Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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Die Insel Española hatte nach ungefährer Schätzung zur Zeit der Entdeckung eine Bevölkerungszahl von dreieinhalb Millionen. Zehn Jahre später waren davon noch vierunddreißigtausend übrig, also kaum der hundertste Teil. Das Gemetzel begann und verlief unter den sehend-unsehenden Augen des Columbus, und ob er Schmerz über die Vernichtung empfunden oder ob er sie, fatalistisch finster und seelisch ummauert, als unerbittliches Gesetz betrachtet hat, steht in keiner Chronik zu lesen. Wir wollen die Wahrheit im Herzen des Mannes suchen.
Zehntes Kapitel.
Die abgeleugnete Wirklichkeit
Es wird eine Begebenheit erzählt, aus der mit der Schlagkraft einer Parabel hervorgeht, wie die Indios, mehr und mehr erschüttert in ihrem Glauben an die Fremdlinge, sich die Gewißheit zu verschaffen trachteten, daß die vom Himmel gekommenen Männer nicht unsterblich seien, wie sie anfangs gewähnt hatten. Die Mannschaft des Forts San Tomas, zu dessen Kommandanten Columbus einen Edelmann namens Pedro Margarite ernannt hatte, wütete gegen die Eingeborenen mit jener Brutalität, die keine angestammten Rechte achtete und die allmählich stumpfe Gewohnheit bei den zügellosen Horden wurde, die Spanien über die neue Welt losließ wie eine fressende Plage. Sie nahmen den Indios ihren Goldschmuck weg, sie leerten ihre Speicher, sie raubten und entführten ihre Frauen und Töchter, und die schmachvollsten Mißhandlungen waren an der Tagesordnung. Der Kazike Caonabo, der die Vega real beherrschte, die Königsebene, in der das Fort lag, war aber ein entschlossener und tapferer Mann, er versammelte die Leute seines Stamms um sich und löste die Fessel der Fügsamkeit von ihrem Geist. Um ihnen zu beweisen, daß die Fremden durchaus nicht die übernatürlichen Kräfte besaßen, die sie fürchteten, daß die angeblichen Himmelssöhne genau so dem Tode erliegen müßten wie sie selbst, veranstaltete er vor ihren Augen eine Probe. Die Spanier bedienten sich gewöhnlich eines oder mehrerer Indios, um sich durch die Furt des Flusses tragen zu lassen, der die Festung von der Ebene trennte. Als dieser eines Tages vom Regen angeschwollen war und ein Ritter dennoch darauf beharrte, nach dem andern Ufer gebracht zu werden, befahl der Kazik den Trägern, mit dem himmlischen Gast den Versuch zu machen, ob ihm das Ertrinken nichts anhaben könne. In der Mitte des Flusses ließen sie den Spanier von den Schultern gleiten und hielten ihn so lange unter Wasser fest, bis er sich nicht mehr rührte. Dann trugen sie ihn ans Ufer, wo sich die gesamte Einwohnerschaft des Dorfes um den Leichnam herumsetzte und wartete, ob er wieder erwachen werde. Drei Tage saßen sie um den Toten herum, und erst als der Körper zu verwesen begann, waren sie überzeugt, daß der vermeintliche Gott nur ein sterblicher Mensch gewesen war. Die Gewißheit befreite sie von der Angst, von der Ehrfurcht, die sie gelähmt hatte, und die Kunde von dem wunderbaren Ereignis wurde jubelnd von Stamm zu Stamm getragen.
Schwache und zaudernde Charaktere lassen sich leicht zu überstürzten Maßnahmen hinreißen. Haben sie versäumt, zur richtigen Stunde mit Festigkeit zu handeln, so trachten sie den Fehler durch übermäßige Härte auszugleichen, und sind sie bei falschem Anlaß langmütig und nachsichtig gewesen, so vervielfachen sie das Übel, indem sie bei einem andern, nicht weniger falschen zum Wüterich werden.
In der Dienstvorschrift, die der Admiral dem Pedro Margarite erteilte, wird ihm als Hauptsorge ans Herz gelegt, darüber zu wachen, daß den Indios kein Leids geschehe, daß ihnen nicht das geringste gegen ihren Willen genommen, vielmehr alle vernünftige Rücksicht erwiesen werde. Das klingt, als wäre es so gemeint. Es ist aber nicht so gemeint. Denn gleich darauf heißt es: »Weil es vorgekommen ist, daß die Wilden Diebstähle an uns verübt haben, bestimme ich, daß Ihr jedem, den Ihr dabei ertappt, die Nase und die Ohren abschneidet, weil dies Gliedmaßen sind, die sie nicht verbergen können. Hierdurch versichert man sich auch eines anständigen Tauschhandels mit ihnen, denn alle werden auf diese Weise verstehen, daß wir die Guten gut, die Bösen böse behandeln wollen.« Nachdem er mit gleißnerischen Floskeln beteuert hat, daß ihm wie auch der Königin weit mehr daran gelegen sei, daß die Indios Christen würden und ihr Seelenheil retteten als an allen Schätzen, die man von ihnen erlangen könne, entwickelt er seinem Untergebenen einen außerordentlich hinterlistigen Plan, wie er sich des gefürchteten Caonabo bemächtigen solle. »Man muß ihn dazu bringen, daß er zu Euch einen Besuch macht«, rät er; »da er nackigt geht, deshalb nicht leicht festzunehmen ist und, wenn einmal entwischt, wegen der Lage des Landes kaum wieder einzufangen sein dürfte, müßt Ihr ihm ein Hemd und einen Schleppmantel darreichen, einen Gürtel umbinden und eine Mütze aufsetzen, dann könnt Ihr ihn greifen. Sollte er nicht zu Euch kommen wollen, so stellt Euch so mit ihm, daß Ihr zu ihm geht. Einer muß dann vorausgeschickt werden, der ihm sagt, Ihr wünschet ihn zu sehen und mit ihm Freundschaft zu schließen.«
Von Redlichkeit und Ritterlichkeit ist das alles so weit entfernt wie… na, ungefähr