Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

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des Vorsichhabens, des Nochnichtvorhandenen. Was ja auch der tiefste Gedanke des Don Quichote ist.

      Darin äußert sich die verehrungswürdige dunkle Kraft des mittelalterlichen Menschen, daß er keine Selbstbestimmung kennt und immer Kreatur bleibt im Fühlen und Handeln, mit dem Aufblick zu einem unbekannten Wesen und der Verhaftung in ihm. Das Religiöse an Columbus ist daher weder Vorwand, noch Kostüm, noch beruht es auf dogmatischer Lebenshaltung, es ist sein eigentlicher Kern, als solcher umfaßt er das Bewußtsein der Schickung, der Sendung, und daß der Mensch sich gegen das Element zu stellen habe als gegen das niedrig Unbeseelte und Gottfeindliche, um es zu überwinden, wie er auch dabei fahre.

      Es ist außerordentlich schwierig, mit einer auch nur geringen Aussicht auf Wahrscheinlichkeit die Empfindungen jener Männer zu rekonstruieren, die da auf unzulänglichen, schlecht ausgerüsteten alten Fahrzeugen in die grenzenlose Wasserwüste hinaussegelten. Wenn es nicht überpflanzte Gefühlskomplexe aus heutiger Welt sind, ist es Dichtung; eines kann so wenig befriedigen wie das andre, beides wird zum Experiment. Ich glaube, daß es unvorstellbar und unausdenkbar ist. Jede moderne Leistung, die man etwa in Analogie setzen könnte, Durchquerung Afrikas, Erforschung des Südpols, Flug ins Polargebiet, Überfliegung des Atlantik, jede ähnliche auch aus den letztvergangenen Jahrhunderten, vollzog und vollzieht sich innerhalb der Überlieferung des Wissens um bekannte Naturgesetze und im Vertrauen auf eine bewährte kosmische Ordnung.

      Dies fehlte Columbus und seinen Leuten. Es fehlte ganz und gar. Der Bau der Welt, die Größe der Erde, die menschliche Kapazität, die Wirksamkeit und Verläßlichkeit gewisser Hilfsmittel, alles das war sozusagen noch Annahme, Vermutung, Aberglaube. Nichts war bewiesen, nichts in der Erfahrung bewährt, nichts durch gültiges Zeugnis erhärtet; draußen auf dem Ozean war man von einem bestimmten Längengrad ab der allererste Mensch, und was immer man erblickte und erlebte, stand auf der schauerlichen Grenzscheide zwischen Leben und Tod. Der Ablauf der Tage ist ein einziges Grauen, jede zurückgelegte Meile vermehrt das Grauen. Es gibt eigentlich kein Ziel; was sie davon gehört haben, ist Einbildung, bestenfalls Behauptung, die Phantasie vermag auf diesem Weg keinen Endpunkt zu finden, der Horizont ist rund, seine Rundheit macht das Auge rasend, der Blick irrt verzweifelt zwischen Himmel und Wasser, die Schiffe tanzen im Runden rundum, vorne, hinten, links und rechts wechseln wie auf einer schwindelnd-schwingenden Drehscheibe, es ist ihnen zumut, als wären sie lauter Bälle, die über die brüllende See ins Nichts geschleudert werden sollen. Und das ist die Quelle und der Gegenstand des Grauens, das Nichts, die Erwartung des Nichts. Jeder von uns hat es als Kind gespürt, im Traum, und es ist ein atavistischer Traum: man macht sich auf, um ans Ende der Welt zu gehen, und die ganze Seele ist erfüllt von dem unsinnigen Grauen vor dem Nichts.

      Ein Teil der Briefe und Berichte des Columbus ist erst 1791 von Navarrete, einem spanischen Marineoffizier, in den Archiven des Klosters San Estéban und des Herzogs von Veragua, einem Nachkommen des Admirals, aufgefunden worden. Sie sind von Columbus’ eigener Hand geschrieben, und es war oft schwer, ja fast unmöglich, die veraltete Schreibweise, die verblaßten Lettern, die nicht mehr gebräuchlichen nautischen Fachausdrücke, die häufig eingestreuten italienischen und portugiesischen Worte zu entziffern und den schleppenden Stil, dem jede Interpunktion fehlte, in die moderne Sprache zu übersetzen, ohne die charakteristische Art des Autors zu verwischen. Die Schiffstagebücher hat Hernando Colón zusammen mit dem Bischof Las Casas schon 1536 veröffentlicht.

      Die bei dieser Reise und auch bei den späteren am häufigsten gerühmte, selbst von Alexander von Humboldt hervorgehobene Eigenschaft des Columbus ist die richtige und scharfe Beobachtung von Phänomenen, die sich nach der ganzen Lage der Dinge vollkommen außerhalb seines Erfahrungskreises befanden. Er macht die gewissenhaftesten und genauesten Notizen über die Richtung der Meeresströmungen, die inselartigen Anschwemmungen des Seegrases im sogenannten Sargassomeer, die Veränderung der Lufttemperatur, den Flug der Vögel und hauptsächlich über eine Erscheinung, die ihn und seine Leute am meisten beunruhigen mußte: die Abweichung der Magnetnadel und die damit zusammenhängende Bewegung des Polarsterns, eine Entdeckung, die ohne Zweifel ihm als erstem zuzuschreiben ist.

