Tropenkoller. Georges Simenon
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»Siehst du nicht, Idiot, dass die Leute dort was zu trinken haben wollen?«
Mit unvermuteter Sanftheit wechselte er dann die Grammophonnadel. Auch Timar spitzte die Ohren, fing Satzfetzen auf und versuchte zu verstehen. Aber das war fast unmöglich. Den großen, ziemlich gewöhnlichen jungen Mann am Nebentisch, der aussah wie ein Student im dritten Semester und schon bei seinem zehnten Whisky war, zum Beispiel, nannte man Herr Staatsanwalt. Holzfäller erzählten:
»… solange es keine Spuren gibt, ist es ungefährlich. Aber die lassen sich leicht vermeiden: Du tust ihm ein nasses Handtuch auf den Rücken. Dann kannst du loslegen. Die Nilpferdpeitsche hinterlässt keine Striemen.«
Auf dem Rücken des Schwarzen natürlich!
Hatte Timar schon eine ganze Flasche getrunken? Man brachte ihm eine neue und füllte sein Glas. Er sah einen Teil der Küche, und genau in diesem Augenblick schlug die Wirtin Thomas mit der Faust ins Gesicht. Was bedeutete das? Der Schwarze zuckte nicht mit der Wimper, nahm die Schläge bewegungslos, mit starrem Blick hin.
Dieselben Platten wurden zehnmal gespielt. Einige Paare tanzten. Die meisten der männlichen Gäste hatten sich ihrer Jacketts entledigt.
Draußen stand noch immer dieses Spalier aus stummen Schwarzen, die zusahen, wie sich die Weißen amüsierten.
Der Wirt saß neben dem Grammophon und sah so grimmig und streng drein, dass sein Ausdruck etwas Tragisches bekam.
Was ging hier vor? Nichts natürlich! Timar hatte dummerweise zu viel Champagner getrunken, und mit einem Schlag stiegen all seine kleinen Ängste, all die beklommenen Gefühle der letzten Tage wieder an die Oberfläche.
Er hätte gern etwas zu Adèle gesagt, irgendetwas, nur um den Kontakt aufzunehmen. Er sah zu ihr hin, aber es gelang ihm nicht, ihren Blick einzufangen. Als sie dann an einen Tisch gerufen wurde, kam sie dicht an ihm vorüber, und er war so kühn, sie mit zwei Fingern an ihrem Kleid zu fassen.
Ein kurzes Innehalten. Ein flüchtiger Blick. Ein Satz:
»Warum hast du die Frau deines Chefs nicht längst zum Tanz aufgefordert?«
Er sah in die Richtung, in die ihr Kinn deutete, und erblickte eine dicke Frau im rosafarbenen Kleid neben dem Direktor der Sacova. Warum hatte Adèle das gefragt? Und warum so nervös? War sie etwa eifersüchtig? Er wagte es nicht zu hoffen. Im Übrigen hatte er keine andere Frau angesehen.
Mit dem üblichen Lächeln sprach sie mit den Gästen. Aber sie kehrte nicht an die Kasse zurück, sondern ging zu der Tür hinten im Lokal, die auf den Hof führte. Niemand bemerkte es außer Timar, der ohne Bewusstsein ein weiteres Glas leerte.
›Ich bin vielleicht ein Dummkopf! Wie konnte ich hoffen, der Einzige zu sein!‹
Was hätte er darum gegeben, sie jetzt in den Armen zu halten, ihren erhitzten, hingegossenen Körper, der unvorstellbar biegsam war.
Wie viele Minuten verstrichen? Fünf? Zehn? Der Wirt, immer noch mit tragischem Ausdruck, drehte das Grammophon auf. Timar bemerkte eine Flasche Mineralwasser neben ihm.
Adèle kam nicht wieder herein. Eugène, dem ihre Abwesenheit vielleicht bewusst geworden war, sah sich suchend um.
Timar erhob sich zögerlich, erstaunt über sein schwammiges Gefühl, und durchquerte wankend den Raum. Er erreichte die kleine Tür, den Hof, eine weitere Tür, die ins Freie führte. Im Dunkeln kam jemand angelaufen und stieß ihn an. Es war Adèle.
»Endlich …«, stammelte er.
»Lass mich vorbei, du Dummkopf!«
Es war stockfinster. Musik war zu hören. Das schwarze Kleid verschwand, und er stand da, ratlos, gekränkt und traurig.
Auf der Wanduhr war es drei. Manuelo hatte seinen Auftritt längst beendet und das Geld eingesammelt. Wieder zum Mann geworden, trank er an einem Tisch Pfefferminzlikör und erzählte von seinen Erfolgen in Casablanca, in Dakar und Belgisch-Kongo.
Adèle füllte an der Theke Gläser, mit konzentriert gerunzelter Stirn.
Der Staatsanwalt, der zwischen den beiden Engländern an der Bar saß, war betrunken und sarkastisch.
Viele Leute waren schon gegangen. Die Holzfäller, die an zwei Tischen saßen, aßen Sandwiches und tranken Bier.
»Schluss mit der Musik!«, brüllte einer von ihnen. »Stell das Ding ab, Eugène, komm und trink mit uns.«
Der Wirt erhob sich. Sein Mund war seltsam verzerrt. Er blickte in den schmutzigen Raum, auf die herumliegenden Luftschlangen, die leeren Gläser, die befleckten Tischtücher, und seine Augen glänzten wie im Fieber. Als wäre ihm schwindelig, schwankte er zur Tür und stammelte:
»Ich komme gleich.«
Adèle zählte und bündelte Geldscheine und streifte ein Gummiband über jedes Bündel.
Timar, hundemüde, ausgehöhlt und angeekelt, trank mechanisch seinen Champagner aus, und niemand hätte später sagen können, wie lange der Wirt fortgeblieben war.
Als er wieder hereinkam, wirkte er noch größer und schwerer, aber so kraftlos, dass es fast komisch war.
Er blieb im Türrahmen stehen und rief:
»Adèle!«
Seine Frau sah ihn an, zählte aber weiter ihre Geldscheine.
»Ist der Doktor schon gegangen? Lass ihn schnell holen.«
Ein tiefes Schweigen, dann sagte er:
»Wo ist Thomas? Ich sehe Thomas nicht.«
Timar und alle anderen hielten Ausschau nach ihm. Aber es waren nur die beiden für den Abend engagierten jungen Boys zu sehen.
»Du bist wohl nicht recht auf dem Damm?«, fragte einer der Holzfäller.
Der Wirt starrte ihn an, als wollte er ihn erdrosseln.
»Macht den Laden dicht«, sagte er in scharfem Ton. »Verstanden? Der Doktor soll kommen, wenn er nicht zu besoffen ist. Egal, ich bin erledigt. Blut im Urin, Schwarzwasserfieber …«
Timar verstand nicht. Aber die Gäste schienen zu begreifen, denn sie standen hastig auf.
»Eugène! Du …«
Eugènes Stimme klang erschöpft.
»Lasst mich in Frieden. Macht den Laden dicht!«
Und er verschwand im Flur. Eine Tür schlug zu, und man hörte, wie er gegen einen Stuhl trat.
Adèle war leichenblass geworden. Sie hatte den Kopf gehoben. Sie hörte etwas. Ein Geräusch, das näher kam und deutlicher wurde. Eine Gruppe von vier oder fünf Schwarzen blieb an der Tür stehen.
Timar