Mami Box 1 – Familienroman. Claudia Torwegge
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Читать онлайн книгу Mami Box 1 – Familienroman - Claudia Torwegge страница 14
»Dahinter sind auch die von mir. Aber mein schöner bunter Rock – da hat jemand reingeschnitten.« Sie zeigte ihn Vera.
»Da sind ja richtige Löcher drin, wer hat denn das getan?«
»Niemand will das gewesen sein. Manche sind so gemein. Entschuldige bitte, Tante Vera. Der war sicher sehr teuer.«
»Ach wo, das war er nicht, und du brauchst dich nicht für diese Untat zu entschuldigen.« Vera packte Lauras bescheidenen Bestand in die mitgebrachte Reisetasche. War das ein Segen, daß sie von diesem frechen Volk hier wegkam, die ihr jedes bißchen geneidet hatten.
Aber dann kamen einige der Kinder herbei, sie schauten stumm. Verschlossene Gesichter, ausdruckslos, und doch mit so einem hungrigen Ausdruck in den Augen, daß es Vera erschütterte. Sie wußten: Da durfte eines von ihnen gehen. Ach, diese Verlassenen waren nicht schlecht oder gemein von Natur aus, da waren sie Kinder wie alle anderen, nur ihre armen, verkümmerten Seelen wehrten sich und taten die falschen Dinge, um ihre Aggressionen abzubauen. Es war ihnen, auf welche Weise auch immer, schon zuviel angetan worden in ihrem kleinen Leben.
Vera war froh, als sie, an der einen Hand Laura, in der anderen die Reisetasche, das Karolinen-Haus hinter sich lassen konnte.
»Na, du Spatz«, begrüßte Edgar, als er kam, die neue kleine Hausgenossin, »gefällt dir dein Zimmer?«
Stumm und überwältigt nickte Laura. Sie mußte das erst begreifen, daß sie ein Zimmer für sich hatte und für immer hier sein durfte. Aber es dauerte lange, bis sie es wagte, Papa zu ihm zu sagen. Bei ihrer Tante Vera war das anders, da kam es ihr gedehnt und beinahe andächtig über die Lippen, dieses »Ma – ma«, als koste sie es aus. Galt es doch der Frau, der ihr kleines Herz schon zugeflogen war, als sie sie nur von fern sah.
Vera merkte bald, daß die Anwesenheit des Kindes ihr Leben bereicherte. Laura ging nun in die Schule, und sie tat es gern. Vera hatte sie darauf vorbereitet, in den vergangenen Wochen schon mit ihr geübt, was manche andere in einer Vorschule gelernt hatten. Dabei hatte sie entdeckt, daß Laura rasch begriff, was um so erstaunlicher war, als doch früher niemand sich jemals mit ihr beschäftigt und ihren Geist geweckt hatte. Nun holte sie auf, überwand ihre anfängliche Scheu und Schüchternheit mit Veras Hilfe.
Ein kleines Mädchen aus dieser Straße namens Bärbel war auch eingeschult worden. Vera fand Kontakt zu Bärbels Mutter, sie trafen sich auf dem Schulweg, den sie die Kinder zunächst nicht allein gehen ließen und sie tauschten ihre Erfahrungen aus. Es war ein neues Gefühl für Vera, sich nun als Mutter zu fühlen und mitreden zu können.
Dann fanden Laura und Bärbel den Weg allein, der für sie ohne Gefahren war, und da sie sich angefreundet hatten, blieb auch Vera mit Frau Schuler in freundlicher Verbindung. Man stand mehr im Leben, wenn ein Kind da war.
Ihre Schwester Jenny hatte zu der Veränderung im Haus nicht viel gesagt. »Es muß jeder selber wissen, was er tut«, war ihre einzige Äußerung gewesen. Wußte sie es?
Vera fragte sich das manchmal in banger Sorge. Jenny zog sie nicht mehr ins Vertrauen. Sie hielt sich fern von ihr, was nichts Gutes ahnen ließ.
Katrin und Claus waren mit der Schule beschäftigt und mit ihren Freundinnen und Freunden, die sie reichlich hatten. Manchmal kamen sie aber doch, um ihre Tante Vera zu besuchen. Inzwischen hatten sie es akzeptiert, daß Laura nun dazugehörte.
