Perry Rhodan Neo 244: Iratio. Rüdiger Schäfer

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Perry Rhodan Neo 244: Iratio - Rüdiger Schäfer Perry Rhodan Neo

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wollten geführt werden. Sie wollten Sicherheit, einen bescheidenen Wohlstand, ein planbares Leben ohne Unwägbarkeiten und Überraschungen. Wer ihnen das garantierte, dem leckten sie bereitwillig die Stiefel. All das Gefasel über geistige Entfaltung und kulturelles Wachstum war nichts als heiße Luft. Menschen waren dumm und bequem. Punkt.

      Diese Erkenntnisse hatte Iratio keineswegs nur theoretisch verinnerlicht. Sie beruhten auf seiner Erfahrung und dem langjährigen Studium der menschlichen Natur. Wenn man über einen halbwegs funktionierenden Intellekt verfügte, konnte man zu gar keinen anderen Schlüssen gelangen.

      Er drehte seine unförmige Hand hin und her. An ihrer Spitze konnte er bereits schmale Erhebungen erkennen, die sich zu Fingern ausbildeten. Ja, die menschliche Natur. Hybris und Nemesis zu gleichen Teilen, an der sich Wissenschaftler und Philosophen vergeblich abgearbeitet hatten. Nicht so er selbst, denn er hatte einen einzigartigen und ganz besonderen Zugang zum Thema.

      Er war kein Wissenschaftler.

      Er war kein Philosoph.

      Er war Iratio Hondro – und das reichte allemal aus.

      1.

      Quito, 2056

      Obwohl Iratio Hondro nur einen sehr leichten Schlaf hatte, wusste er im ersten Augenblick nicht, warum er aufgewacht war. Um ihn herrschte bedrückende Schwärze. Er wartete ein paar Sekunden, in denen er intensiv in die Stille lauschte. Nach und nach gewöhnten sich seine Augen an die Lichtverhältnisse, und erste Konturen schälten sich aus der Dunkelheit.

      Der dünne Stoff der Vorhänge filterte das matte Orange der Straßenlaternen zu einem milchigen Schleier, der wie Nebel durch das kleine Zimmer kroch und die Welt seltsam unwirklich erscheinen ließ. Es musste bereits weit nach Mitternacht sein. In der Ferne waren hin und wieder Sirenen zu hören – und das leise Rauschen des Verkehrs auf der Avenida Diez de Agosto, das man irgendwann nicht mehr bewusst wahrnahm.

      Einen Moment lang glaubte er, noch immer zu schlafen und einen besonders realistischen Traum zu haben, doch dann hörte er die wütende Stimme seines Vaters. Sie kam von unten aus dem winzigen Wohnzimmer und drang beinahe ungedämpft durch die dünnen Holzwände und -decken des Apartments bis zu ihm herauf.

      »Zwing mich nicht, mich zu wiederholen, vaca maldita!« Es folgte ein dumpfes Klatschen, bei dem Iratio zusammenzuckte. Dann der spitze Schrei einer Frau.

      »Hör auf zu flennen, pícara, und mach, was ich dir gesagt habe, verdammt!« Der Junge zog die Beine eng an den Körper und die Decke bis zum Kinn. Nein, er träumte nicht. Das war die Realität in einer Aufführung, wie er sie nicht zum ersten Mal erlebte. Vater spielte dabei stets die Hauptrolle. Lediglich die Nebenrollen wurden alle paar Wochen neu besetzt.

      Iratio schloss die Augen, doch er wusste aus Erfahrung, dass er nun nicht mehr würde einschlafen können. Bewegungslos kauerte er auf der dünnen Matratze, während sich in seinem Kopf die Gedanken jagten.

      Du wirst nicht aufstehen und nachschauen!, befahl er sich energisch. Diesmal nicht. Auf gar keinen Fall. Du weißt ganz genau, was da unten passiert. Und du weißt auch, dass er dich grün und blau schlägt, wenn er dich entdeckt!

      Eine Träne löste sich aus seinem Augenwinkel und rollte ihm über die Wange bis zum Kinn. Sofort zwickte er sich mit aller Kraft in das weiche Fleisch zwischen Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand. Der Schmerz war brutal, aber er brachte ihn zur Besinnung. Hör auf zu flennen. Das sagte Vater auch immer zu Iratio. Vater hasste Schwächlinge. Und noch mehr hasste er es, wenn sich sein einziger Sohn wie ein Schwächling benahm.

      Ohne es wirklich zu wollen, stand Iratio auf, und wie immer war es so, als würde ihn ein geheimnisvoller Marionettenspieler an unsichtbaren Schnüren lenken. Er war ihm hilflos ausgeliefert, musste sich den Zügen und Drehungen der dünnen Seile fügen, obwohl er wusste, dass sie ihn geradewegs ins Verderben führten.

