Von Dolomiten im Vorgarten und anderen Herausforderungen. Sabine Zinkernagel

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Von Dolomiten im Vorgarten und anderen Herausforderungen - Sabine Zinkernagel

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er noch ich können uns daran erinnern, wer die Schlüssel dann an sich genommen hat. Keine Chance, diese Überlegungen führen uns nicht weiter.

      Also alles noch einmal von vorne. Alle in Frage kommenden Hand-, Hosen- und Jackentaschen komplett ausleeren, die Jackensäume abtasten, falls der Schlüssel durch ein Loch in der Tasche ins Innenfutter gerutscht ist, das Auto noch einmal komplett durchsuchen.

      Nichts.

      Vollkommen ratlos hocken wir uns in eine Ecke und beten. Aber auch dadurch fällt kein Schlüssel von der Stuckdecke, kommt uns keine Erleuchtung, wo wir noch suchen könnten.

      Als gegen ein Uhr morgens die meisten Hochzeitsgäste aufbrechen, treten auch wir die Rückfahrt an. Vor der Haustür werden wir ein paar Stunden im Auto ausharren müssen, um dann Heike unser Missgeschick zu beichten. Eine Aussicht, die uns nicht gerade fröhlich stimmt.

      Erst, als wir direkt vor Heikes Haus unser Auto abstellen, wissen wir schlagartig wieder, was wir nach dem Abschließen der Tür mit den Schlüsseln gemacht haben: Nichts.

      Denn im Türschloss blinkt etwas Silbernes. Heikes Schlüsselbund. Sechzehn Stunden lang hat er dort gehangen, direkt am Bürgersteig. Ein Satz Schlüssel, der jedem x-beliebigen Passanten Zugang verschaffen konnte zu Hausflur, Keller und Heikes Wohnung.

      Die Wohnung sieht nicht nur völlig unberührt aus, sie ist es auch.

      Nein, Heikes Schlüssel sind uns zwar abhanden gekommen; sich eigenständig fortbewegen können sie aber nicht. Sie haben sich ja nicht einmal von einem Passanten fortbewegen lassen!

      Und nein, Gott hat uns vorhin beim Beten keinen Schlüssel vor die Füße fallen lassen. Aber er hat an einer Haustüre mitten in Kempten auf einen dort stecken gelassenen Schlüsselbund aufgepasst. Damit dieser niemanden in Versuchung führen konnte.

      Erleichtert fallen wir auf unsere Luftmatratzen. Ebenso erleichtert beichten wir am Morgen Heike, was passiert ist. Und gemeinsam sagen wir Gott Danke für alles, was nicht passiert ist.

      Beifahrer

       September 1992

      Wovon träumen Jungen kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag?

      Von einem kräftigeren Bartwuchs. Von hübschen Mädchen. Davon, einmal richtig viel Geld zu verdienen. Und vom Autofahren.

      Am besten so wie James Bond auf seinen Einsätzen zur Rettung der Menschheit: Im coolen Aston Martin mit Tempo 200 und quietschenden Reifen durch enge Serpentinen, immer haarscharf am neben der Straße gähnenden Abgrund entlang, je nach Situation auf der Jagd nach oder auf der Flucht vor einem halben Dutzend wild um sich feuernder Gangster. Kurz bevor der Zuschauer beim Blick auf die nächste Haarnadelkurve zu gähnen beginnt, steuern letztere regelmäßig ihr Gefährt über die Straße hinaus.

      Natürlich darf bei diesen Verfolgungsjagden nie das vollbusige Bond-Girl fehlen. Es räkelt sich auf dem Beifahrersitz und zeigt auch in der brenzligsten Lage nicht den geringsten Anflug von Panik. Sie kreischt nicht erschrocken auf, wenn ihr Held den Straßenverlauf querfeldein abkürzt. Wozu auch, der Mann an ihrer Seite kann schließlich Auto fahren! Natürlich weiß sie, dass für einen James Bond weder Geschwindigkeitsbeschränkungen noch rote Ampeln existieren. Es wäre also völlig überflüssig, ihn auf solche Banalitäten hinzuweisen.

      So komplizierte Dinge wie Fliehkräfte oder Bremswege interessieren die junge Dame nicht. Als das in der Schule auf dem Lehrplan stand, hat sie nicht zugehört. Wahrscheinlich war sie damals gar nicht im Physikraum. Sondern auf der Toilette, um neue Wimperntusche aufzulegen.

      Wenn der Held und das Mädchen schließlich an ihr Ziel gelangt sind, strahlt sein Hemdkragen immer noch in makellosem Weiß und sitzt ihre Frisur immer noch perfekt. Somit steht einem romantischen Abend nichts mehr im Wege. Kein finsterer Mafiaboss, und erst Recht kein kleinliches Gezänk über den Fahrstil.

