Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

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in der christlichen Lehre zu empfangen. Er wird getauft und erhält den Namen Mildum. Er erzählt von einer andern Insel, deren Ufer von hohen Mauern aus purem Gold umgeben sind, und um die frommen Männer hinzuführen, wirft er sich ins Meer und zieht das Schiff an einem Tau durch die stürmischen Fluten. Die Insel steigt vor ihnen aus der Tiefe, doch kaum haben sie an der Küste ihr Gebet verrichtet, so wankt das Eiland in seinen Festen, sie müssen fliehen und können von der See aus noch gewahren, wie es in einer Art versinkt, als werde es von einem Ungeheuern Fisch hinabgerissen. Der Riese, auf seine heimatliche Insel zurückgebracht, ist so müde von all dem Fasten und Beten, daß er die Missionare inständig bittet, sich wieder ins Grab legen zu dürfen. Hier spuken Erinnerungen an Vorwelt und prähistorisches Ungetier in der verängsteten Phantasie des mittelalterlichen Menschen, für den der Einsamkeitsgedanke nichts Erhabenes, sondern Grauen und Schrecken enthält, die nur durch die zauberische Verwandlung einer Realität ins Grandiose oder Komisch-Abstruse gemildert werden können. Manchmal spinnen sich von geschichtlichen Ereignissen her erkennbare Fäden zu dem transozeanischen Traumbild wie in der Legende von den Inseln der sieben Städte. Nach der Eroberung Spaniens durch die Mauren fuhren sieben Bischöfe mit zahlreichen Mitgliedern ihrer Gemeinden, um den Schwertern der Sarazenen zu entfliehen, auf sieben Schiffen über den Ozean nach Westen und kamen nach schweren Stürmen zu einer Insel, wo sie die Schiffe verbrannten, um die Reisegenossen zum Bleiben zu zwingen, und mitten in der Öde des Weltmeers sieben wunderbare Städte gründeten, die freilich von keinem sterblichen Auge aus dem alten Land je erblickt wurden. Was aber ihre Existenz durchaus nicht anzweifelbar machte, denn wie kein Forscher jener Tage es gewagt hätte, die Wirklichkeit dieser Märchengebilde zu leugnen, waren sie auch der Inhalt der Sehnsucht und der Gegenstand der verwegenen Pläne aller Nomaden und Konquistadoren der See.

      Drittes Kapitel.

       Verzweifelte Bemühungen

       Inhaltsverzeichnis

      Erst nach seiner Ankunft in Portugal tritt das Leben des Columbus aus dem Bezirk der Mutmaßung und Heroendichtung allmählich in den einer annähernden historischen Gewißheit. Wo er vorher gewesen ist und was er gewesen ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Die Panegyriker des merkwürdigen Mannes haben für ihren Teil ebensogut dafür gesorgt wie seine Feinde, daß die Spuren nicht aufzufinden sind, und er selbst hat von einem bestimmten Zeitpunkt ab nach seinem eigenen Beschluß kein Vorleben gehabt, so wie Don Quichote kein Vorleben gehabt hat.

      Die Art, wie er nach Portugal gekommen sein soll, ist noch ganz Roman. Seegefecht mit Piraten, Feuersbrunst auf der angegriffenen Galeazze, Untergang des Schiffes und Schwimmen an die nahe Küste, wo ihn genuesische Landsleute aufnehmen, alles dies, obschon von seinem Sohn Hernando berichtet und von seinem hingebenden Bewunderer, dem Bischof Las Casas, bekräftigt und bestätigt, ist Sage, dem heldischen Nimbus zuliebe erfunden, und hat vor der Forschung in keiner Einzelheit standgehalten. Es läßt sich denken, daß es viel natürlicher, viel armseliger dabei zugegangen ist.

      Nicht minder stilisiert und auf poetischen Effekt hin bearbeitet scheint alles, was mit seiner Ehe zusammenhängt. Ein harmloser deutscher Kompilator, der um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts das Leben des Columbus ausführlich beschrieben hat, läßt sich folgendermaßen vernehmen (und nicht wesentlich anders kann man es bei Washington Irving und bei den vielen lesen, die ihm vorangegangen und gefolgt sind): »Für einen Mann wie Columbus war Lissabon die hohe Schule, um sich auf seine fernere Laufbahn vorzubereiten. Hier fehlte es ihm nicht an Gelegenheit, sich als praktischer Schiffskapitän zu versuchen und Schiffe nach der Levante, nach der Küste von Guinea, nach den Azoren und nach der Nordsee zu führen oder zu begleiten, zugleich aber fand er, wenn ihm ruhiger Aufenthalt im Hafen vergönnt war, die beste Schule, sich in seinem Beruf auszubilden, mit den neuesten Entdeckungen bekanntzumachen und im Kartenzeichnen zu vervollkommnen. Zu diesen stillen Beschäftigungen würde indessen der rastlose Freund des offenen Meeres schwerlich Muße gefunden haben, hätte er nicht zu seinem Piloten Amor gewählt, der ihn einst, denn wohin wagte der kleine heidnische Dämon sich nicht, bei stürmischem Wetter in die Allerheiligenkapelle bugsierte, wo sein Herz, und zwar mit vollen Segeln, vor Anker ging. Hier sah er Donna Filippa Muñiz di Perestrello, eine edle Portugiesin von ausnehmender Schönheit; er suchte nähere Bekanntschaft, warb um ihre Hand und vermählte sich mit ihr. Sie war die Tochter des verstorbenen Don Pietro di Perestrello, Gouverneurs der Insel Porto Santo, was Columbus dann veranlaßte, mit seiner Gattin für einige Zeit diese Insel zum Wohnsitz zu wählen und den literarischen Nachlaß seines Schwiegervaters zu studieren, der in allerlei nautischen Aufzeichnungen bestand, und wo auch sein Sohn Diego geboren wurde…«

