Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann страница 23

Автор:
Серия:
Издательство:
Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

Скачать книгу

sich ernstlich zur Wehr setzen könnten.

      Aber das Unerwartete geschieht. Das Maß ist voll. Guacamari und seine Leute verlieren die engelhafte Geduld, auf die die spanischen Strauchdiebe so unbedenklich sündigen, sie sind Tausende, jene ein paar Dutzend, der Ausgang des Kampfes ist nicht fraglich, wenn sie die fremden Störenfriede samt und sonders vertilgen, üben sie nicht Rache, nicht einmal Vergeltung, sie veranstalten nur ein verdientes Strafgericht.

      Das Wunderliche ist nur, daß sie es nicht offen verantworten. Aber es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß ihnen die Tat, die unter dem Zwang der Umstände einziger Rettungsweg wurde, dann, als sie geschehen war, doch als etwas ungeheuerlich Vermessenes erschien: Sie hatten Göttersöhne erschlagen. Bei aller ertragenen Unbill konnten sie keine Rechtfertigung dafür erdenken, keine Verzeihung erhoffen, und die Bangigkeit, mit der sie der Rückkehr der anderen Himmlischen entgegensahen, des Admirals mit seinen weißgeflügelten Sonnenschiffen, muß ihre Träume wie ihr Denken bis in den untersten Grund zerrüttet haben; dafür fehlt uns jedenfalls die Vorstellung und sogar die Ahnung.

      Kein zeitgenössischer Historiograph oder Chronist hat sich die Mühe genommen, diesen unheilvollen Beginn der Kolonisation Amerikas ehrlich und ungeschminkt darzustellen, alle sind mit ein paar nichtssagenden Phrasen darüber hinweggegangen, als ob es zu den zwar beklagenswerten, jedoch unvermeidlichen Übeln der Länderentdeckung gehöre, fremden Besitz für Freigut zu erklären, Männer und Jünglinge zu Sklaven zu machen, Weiber zu vergewaltigen, Jungfrauen zu schänden und was sich nicht gutwillig fügt, kalten Blutes niederzuknallen.

      Als Antonio de Ojeda und Diego de Nicuessa im Jahre 1509 vom König Ferdinand das Festland von Darien »geschenkt« bekamen, in das sie sich als Gouverneure zu teilen hatten, erließen sie an die Eingeborenen eine Proklamation, die von den berühmtesten spanischen Juristen und Theologen erdacht worden war und hernach bei allen Besitzergreifungen als rechtlich gültige Formel diente. Sie ist zu bezeichnend und aufschlußreich, um sie zu ignorieren, und wenn man überlegt, daß sie an Menschen gerichtet war, die die Sprache nicht verstanden, in der sie verkündet wurde, und daß man es auch nicht für nötig erachtete, sie in ihre Sprache zu übersetzen, so erhellt daraus klärlich, daß der Gewaltakt, maskiert durch einen Fetzen Papier mit scholastischen Deliberationen, in der Absicht lag. Von Rechtsform keine Rede, was so schien, war Hohn und Spott.

      Das Dokument beginnt weit ausholend mit der Erschaffung von Adam und Eva, von welchen beiden alle Menschen abstammen, und stellt die Behauptung auf, Gott habe einen Mann namens Sankt Peter zum Herrn und Chef des gesamten Menschengeschlechtes eingesetzt, weil sich die während fünftausend Jahren aufeinanderfolgenden Generationen in so viel Königreiche und Provinzen gespalten hätten, daß ein einziges Land sie hätte weder fassen noch ernähren und ohne eine höchste Gerichtsbarkeit kein Segen hätte entstehen können. Diesem Statthalter, wird den ahnungslosen Eingeborenen versichert, habe Gott die Macht verliehen, seine Herrschaft über alle Teile der Welt auszubreiten und zu regieren über Christen, Mauren, Juden und Heiden. Er führe den Namen Papst, das wolle heißen: wunderbarer großer Vater und Lehrer. »Der gegenwärtig regierende Papst«, ich zitiere nun wörtlich, »hat dieses ozeanische Land seiner katholischen Majestät Hernando anvertraut mit allem, was darin ist, wie ihr es ausdrücklich in gewissen Akten finden werdet, die man euch zeigt, wenn ihr danach verlangt. Seine Majestät ist demnach, kraft dieser Übertragung, König und Herr eures Landes. Ihr seid aus diesem Grunde zum Gehorsam gehalten und gezwungen, und ich bitte und befehle euch, daß ihr euch die nötige Zeit nehmt und reiflich überlegt, was ich euch soeben mitgeteilt habe, damit ihr die Kirche als Souveränin und Führerin des Universums anerkennt, ebenso wie den Sankt Peter, genannt Papst, in seiner rechten Macht und Seine Majestät als König, und daß ihr auch einwilligt, von den heiligen Vätern, die der Papst euch sendet, in unserem heiligen Glauben bekehrt und unterrichtet zu werden. Wenn ihr dem nachkommt, tut ihr wohl daran und erfüllt eure Pflicht. Dann werden Seine Majestät und wir euch mit Liebe und Güte empfangen, und wir lassen euch, eure Weiber und Kinder frei von Knechtschaft und im Besitz und Genuß eurer Habe. Wenn ihr euch aber weigert oder wenn ihr böswillig meinen Ermahnungen gegenübertretet, dann werde ich auf Befehl Gottes mit Gewalt über euch kommen und euch mit dem grausamsten Krieg überziehen. Ich werde euch unter das Joch der Kirche und des Königs beugen, eure Weiber und Kinder wegnehmen und darüber verfügen, wie es dem König beliebt. Außerdem nehme ich euer Eigentum weg und bereite euch alles Übel, was ich kann, wie rebellischen Untertanen, die sich weigern, ihrem legitimen Herrn Folgsamkeit zu erweisen. Ich erkläre im voraus, daß alles vergossene Blut und alles Unheil, das eurer Widersetzlichkeit entspringt, euch allein zur Last fällt und nicht Seiner Majestät noch mir noch denen, die mir dienen. Deshalb ist euch diese Deklaration und Requisition gemacht worden, und ich ersuche den gegenwärtigen Notar, mir die nötige Bestätigung hierüber auszustellen.«

