her Beschlossenen. Aber was nicht jüdisch an ihm ist, das ist sein auffallender Mangel an Intelligenz und praktischer Fähigkeit, und vor allem liegt jede Form des Donquichotismus, der Selbstbezauberung mittelst einer vergewaltigten Realität, dem jüdischen Wesen so fern wie möglich. Die spanischen Herrscher, zu ihrer Ehre muß es gesagt werden, billigten das Vornehmen ihres Admirals nicht; in der Randnote heißt es: »Bleibt zunächst ausgesetzt, bis ein anderer Vorschlag gemacht wird.« In der Hauptsache wird es wohl die Königin gewesen sein, die sich dem staatlich konzessionierten Menschenraub und -verkauf widersetzte, wie einträglich ihr das Geschäft auch geschildert wurde. Aber in solchen Fällen ist der Automatismus der Tatsachen stärker als selbst das Gewissensbedenken einer absoluten Herrscherin. Bedrängt von der allgemeinen, bis zur Tollheit gesteigerten Goldgier, hatte Columbus das Mittel gefunden, die Ungeduld der Fordernden durch Lieferung billiger Arbeitskräfte hinzuhalten. Als Antonio de Torres mit vier Karavellen nach Española zurückkam, ließ der Admiral fünfhundert Indios beiderlei Geschlechts auf die Schiffe bringen und, indem er sie als Rebellen bezeichnete, nach Spanien transportieren. In Sevilla übergab man sie dem Juan de Fonseca, der sandte sie auf sein Landgut, wo sie wie Tiere ausgestellt und versteigert wurden. Schlechte Behandlung, schwere Fron, das veränderte Klima, die so ungewohnte wie entwürdigende Lebensweise verursachte binnen kurzem den Tod aller. Da erhob sich kein Einspruch, keine Menschenstimme, aus dem ersten Versuch wurde eine feste Einrichtung, und der Atelandato Bartolomé, der tatkräftige und politisch begabte Bruder des Admirals, schickte alsbald ein Schiff nach dem andern vollgestopft mit indianischen Sklaven nach Spanien, eine vollkommen zweck-und sinnlose Deportation, denn alle diese entheimateten Geschöpfe verendeten auf dieselbe elende Art wie die ihnen vorausgegangenen.

      Die Insel Española hatte nach ungefährer Schätzung zur Zeit der Entdeckung eine Bevölkerungszahl von dreieinhalb Millionen. Zehn Jahre später waren davon noch vierunddreißigtausend übrig, also kaum der hundertste Teil. Das Gemetzel begann und verlief unter den sehend-unsehenden Augen des Columbus, und ob er Schmerz über die Vernichtung empfunden oder ob er sie, fatalistisch finster und seelisch ummauert, als unerbittliches Gesetz betrachtet hat, steht in keiner Chronik zu lesen. Wir wollen die Wahrheit im Herzen des Mannes suchen.

      Zehntes Kapitel.