      Ja, so läuft das bei James Bond. Und so sollte es auch bei jedem beliebigen Teenager laufen, sobald er im Besitz einer Fahrerlaubnis ist.

      Aber die Welt ist gemein, besonders zu männlichen Fahranfängern.

      Statt eines Aston Martin steht ihm nur Mutters Kleinwagen zur Verfügung. Geht er diesen Kompromiss mit seinen Träumen ein und steuert das „Immerhinein-Auto“ auf die Straße, muss er feststellen, dass der Otto-Meier-Weg in Kleinkleckerlesdorf weder besonders steil noch besonders kurvenreich ist. Das einzige Hindernis, das ihm den Weg versperren will, ist ein Müllauto. Um das kann er nicht einmal gekonnt herumkurven, weil Gegenverkehr kommt.

      Fast das einzige, was noch an den Filmhelden erinnern könnte, ist ein weibliches Wesen auf dem Beifahrersitz. Dieses trägt allerdings statt eines knappen Tops mit offenherzigem Dekolleté eine hochgeschlossene Bluse. Kein verführerisches Lächeln spielt um erotisch volle Lippen, sondern ein angstvoll zusammengepresster Mund stößt ein „Brems doch endlich, oder siehst du den Radfahrer dort hinten nicht?“ heraus.

      Spätestens jetzt muss auch der kühnste Träumer unter den Fahranfängern sich der Tatsache stellen, dass das Leben kein Film ist, und er nicht James Bond. Und dass neben ihm keine aufreizende junge Dame sitzt, die sich auf einen romantischen Abend mit ihrem Helden freut. Sondern seine Mutter, die ihren Sohn bei seinen ersten eigenen Fahrversuchen beschützen möchte.

      Man kann die Befürchtungen der Mutter durchaus nachvollziehen. Für den Sohn stellen seine nunmehr 18 Jahre ein ganzes Menschenleben dar; der Mutter ist noch allzu gut in Erinnerung, wie sie vor gar nicht langer Zeit ein winziges, hilfloses Menschlein in den Armen hielt, das sie fortan vor allen Gefahren des Lebens beschützen würde.

      Und eben dieser Sohn, den sie bislang so sorgfältig behütet hat, schickt sich nun an, auf vier Rädern die Welt zu erobern? Er will sich ernsthaft den Gefahren des Straßenverkehrs aussetzen? Er nimmt für ein wenig mehr Freiheit in Kauf, dass die Mutter Abend für Abend ängstlich auf seine Rückkehr wartet und sich bei jedem Klingeln des Telefons ausmalt, was ihrem Sohn jetzt zugestoßen sein könnte?

      Es fällt schwer, diese Tatsache in ihrem ganzen Ausmaß zu erfassen und auch nur ansatzweise zu akzeptieren.

      Dem Sohn wiederum fällt es schwer, die Befürchtungen seiner Mutter auch nur ansatzweise zu verstehen. Schließlich ist er nun endlich erwachsen, schließlich hat er die Fahrprüfung schon beim ersten Versuch bestanden, schließlich trägt er stolz den amtlichen Nachweis in der Hosentasche, dass er sehr wohl in der Lage ist, alleine ein Auto über Autobahnen oder durch dichten Feierabendverkehr zu steuern!

      Immerhin hat die Mutter sich nach reichlich Fürsprache des Vaters dazu überreden lassen, das vor kurzem noch so hilfsbedürftige, unselbstständige Kind in ihrem Auto Fahrpraxis sammeln zu lassen. Aber muss sie nun ängstlich darüber wachen, dass er auch ja keinen kilometerweit entfernt auf dem Radweg fahrenden Radfahrer übersieht? Muss sie vor jeder Kurve hörbar den Atem anhalten und sich panikartig an den Türgriff klammern? Muss sie ihn vor jeder Fahrt zur Vorsicht und zur Rücksicht auf ihre angstgestressten Nerven mahnen?

      Man kann sich leicht ausmalen, dass zwischen dem gerade fahrtüchtig gewordenen Sohn und seiner beschützerinstinkt-geleiteten Mutter nur selten traute Harmonie herrscht. Auch wenn der Sohn irgendwann weitere Schritte ins Leben unternimmt und zu Hause auszieht, wird dieser Konflikt beide Seiten noch lange verfolgen. Die Mutter, die nun keinerlei Möglichkeiten mehr hat, auf ihren Sohn aufzupassen, und deren Fantasie sich darum umso schlimmere Bilder ausmalt, was diesem auf seinen Fahrten so alles zustoßen könnte. Und den Sohn, der auch ohne die mahnende Anwesenheit

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