»Aber wieso darf sie Mama zu dir sagen?« hatte Katrin fast entrüstet gefragt, als sie es zum ersten Mal aus Lauras Mund hörte. »Tante reichte doch auch, wo sie nur ein fremdes Waisenkind ist.«
»Wir sind ihre Pflegeeltern geworden, Katrin«, erklärte Vera dem Mädchen ernst, »und für Laura ist das etwas ganz Großes, Schönes, mich so nennen zu dürfen, weil sie doch nie eine Mutter gehabt hat.«
»Dann lassen wir sie doch«, meinte Claus, der immer der Friedlichere und Gutmütigere von ihnen war.
Katrin, die auf Äußerlichkeiten Wert legte, fand, daß Laura allmählich auch netter aussah. Sie war nicht mehr so spindeldünn, ihr Gesicht zeigte etwas Farbe und hatte sich sanft gerundet. Immer hübsch angezogen, war sie weit entfernt von dem »Bettelkind«, als das Katrin sie früher betrachtet hatte.
Eines Tages im Spätherbst rief Katrin bei ihrer Tante an.
»Könnten Claus und ich wohl übers Wochenende bei euch sein, Tante Vera? Mama ist nämlich nicht da, und Papa müßte ganz dringend zu einer Kunstauktion nach London fliegen. Das wußte er vorher nicht, es geht aber um was sehr Wichtiges.« Sie holte Atem, weil sie das nur so hervorgesprudelt hatte.
»Wo ist eure Mutter denn?« fragte Vera, bei der eine Alarmglocke anschlug.
»Sie ist zur Hochzeit bei einer Freundin eingeladen«, antwortete Katrin. »Geht das, daß wir kommen, weil Papa nicht möchte, daß wir allein im Haus bleiben. Fänden wir auch nicht so schön.«
»Warum ruft euer Papa mich denn nicht selber an?«
»Ach, der rauft sich die Haare, weil das jetzt so blöd zusammentrifft, und er meint, ihr hättet doch jetzt die Laura und auch nicht mehr soviel Platz.«
»Für euch habe ich immer Platz, Katrinchen. Richte das dem Papa aus.«
Sie kamen schon am Freitag abend, brachten ihr Nachtzeug mit und berichteten wortreich, wie es bei ihnen zu Hause derzeit zuging. Die Mutter nicht da, der Vater überlastet, und Frau Müller konnte auch nicht kommen, weil sie den Fuß in Gips hatte. »Wir sind total gestreßt«, behauptete Katrin.
»Na, dann ruht euch hier mal aus«, sagte Vera, trotz allem ein wenig erheitert über die dramatische Schilderung der Zustände.
Am Sonnabend schlug Edgar vor, daß sie alle zusammen in den Zirkus gehen sollten. Das Zelt würde geheizt sein, da konnte ihnen das ungemütliche Wetter mit Regen- und Graupelschauern nichts anhaben.
»Ich mag aber keine wilden Tiere sehen«, sagte Katrin. »Die brüllen und stinken nur.« Daraufhin machte auch Laura ein ängstliches Gesicht. Sie hatte keine Ahnung, wie es in einem Zirkus war. Aber wenn Katrin, die doch schon groß war und immer überlegen tat, davor zurückschreckte, wollte sie da auch nicht hin.
»Pah, was sind Mädchen doch für Angsthasen«, spottete Claus. »Die Löwen sind doch hinter Gittern und können einem gar nichts tun.«
»Meinste, das wüßt’ ich nicht?« fuhr seine Schwester ihn an. »Ihr könnt ja gehen, hab ich doch gar nichts gegen.«
Bevor die beiden sich wieder in die Haare gerieten, griff die Tante vermittelnd ein. »Dann geht Onkel Edgar eben nur mit Claus. Aber du, Laura, möchtest du das nicht auch mal erleben? Das ist schon schön, du wirst es sehen. Da sind auch Clowns und Tänzerinnen, und vieles ist ganz lustig.«
»Weiß nicht«, wisperte die Kleine unentschlossen.
»Klar kommst du mit!« rief Claus. »Wir nehmen dich in die Mitte, da kann dir überhaupt nichts passieren.« Bei Laura fühlte er sich immer ein wenig in der Beschützerrolle.
So blieb Vera mit ihrer Nichte zu Hause.
»Ich wollte das gern, Tante Vera, mal mit dir allein sein«, gestand die Zwölfjährige und zupfte an den Ärmeln ihres Pullovers.
Aufmerksam