       Die abgeleugnete Wirklichkeit

       Inhaltsverzeichnis

      Es wird eine Begebenheit erzählt, aus der mit der Schlagkraft einer Parabel hervorgeht, wie die Indios, mehr und mehr erschüttert in ihrem Glauben an die Fremdlinge, sich die Gewißheit zu verschaffen trachteten, daß die vom Himmel gekommenen Männer nicht unsterblich seien, wie sie anfangs gewähnt hatten. Die Mannschaft des Forts San Tomas, zu dessen Kommandanten Columbus einen Edelmann namens Pedro Margarite ernannt hatte, wütete gegen die Eingeborenen mit jener Brutalität, die keine angestammten Rechte achtete und die allmählich stumpfe Gewohnheit bei den zügellosen Horden wurde, die Spanien über die neue Welt losließ wie eine fressende Plage. Sie nahmen den Indios ihren Goldschmuck weg, sie leerten ihre Speicher, sie raubten und entführten ihre Frauen und Töchter, und die schmachvollsten Mißhandlungen waren an der Tagesordnung. Der Kazike Caonabo, der die Vega real beherrschte, die Königsebene, in der das Fort lag, war aber ein entschlossener und tapferer Mann, er versammelte die Leute seines Stamms um sich und löste die Fessel der Fügsamkeit von ihrem Geist. Um ihnen zu beweisen, daß die Fremden durchaus nicht die übernatürlichen Kräfte besaßen, die sie fürchteten, daß die angeblichen Himmelssöhne genau so dem Tode erliegen müßten wie sie selbst, veranstaltete er vor ihren Augen eine Probe. Die Spanier bedienten sich gewöhnlich eines oder mehrerer Indios, um sich durch die Furt des Flusses tragen zu lassen, der die Festung von der Ebene trennte. Als dieser eines Tages vom Regen angeschwollen war und ein Ritter dennoch darauf beharrte, nach dem andern Ufer gebracht zu werden, befahl der Kazik den Trägern, mit dem himmlischen Gast den Versuch zu machen, ob ihm das Ertrinken nichts anhaben könne. In der Mitte des Flusses ließen sie den Spanier von den Schultern gleiten und hielten ihn so lange unter Wasser fest, bis er sich nicht mehr rührte. Dann trugen sie ihn ans Ufer, wo sich die gesamte Einwohnerschaft des Dorfes um den Leichnam herumsetzte und wartete, ob er wieder erwachen werde. Drei Tage saßen sie um den Toten herum, und erst als der Körper zu verwesen begann, waren sie überzeugt, daß der vermeintliche Gott nur ein sterblicher Mensch gewesen war. Die Gewißheit befreite sie von der Angst, von der Ehrfurcht, die sie gelähmt hatte, und die Kunde von dem wunderbaren Ereignis wurde jubelnd von Stamm zu Stamm getragen.

      Schwache und zaudernde Charaktere lassen sich leicht zu überstürzten Maßnahmen hinreißen. Haben sie versäumt, zur richtigen Stunde mit Festigkeit zu handeln, so trachten sie den Fehler durch übermäßige Härte auszugleichen, und sind sie bei falschem Anlaß langmütig und nachsichtig gewesen, so vervielfachen sie das Übel, indem sie bei einem andern, nicht weniger falschen zum Wüterich werden.

      In der Dienstvorschrift, die der Admiral dem Pedro Margarite erteilte, wird ihm als Hauptsorge ans Herz gelegt, darüber zu wachen, daß den Indios kein Leids geschehe, daß ihnen nicht das geringste gegen ihren Willen genommen, vielmehr alle vernünftige Rücksicht erwiesen werde. Das klingt, als wäre es so gemeint. Es ist aber nicht so gemeint. Denn gleich darauf heißt es: »Weil es vorgekommen ist, daß die Wilden Diebstähle an uns verübt haben, bestimme ich, daß Ihr jedem, den Ihr dabei ertappt, die Nase und die Ohren abschneidet, weil dies Gliedmaßen sind, die sie nicht verbergen können. Hierdurch versichert man sich auch eines anständigen Tauschhandels mit ihnen, denn alle werden auf diese Weise verstehen, daß wir die Guten gut, die Bösen böse behandeln wollen.« Nachdem er mit gleißnerischen Floskeln beteuert hat, daß ihm wie auch der Königin weit mehr daran gelegen sei, daß die Indios Christen würden und ihr Seelenheil retteten als an allen Schätzen, die man von ihnen erlangen könne, entwickelt er seinem Untergebenen einen außerordentlich hinterlistigen Plan, wie er sich des gefürchteten Caonabo bemächtigen solle. »Man muß ihn dazu bringen, daß er zu Euch einen Besuch macht«, rät er; »da er nackigt geht, deshalb nicht leicht festzunehmen ist und, wenn einmal entwischt, wegen der Lage des Landes kaum wieder einzufangen sein dürfte, müßt Ihr ihm ein Hemd und einen Schleppmantel darreichen, einen Gürtel umbinden und eine Mütze aufsetzen, dann könnt Ihr ihn greifen. Sollte er nicht zu Euch kommen wollen, so stellt Euch so mit ihm, daß Ihr zu ihm geht. Einer muß dann vorausgeschickt werden, der ihm sagt, Ihr wünschet ihn zu sehen und mit ihm Freundschaft zu schließen.«

      Von Redlichkeit und Ritterlichkeit ist das alles so weit entfernt wie… na, ungefähr

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