Maigret auf Reisen. Georges Simenon

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Maigret auf Reisen - Georges  Simenon Georges Simenon

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legte ihr den Arm um die Schultern, stützte sie und hielt ihr ein Glas an die Lippen.

      »Steht es schlimm?«

      »Trinken Sie!«

      Ganz in der Nähe, in der Avenue Marceau, zog sich Doktor Frère in aller Eile an, schnappte sich seine Tasche, verließ das in tiefem Schlaf liegende Haus und stieg in seinen Wagen, der am Straßenrand stand.

      Die Marmorhalle des George-V war menschenleer, bis auf den Mann am Empfang, der hinter der Mahagonitheke eine Zeitung las, und den Concierge, der gar nichts tat.

      »332«, sagte der Arzt im Vorbeigehen.

      »Ich weiß.«

      Die Telefonistin hatte ihm Bescheid gegeben.

      »Soll ich einen Krankenwagen rufen?«

      »Mal sehen.«

      Doktor Frère kannte die meisten Zimmer und Suiten des Hotels. Wie die Krankenschwester klopfte er sozusagen symbolisch an, trat ein, legte den Hut ab und ging ins Schlafzimmer.

      Jules hatte sich, nachdem er einen Topf warmes Wasser gebracht hatte, in eine Ecke zurückgezogen.

      »Eine Vergiftung, Herr Doktor. Ich habe ihr …«

      Sie wechselten ein paar Worte im Telegrammstil, die an einen Geheimcode denken ließen, während die Comtesse, immer noch von der Schwester gestützt, heftigen Schluckauf bekam und sich dann übergab.

      »Jules!«

      »Ja, Herr Doktor.«

      »Das Amerikanische Krankenhaus in Neuilly soll einen Krankenwagen schicken.«

      Das alles war nicht weiter ungewöhnlich. Die Telefonistin, Kopfhörer über den Ohren, wandte sich an eine Kollegin, die drüben in Neuilly Nachtdienst hatte.

      »Meine Liebe, ich weiß auch nichts Genaues. Es geht um die Comtesse Palmieri, der Arzt ist bei ihr oben.«

      In der 332 klingelte das Telefon. Jules nahm den Hörer ab und wiederholte:

      »Der Krankenwagen ist in zehn Minuten hier.«

      Der Arzt legte die Spritze, mit der er der Comtesse eben eine Injektion gegeben hatte, wieder in seine Tasche.

      »Soll ich sie anziehen?«

      »Wickeln Sie sie in eine Decke, das wird reichen. Wenn Sie irgendwo einen Koffer sehen, packen Sie ihr ein paar Sachen ein. Sie wissen besser als ich, was sie braucht.«

      Eine Viertelstunde später trugen zwei Sanitäter die kleine Comtesse hinunter und hievten sie in den Krankenwagen. Doktor Frère setzte sich in sein eigenes Auto.

      »Ich werde mit Ihnen ankommen.«

      Er kannte die Sanitäter, und sie kannten ihn. Er kannte auch die Dame am Empfang des Krankenhauses, mit der er kurz sprach, und den diensthabenden jungen Arzt. Diese Leute redeten nur wenig, in ihrem eigenen Code, da sie oft zusammenarbeiteten.

      »Zimmer 41 ist frei.«

      »Wie viele Tabletten?«

      »Sie erinnert sich nicht mehr. Das Röhrchen war leer.«

      »Hat sie sich übergeben?«

      Die Krankenschwester hier war Doktor Frère genauso vertraut wie die im George-V. Während sie sich um die Patientin kümmerte, konnte er sich endlich eine Zigarette anzünden.

      Magenspülung. Puls. Noch eine Spritze.

      »Jetzt können wir sie nur noch schlafen lassen. Messen Sie jede halbe Stunde ihren Puls.«

      »Ja, Doktor.«

      Er fuhr mit einem Fahrstuhl hinunter, der genauso aussah wie der im Hotel, und gab der Dame am Empfang Anweisungen, die sie sich notierte.

      »Haben Sie die Polizei benachrichtigt?«

      »Noch nicht.«

      Er sah auf die schwarz-weiße Wanduhr. Halb fünf.

      »Verbinden Sie mich bitte mit dem Kommissariat in der Rue de Berry.«

      Dort standen Fahrräder vor der Tür, im Schein der Straßenlaterne. Drinnen spielten zwei junge Polizisten Karten, und ein Brigadier machte sich Kaffee auf einem Spirituskocher.

      »Hallo? Kommissariat Rue de Berry … Doktor wie? … Doktor Frère? … Wie Bruder? … In Ordnung. Ich höre … Einen Augenblick.«

      Der Brigadier nahm einen Bleistift und schrieb die Meldung auf einen Zettel.

      »Ja … Ja … Ich füge hinzu, dass Sie Ihren Bericht noch schicken. Ist sie tot?«

      Er legte auf und sagte zu den beiden anderen, die ihn fragend ansahen:

      »Ein Gardénal im George-V.«

      Für ihn bedeutete das bloß mehr Arbeit. Seufzend nahm er den Hörer ab:

      »Zentrale! … Hier Kommissariat Rue de Berry … Bist du’s, Marchal? … Na, wie läuft’s bei euch? … Hier ist alles ruhig … Du meinst die Schlägerei? … Nein, wir haben sie nicht dabehalten. Einer von denen kennt einen Haufen Leute, verstehst du? Ich musste den Kommissar anrufen, und der hat gesagt, ich soll sie laufen lassen.«

      Es ging um eine Schlägerei in einem Nachtlokal in der Rue de Ponthieu.

      »Nun gut! Ich hab hier noch was. Ein Gardénal. Schreibst du mit? … Comtesse … Ja, eine Comtesse … Echt oder falsch, was weiß ich? Palmieri. P wie Paula, A wie Anton, L wie Ludwig, M wie … Ja, Palmieri. Hôtel George-V. Suite 332 … Doktor Frère … Das Amerikanische Krankenhaus in Neuilly … Ja, sie hat was gesagt. Sie wollte sterben, dann hat sie’s sich doch anders überlegt. Die alte Leier.«

      Um halb sechs befragte Inspektor Justin vom 8. Arrondissement den Concierge des George-V, machte sich ein paar Notizen, sprach dann mit Jules, dem Kellner, und begab sich anschließend zum Krankenhaus in Neuilly, wo ihm mitgeteilt wurde, dass die Comtesse schlafe und außer Lebensgefahr sei.

      Um acht Uhr morgens nieselte es immer noch, aber der Himmel war klar. Lucas, der etwas erkältet war, setzte sich an seinen Schreibtisch am Quai des Orfèvres, wo ihn die Meldungen der vergangenen Nacht erwarteten.

      Dabei stieß er auf die in knappen Worten festgehaltene Schlägerei in der Rue de Ponthieu, las von einem guten Dutzend aufgegriffener Mädchen, von Betrunkenen, einer Messerstecherei in der Rue de Flandre und anderen, nicht unüblichen Zwischenfällen.

      Außerdem informierten ihn sechs Zeilen über den Suizidversuch der Comtesse Palmieri, geborene La Salle.

      Maigret, den die Sache mit der Tochter des Abgeordneten beunruhigte, kam um neun Uhr.

      »Hat der Chef schon nach mir gefragt?«

      »Nein, noch nicht.«

      »Ist

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