      Es war am 13. September 1492, bei Anbruch der Nacht, als er bemerkte, daß die Magnetnadeln von Nordosten nach Nordwesten abwichen, wodurch die Steuerleute, wie er gesteht, in nicht geringe Furcht versetzt wurden. Er berichtigte die Nadeln nach Methoden, die er so verworren schildert, wie er sie vermutlich betrieben hat, und obwohl aus der ganzen Darstellung, wissenschaftlich genommen, ersichtlich ist, daß er durchaus keinen klaren Begriff von dem Vorgang hat, und obwohl auch er die Furcht der Piloten teilt, als ob sich damit die Grundgesetze der Natur veränderten und er in eine neue Welt mit neuen Gesetzen einträte, ahnt er doch zugleich, daß die Abweichung der Nadel ein Mittel werden kann, den Längengrad zu bezeichnen und die Ortsbestimmung zu treffen.

      Niemals vermochte er eine nautische Berechnung selbst zu machen, dazu reichten seine Kenntnisse nicht aus; wenn er es versuchte, war das Resultat kläglich, wie zahlreiche Spezialuntersuchungen bewiesen haben. Jedoch auf Forschung ging er nicht aus, an Forschung war ihm nicht gelegen, er konnte eine Wirkung feststellen, nicht aber eine Ursache ergründen, er konnte schauen, er konnte die Frage formulieren und mit ahnendem Sinn hinter das Geschaute dringen, das hat nichts mit der Exaktheit des Beobachters zu tun, überhaupt nichts mit Beobachtung, sondern es ist eine Kategorie für sich, und eine große noch dazu. Seine sämtlichen Berichte, ob sie nun das schreckenerregende Benehmen des Kompasses, das wechselnde Bild des Tangmeers, den Flug der Vögel oder was immer zum Gegenstand haben, bestätigen schlagend, daß er nichts weniger als ein Beobachter, daß er ein visionärer Mensch war und seine Aufgabe völlig aus der Vision heraus schöpfte und erfaßte. Träfe dies im allermindesten nicht zu, dann wäre er wirklich der Scharlatan und Abenteurer, als den ihn neidische und boshafte Zeitgenossen manchmal darzustellen beliebten.

      Ich bin mir aber wohl bewußt, daß ich mit alldem erst zaghaft die Grenzlinien seines Wesens und Charakters umrissen habe.

      Das Schiffstagebuch beginnt, zeremoniös und umständlich, mit einer Evokation der spanischen Hoheiten, gibt einen Rückblick auf des Schreibers Verdienste und Bemühungen, dann dankt er für alle voraus empfangenen Wohltaten und Belohnungen, oder stellt sie wenigstens trocken fest, und verspricht, jede Nacht niederzuschreiben, was ihm am Tag begegnet ist, bis er Indien entdeckt haben würde. »Dabei kommt es hauptsächlich auf eines an«, schließt er in seiner intransigenten Manier, »nämlich, daß ich, um alle Verpflichtungen zu erfüllen, auf den Schlaf verzichten lerne.«

      Dies ist keine eitle Ruhmredigkeit, er hat es buchstäblich getan. Er war imstande, wochenlang, genau, wie er sagt, auf Schlaf zu verzichten. Ich finde ihn in dieser Hinsicht geradezu unheimlich. Freilich, in jenen ersten Wochen war es schwer für ihn zu ruhen und zu schlafen. Wie ein dunkles Gespenst ist er vom Abend bis zum Morgengrauen am Bug der »Santa Maria« gestanden, die hellgrauen Fanatikeraugen in gefrorener Glut nach Westen gerichtet. Daß ihn seine Untergebenen geliebt haben, läßt sich schwerlich annehmen; solche Männer werden nicht geliebt; schreibt er doch von sich selbst: »Ich bin nicht schmeichlerisch von Worten, vielmehr gelte ich für rauh«; die bewußtseinslähmende Spannung, die ihn bis zum zwölften Oktober erfüllte, trieb ihn von aller Menschheit weg, und wenn es auch Leute waren, die vor nichts und niemand zurückschreckten, ihm wichen sie in scheuem Bogen aus, wie sie einem verrufenen Zauberer ausgewichen wären. Dabei mußte er mehr vor ihnen auf der Hut sein als sie vor ihm. Damit die Ungeduld sie nicht zu früh rebellisch werden ließ, griff er von vornherein zu dem nicht ganz einwandfreien Mittel, sie über den zurückgelegten Weg zu täuschen, indem er doppelt Buch führte, einmal, in der wirklichen Zahl der Seemeilen, für sich, und einmal, in verkürzten Ziffern, für das Schiffsvolk, eine Maßregel, die wahrscheinlich auf allen drei Caravellen gleichmäßig getroffen werden mußte, da man sich ja bei ruhigem Wetter von Fahrzeug zu Fahrzeug leicht verständigen konnte.

      Eine Sonderbarkeit des Tagebuchs besteht darin, daß er bisweilen in der Ichform berichtet, dann wieder, ohne Übergang, von sich in der dritten Person als dem Admiral spricht. Es scheint mir nicht, als sei dies bloß eine stilistische Achtlosigkeit oder leere Form. Es wird wohl tiefer

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