Tropenkoller. Georges Simenon
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Читать онлайн книгу Tropenkoller - Georges Simenon страница 6
Der Boy war neu und noch sehr jung. Jemand zupfte Timar am Ärmel, und als er sich umwandte, erkannte er einen der Holzfäller, den Kräftigsten unter ihnen, der aussah wie ein Metzger.
»Das war’s!«
»Was?«
Er wies zur Decke.
»Er ist gerade gestorben. Übrigens, was hat er Ihnen gesagt?«
Das ging ihm alles zu schnell, besonders an diesem betäubend heißen Mittag. Vergeblich bemühte sich Timar, seine Gedanken zu ordnen, und merkte, wie lächerlich seine Frage war:
»Wer?«
»Der Kommissar! Er hat Sie als Ersten vorgeladen, weil er sich dachte, ein Neuer lässt sich leichter grillen. Heute Nachmittag oder morgen sind wir an der Reihe.«
Niemand hörte auf zu essen, aber die Blicke aller waren auf Timar gerichtet, der nicht wusste, was er sagen sollte, weil er immerzu an den Toten dort oben denken musste, bei dem Adèle sicherlich wachte, und an die Geschichten des Kommissars.
»Meinen Sie, er weiß etwas?«
»Schwer zu sagen. Ich habe erklärt, dass ich nichts gesehen habe.«
»Aha! Gut.«
Das rechnete man ihm also an. Man betrachtete ihn jetzt wohlwollender. Also wussten diese Leute, dass er etwas wusste? Wussten sie also auch etwas?
Timar errötete, aß eine Wurstscheibe und hörte sich zu seinem eigenen Erstaunen sagen:
»Hat er sehr gelitten?«
Dann merkte er, dass er diese Frage nicht hätte stellen dürfen, dass der Todeskampf schrecklich gewesen sein musste.
»Dumm, dass es gleich nach der Affäre mit dem Erhängten passiert ist«, sagte der einäugige Holzfäller.
Sie hatten auch daran gedacht. Alle hatten daran gedacht. Letztendlich hielten sie sich alle an die Spielregeln, und sie alle sahen Timar neugierig und misstrauisch an, weil er an dem Spiel nicht beteiligt war.
Oben im Zimmer hörte man Schritte. Eine Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen. Jemand kam die Treppe herunter.
Adèle Renaud durchquerte das totenstille Lokal, ging zur Theke und nahm den Telefonhörer ab.
Sie sah aus wie immer, eingeschlossen die Brüste, die sich deutlich unter der Seide des Kleides abzeichneten. Die Feststellung war kindisch, trotzdem war es das, was Timar am meisten störte, als gehörte es zur Trauer, Unterwäsche zu tragen.
»Hallo! … Die Fünfundzwanzig, ja … Hallo! … Ist Oskar nicht da? … Ja, ich bin es … Sobald er zurückkommt, sagen Sie ihm bitte, dass es vorbei ist und er kommen und das Nötige erledigen soll … Der Arzt will nicht, dass die Leiche länger als bis morgen Mittag hierbleibt … Nein, danke … es ist alles in Ordnung.«
Nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, stützte sie sich eine Weile mit den Ellenbogen auf die Bar, das Kinn in den Händen, und blickte starr vor sich hin. Dann sagte sie, ohne sich dem Boy richtig zuzuwenden:
»Na los, wann räumst du endlich den Tisch dort hinten ab?«
Sie öffnete eine Schublade, schloss sie wieder, wollte schon hinausgehen, besann sich dann aber eines anderen und lehnte sich wieder an die Bar, das Kinn in die gefalteten Hände gestützt. Am Tisch der Holzfäller rief jemand:
»Wird er morgen beerdigt?«
»Ja. Der Doktor behauptet, es sei nicht ratsam, ihn länger hierzubehalten.«
»Wenn Sie Hilfe brauchen …«
»Danke! Es ist schon alles vorbereitet. Der Sarg wird bald gebracht.«
Dabei sah sie Timar an. Er spürte ihren Blick und wagte nicht, die Augen zu heben.
»Waren Sie beim Kommissar, Monsieur Timar? War er sehr unangenehm?«
»Nein … Ich … Er kennt meinen Onkel, der Departementsrat ist, und er …«
Er verstummte, denn wieder spürte er um sich herum diese spöttische, aber durchaus respektvolle Neugier, die ihn verwirrte. Gleichzeitig sah er eine Sekunde lang über Adèles geschwungene Lippen ein gerührtes Lächeln huschen.
»Ich habe Sie umquartiert, denn es gibt kein anderes Zimmer, in das ich die Leiche heute Nacht legen kann.«
Sie drehte sich zu den aufgereihten Flaschen um, wählte einen Calvados, schenkte sich ein und trank mit vor Abscheu verzogenen Mundwinkeln. Dann fragte sie mit sachlicher Stimme:
»Was hat man mit dem Schwarzen gemacht?«
»Man hat ihn ins Hospital gebracht. Dort soll heute Nachmittag die Autopsie vorgenommen werden. Die Kugel scheint zwischen den Schulterblättern wieder ausgetreten zu sein und wurde noch nicht gefunden.«
Diese letzten Worte waren mit Absicht gesagt worden. Achselzuckend schob sich der Holzfäller eine dottergelbe Aprikosenhälfte in den Mund und fuhr fort:
»Ein schwarzer Polizist ist am Tatort, um zu verhindern, dass jemand die Kugel mitnimmt, wenn er sie findet. Nun ja, falls man sie findet! Wer spielt eine Partie Billard mit mir?«
Er stand auf und wischte sich den Mund mit seiner Serviette ab. Als niemand ein Wort sagte, murmelte er nach kurzem Zögern:
»Vielleicht spielen wir heute lieber kein Billard. Bring mir einen Calvados, Adèle.«
Und er lehnte sich ihr gegenüber an die Theke, während die anderen weiteraßen. Timar war das Blut in die Wangen gestiegen. Achtlos stopfte er das Essen in sich hinein und zuckte jedes Mal wütend zusammen, wenn eine dicke Fliege vorbeiflog, die sich ihn zum Mittelpunkt ihrer Flugübungen auserkoren hatte.
Es war schwül. Draußen regte sich kein Lüftchen. Selbst das mit einem leichten Kräuseln anlandende Meer war nicht zu hören.
Nur aus der Küche hinter der Durchreiche drang hin und wieder das Klappern von Tellern. Der stellvertretende Direktor der Bank, ein hochgewachsener junger Mann, der seine Mahlzeiten im Hotel einnahm und dessen Gebaren denen Timars nicht unähnlich war, ging als Erster hinaus, nachdem er seinen Tropenhelm aufgesetzt und sich eine Zigarette angezündet hatte.
Bald darauf würden sich auch die anderen erheben. Einige würden vorher an der Theke noch einen Schnaps trinken. Jedenfalls würden, sobald die Zeiger der Wanduhr auf zwei vorrückten, Timar und Adèle allein im Lokal sein.
Timar überlegte, ob er so lange bleiben sollte. Die vier Whisky vom Vormittag hatten ihn müde gemacht. Sein Kopf war leer und tat ihm weh, aber er traute sich nicht, sich in einem anderen Zimmer schlafen zu legen, während man den Toten in das seine brachte.
Jemand fragte, ein Glas Schnaps in der Hand:
»Können wir ihn noch mal sehen, bevor der Sarg geschlossen wird?«
»Ich glaube nicht. Um fünf Uhr wird alles