      Es dürfte schwer halten, in den Annalen der Geschichte ein Schriftstück aufzutreiben, das eine so vollendete Vereinigung von abgründiger Verlogenheit und erpresserischer Offenherzigkeit darstellt. Wollte man ein Gleichnis dafür finden, so liefe man Gefahr, absurd zu werden, etwas Ähnliches gab es nicht einmal, als die Mongolenhorden Europa überschwemmten oder die römischen Legionen in Gallien einbrachen. Keine andere Religion, kein anderes System trat fremdem Glauben und fremder Form mit solcher Überheblichkeit, mit so steinerner Unduldsamkeit gegenüber wie das spanisch-katholische Christentum.

      Ohne einen gewissen Mut und ohne Resignation kann man die Vergangenheit des menschlichen Geschlechts nicht als das erkennen, was sie ist: eine ununterbrochene Kette von Unrecht, Übervorteilung, Diebstahl, Gewalttat und Mord. Dies sind nur vierhundert und etliche Jahre. Ich kann mir eine Geistesstimmung denken, die seufzend zu dem Schluß gelangt: es könnte, mit nur geringen Variationen, auch gestern gewesen sein.

      Wie verhält es sich nun mit Columbus in dieser Sache: Hat er die Sklaverei der Indios gewollt, oder hat er sich nur unter äußerem Zwang bereit gefunden, sie zu dulden, zu fördern, zu begünstigen? War es seine wohlerwogene Absicht von Anfang an, oder stammte der Plan aus dem Hirn der Geschäftemacher und Spekulanten, die ihn am Gängelband führten? Die Frage läßt sich nicht kurzerhand bejahen oder verneinen, dem steht die Kompliziertheit seines Charakters entgegen, die, je mehr man sie zu ergründen sucht, zu einer wahren Unerforschlichkeit wird. Sehe ich ihn als grandiosen geschichtlichen Don Quichote, sozusagen als den Ur-Don Quichote, so ist es gerade seine romantische Vorstellung von den Indios, die ihn nur zum Ritter von der traurigen Gestalt macht; die tragisch-groteske Szene, wie der scharfsinnige Junker kampfbegeistert mitten in die Hammelherde reitet und ein sinnloses Blutbad unter den erschrockenen Tieren anrichtet, ist auch ein zentrales Symbol für den Don Quichote des Ozeans. Er wußte nicht, wohin er ritt und wogegen er stritt. Er sah nicht, er begriff nicht. Und als er endlich begriff, stürzte er für immer in jene unheilbare Melancholie, die von jeher über ihm gelauert hatte wie eine tödliche Krankheit.

      Als er eingesehen hatte, daß die Gründung von La Navidad ein Fehler gewesen war, des sumpfigen Klimas und des schlechten Hafens wegen, suchte er nach einem günstigeren Küstenplatz, der auch näher bei den vermuteten Goldbergwerken des Inlandes liegen sollte. Er wählte die fischreiche Bucht von Monte Christo, dort begann er im Dezember 1493 mit dem Bau der ersten spanischen Stadt in der Neuen Welt, die er Stadt der Königin nannte, Isabella, ihre Ruinen sind noch heute zu sehen. Die Indios, zumal die Frauen, gastfrei und hilfreich, wie stets bei der ersten Begegnung, brachten aus der fruchtbaren Landschaft die Fülle von Nahrungsmitteln, darunter auch Jamswurzeln, die die Europäer bald sehr schätzen lernten. Wichtiger war die noch unverbürgte Nachricht von der Nähe der Goldminen, es hieß, die Entfernung betrage nur hundertvierzig Kilometer, und sie lägen im Gebiet des Häuptlings Caonabo, desselben, der mit den Küstenstämmen in Fehde lebte und der, nach der Behauptung Guacamaris und seiner Leute, die Ansiedler von La Navidad getötet haben sollte. Der Admiral schickte eine Expedition in die Gegend, die Kundschafter kamen ganz aufgeregt zurück, sie schworen, sie hätten das Gold in den Tälern und Flüssen glänzen sehen, es gäbe dort Berge aus purem Gold, da wollte sich Columbus selbst von der Wahrheit der Berichte überzeugen und brach mit bewaffneter Begleitung ins Innere des Landes auf. Die Gebirge aus Gold wird er nicht gefunden haben; um

Скачать книгу