      Ein Idyll im Biedermeierstil. Gott Amor, nein, das ist zu rührend und zu neckisch. So kann es nicht gewesen sein, so ist es nicht gewesen.

      Der Mann muß tiefer in Wirrnisse geraten sein. Ich stelle mir vor, daß er in der Hölle gelebt hat. Er ist bereits über vierzig, und was hat er erreicht? Seit Dezennien erfüllt ihn das eine Verlangen, sich hervorzutun, die Niederungen zu verlassen, an die ihn ein boshaftes Geschick kettet, der inneren Berufung zu folgen, die von der Welt mißkannt zu sehen ihm mit dem Verlauf der Jahre zu unerträglicher Folter wird. Er ist nahe daran, die Hoffnung aufzugeben. Er hört von Erfolgen weit jüngerer Seefahrer, Schiffe kehren mit aufregenden Nachrichten heim, von Monat zu Monat hellt sich der dunkle Horizont über dem Atlantik mehr auf, und er, zur Untätigkeit verdammt, im Schatten stehend, ohnmächtig und arm.

      Ich sehe ihn, wie er nachts am Hafen liegt und mit brennenden Augen die Mastbäume und die Sterne betrachtet. Ich weiß, daß er ruhelos durch die Städte gewandert ist, daß er heimlich in den Matrosenschenken gelauert hat, um zurückkehrende Leute auszuhorchen und frisch angeheuerten gewisse Aufträge zu erteilen. Die Aussichtslosigkeit seiner Situation muß ihn an den Rand des Verbrechens getrieben haben. In späteren Jahren hat er eine inbrünstige, fast bigotte Frömmigkeit an den Tag gelegt, manche meinen: zur Schau getragen. Ich glaube nicht, daß sie eine Maske gewesen ist oder bloße Anpassung an spanische Lebensform, ich bin überzeugt, daß sie die gesetzhafte Umkehrung des gegensätzlichen Zustandes, der Leugnung, des Haders, der Feindschaft gegen Gott und aus diesem Grund die wahrhaftige Stimmung seiner Seele war.

      Diese Donna Filippa, scheint mir, war ein vermögensloses Edelfräulein, das von ihren Verwandten unterstützt wurde; was fängt man mit ihr an; man ist froh, als sich ein halbwegs respektabler Mann ihrer erbarmt, ist er gleich ohne Familie, zugereister Fremdling, man wird ihm Käufer für seine Karten verschaffen, ihm die Wege ebnen, ihn protegieren und einflußreichen Personen empfehlen. So öffnet sich ihm ein Lichtspalt im Kerker der Namen-und Tatlosigkeit.

      Zieht man die Summe der Lebenserfahrungen und vergleicht danach die Existenzen, so erweist sich das allmähliche, schleichende, stufenweise Fortschreiten als viel häufiger denn das plötzliche, unerwartete und dramatische. Die meisten Dramen der Geschichte nehmen sich nur von ferne lapidar aus, in der Nähe bestehen sie aus minutiösen und schwer entzifferbaren Runen.

      Im bedrängtesten Moment, dicht vor dem Abgrund, greift das Schicksal zum erstenmal günstig entscheidend ein, indem es Columbus die Verbindung mit dem berühmten, damals schon achtzigjährigen Florentiner Toscanelli ermöglicht.

      Es muß ein innerlicher Zwang für ihn bestanden haben, den Namen dieses Mannes in allen späteren Briefen und Aufzeichnungen mit Schweigen zu übergehen. Da er sich als Werkzeug in der Hand eines Höheren fühlte, durfte der Verdacht nicht entstehen, als habe er sich irdischer Hilfe bedient; es hätte die mystische Überzeugung von seiner Sendung vor allem in ihm selbst erschüttert. Bei der hintergründigen Veranlagung seiner Natur muß man annehmen, daß er die Erinnerung an den Beistand eines den seinen überragenden Geistes, vielleicht sogar die Erweckung, die er durch ihn erfuhr, hartnäckig zu ersticken trachtete. Was die Welt davon hielt, kümmerte ihn nicht. Dank ist die Angelegenheit einer sehr persönlichen Moral; Dankesschuld nicht anerkennen braucht nicht immer auf einem Mangel

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