      Iratio fröstelte. Er trug lediglich ein dünnes T-Shirt und eine kurze Hose. Vater erlaubte nur selten, die Heizung anzustellen, denn das kostete Geld. Geld, das er für den Aguardiente brauchte, den er jeden Tag in sich hineinschüttete. Die von ihm bevorzugte Sorte des in ganz Ecuador beliebten Zuckerrohrschnapses war zwar billig, aber bei den Mengen, die er konsumierte, reichte die schmale Staatsrente dafür trotzdem nicht annähernd aus.

      »Ja ...«, hörte er seinen Vater sagen. Seine Stimme klang nun deutlich weicher ... beinahe fröhlich. »So ... ist es gut ...«

      Iratio spürte Gänsehaut an seinen Armen. Er hatte schon öfter gesehen, was dort unten geschah, auch wenn er es nicht vollständig verstand. Immerhin war Vater danach meistens in besserer Stimmung. Er trank dann häufig noch eine halbe Flasche Schnaps, bevor er auf dem fleckigen Sofa einschlief und den Rest der Nacht vor sich hin schnarchte.

      Langsam, Stufe für Stufe, bewegte sich der Junge die Treppe hinab. Dabei achtete er sorgfältig darauf, die drei knarrenden Tritte im Mittelteil der Stiege zu meiden. Seine nackten Füße fühlten sich schon nach kurzer Zeit wie Eisklumpen an; sein Gesicht dagegen schien in Flammen zu stehen, und sein Herz klopfte so schnell und hart, dass er überzeugt war, die Schläge müssten wie Gewitterdonner durch die Dunkelheit dröhnen. Jeden Moment würde Vater sie hören.

      Als Iratio das Ende der Treppe erreichte, duckte er sich. Die schmale Diele lag im Dämmerlicht der Wohnzimmerlampe, die lediglich aus einer staubigen Glühbirne an der Decke bestand. Aus der Küche drang ein milchiger Schimmer. Wahrscheinlich hatte Vater sich wie immer ein Bier geholt und dabei die Kühlschranktür nicht richtig geschlossen. Meistens gab der altersschwache Kompressor des Geräts nach ein paar Minuten einfach den Geist auf, und natürlich war am nächsten Morgen Iratio schuld daran, dass die wenigen Lebensmittel verdorben und – noch viel schlimmer – das Frühstücksbier warm war. Noch bevor er den Kompressor wieder zusammenflicken durfte, setzte es deshalb erst mal eine Tracht Prügel.

      Er überlegte kurz, ob er hinüberhuschen und die Kühlschranktür schließen sollte, entschied sich jedoch dagegen. Um in die Küche zu gelangen, musste er die gesamte Breite der Diele durchqueren. Die Gefahr, dass er dabei entdeckt wurde, war viel zu groß – und die Schläge, die er für unerlaubtes Herumstreunen in der Nacht zu erwarten hatte, würden weitaus schlimmer ausfallen als die sonst übliche Bestrafung.

      Warum schleichst du dann überhaupt hier herum, fracasado?, fragte eine lästige Stimme in seinem Verstand. Warum legst du dich nicht wieder ins Bett und wartest, bis er eingeschlafen ist?

      Iratio wusste es nicht. Vorsichtig schob er den Kopf um den Pfosten des Treppengeländers und spähte in Richtung Wohnzimmer. Links des bogenförmigen Durchgangs konnte er den fleckigen Polstersessel sehen. Das riesige Sitzmöbel war der Lieblingsplatz seines Vaters und an zahllosen Stellen mit Isolierband geflickt, um das Herausquellen der Füllung zu verhindern. Daneben stand ein schlichter Holztisch, beinahe vollständig mit Bier- und Schnapsflaschen bedeckt; die meisten davon leer. Der uralte Trividwürfel war von Iratios Position aus nicht zu erkennen. Lediglich das Flackern an den Wänden verriet, dass er eingeschaltet war. Der Ton war so leise, dass Iratio ihn nur als dumpfes Murmeln vernahm.

      Vater saß breitbeinig auf dem Sofa. Die muskulösen Arme ruhten auf der Rückenlehne. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Über sein rotes Gesicht mit dem ungepflegten Fünftagebart spielte ein seliges Lächeln. Sein Atem ging schwer und keuchend.

      Vor ihm kniete eine Frau, die Iratio nicht kannte. Vater brachte immer mal wieder Frauen mit, die er, sofern er sich überhaupt zu einer Vorstellung herabließ, als »Freundinnen« bezeichnete. Keine davon blieb länger als ein paar Tage. Und keine von ihnen kam jemals wieder.

      Die

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