Aus den Akten der Agence O. Georges Simenon

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Aus den Akten der Agence O - Georges  Simenon Red Eye

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mir diesen Umschlag anvertraut. Wenn er Ihnen die ganze Sache erklärt hat, werden Sie verstehen, warum ich so nervös bin und solche Angst habe. Diese Leute sind absolut skrupellos.«

      Währenddessen ist der rothaarige Émile weiterhin wie ein gehorsamer Bürodiener seinen Aufgaben nachgegangen. Nachdem er das Verzeichnis französischer Notare und das Telefonbuch für Charente-Inférieur durchgesehen hat, sitzt er jetzt über dem Zugfahrplan, ohne jedoch die Frau länger als ein paar Sekunden aus den Augen zu lassen.

      Wirklich ziemlich gut aussehend, diese junge Dame. Sie ist exakt so gekleidet, wie sich eine Tochter aus guter Familie vom Land kleiden sollte. Ihr graues, maßgeschneidertes Kostüm sitzt perfekt. Ihr Hut ist modern, aber nicht zu ausgefallen. Sie trägt perlgraue Wildlederhandschuhe.

      Aber da ist eine Kleinigkeit, die Torrence nicht sehen kann, weil er zu nah bei ihr ist und weil es schwierig ist, eine Person mit voller Aufmerksamkeit zu mustern, während man mit ihr spricht.

      Wohingegen Émile an seinem Mikroskop, wie er den Spion zu nennen pflegt …

      Wenn sie, wie sie gerade behauptet hat, La Rochelle eilig verlassen musste, wenn sie den größten Teil der Nacht im Zug gesessen hat, wenn sie gerade erst in Paris angekommen ist und vom Bahnhof direkt ein Taxi hierher in die Cité Bergère genommen hat, wie kommt es dann, dass ihr einfaches und absolut gediegenes Kostüm noch immer diese ordentlichen Falten aufweist, besonders die an den Ärmeln, die entstehen, wenn man Kleider in einem Koffer zusammenlegt?

      La Rochelle … Mal sehen, von La Rochelle nach Paris-Gare d’Orsay … Nun, der einzige Zug, mit dem sie hätte kommen können, ist um 6 Uhr 43 in Paris eingetroffen.

      »Alles, worum ich Sie bitte«, sagt sie nochmals zu Torrence, »ist, dass Sie diese Dokumente sicher in Ihrem Safe aufbewahren, bis mein Vater kommt. Ich bitte Sie, Monsieur. Er wird Ihnen alles erklären. Und ich bin mir sicher, dass Sie sich danach nicht weigern werden, uns zu helfen.«

      Sie lügt gut. Sie ist sogar sehr überzeugend. Sie läuft auf und ab. Ist auch ihre Nervosität gespielt?

      »Nun, wenn Sie mir versichern können, dass Ihr Vater heute Nachmittag hier sein wird …«, erklärt sich Torrence widerwillig bereit. »Aber ich hätte trotzdem gerne eine Adresse von Ihnen hier in Paris. Haben Sie schon ein Hotel?«

      »Noch nicht. Das habe ich als Nächstes vor. Ich wollte nur zuallererst hierherkommen.«

      »In welches Hotel werden Sie gehen?«

      »Ich glaube … Ins Hôtel d’Orsay. Ja, direkt am Bahnhof. Sie werden dieses Dokument für mich aufbewahren, nicht wahr? Es ist doch sicher dort, oder? Niemand würde es wagen, Ihren Safe anzurühren?«

      Sie versucht, ein blasses Lächeln zustande zu bringen.

      »Nein, das würde in der Tat niemand wagen, Mademoiselle. Und nur zu Ihrer Beruhigung werde ich den Umschlag gleich jetzt vor Ihren Augen hineinlegen.«

      Und der gute Riese Torrence steht auf, zieht einen kleinen Schlüssel aus seiner Tasche und öffnet den Safe. Die junge Frau tritt einen Schritt näher.

      »Wenn Sie wüssten, wie erleichtert ich bin, die Dokumente endlich an einem sicheren Ort zu wissen!«, sagt sie. »Die Ehre, das Leben einer ganzen Familie steht auf dem Spiel …«

      Während Torrence den Safe sorgfältig wieder abschließt, greift Émile erneut zum Hörer, aber diesmal klingelt es am Empfang, wo der Bürodiener Zeitung lesend im Warteraum sitzt. Ihr Gespräch ist kurz, wenn man es überhaupt als Gespräch bezeichnen kann. In Wirklichkeit sagt Émile nur:

      »Hut …«

      Gleichzeitig runzelt der junge Rotschopf die Stirn. Als der Safe wieder geschlossen ist, lehnt sich Denise taumelnd an Torrence’ Schreibtisch und stammelt:

      »Oh, ich bitte um Verzeihung! Ich konnte es bis jetzt zurückhalten … Aber es war solch eine Anspannung … Jetzt, wo meine Aufgabe fast erledigt ist, werde ich … Ich …«

      »Fühlen Sie sich nicht wohl?«, fragt Torrence besorgt.

      »Ich weiß nicht, ich …«

      »Vorsicht!«

      Sie ist in seine Arme gesunken. Ihre Augen sind halb geschlossen. Sie ringt nach Luft und kämpft gegen die Ohnmacht an.

      Torrence will um Hilfe rufen, aber sie protestiert.

      »Nein. Verzeihen Sie bitte. Es ist wirklich nichts. Nur ein dummer Schwächeanfall …«

      Sie versucht ihn anzulächeln, ein armseliges, kleines Lächeln, das das Herz des kräftigen Torrence rührt.

      »Sie werden doch um vier Uhr hier sein, nicht wahr?«, fragt sie. »Dann komme ich mit meinem Vater. Sie werden alles erfahren. Jetzt bin ich ganz sicher, dass Sie uns Ihre Hilfe nicht verweigern.«

      Sie steht in der Mitte des Büros. Sie bückt sich.

      »Mein Handschuh«, sagt sie. »Auf Wiedersehen, Monsieur, ich kann Ihnen versichern …«

      Barbet, der Bürodiener, den sie so nennen, weil seine strähnigen Barthaare an den gleichnamigen Vogel erinnern, bringt sie zur Tür. Sobald sie im Treppenhaus ist, setzt er seine in der Cité Bergère berühmte grünliche Melone auf, zieht seinen Mantel an, geht durch ein anderes Treppenhaus hinunter und erreicht so noch vor der Besucherin die Rue du Faubourg Montmartre.

      Was Torrence angeht, der hat sich zu dem kleinen Spiegel umgedreht und Émile kaum merklich zugezwinkert. Émile verlässt sein Büro und betritt das des Chefs.

      »Und, was sagst du zu der Kleinen?«

      Worauf der Angestellte mit dem zu kleinen Anzug in einem Ton antwortet, der keine Widerrede duldet:

      »Ich denke, dass du ein verdammter Esel bist!«

      Jeder, der jemals einen Fuß in die Agence O gesetzt hat, jeder, der in schwierigen oder bedrohlichen Situationen den berühmten Detektiv Torrence um Hilfe gebeten hat, wäre nicht wenig überrascht, ihn so zu sehen: Mit schamrotem Gesicht, hängendem Kopf und vor Verlegenheit stotternd steht er vor dem jungen Mann, den er gelegentlich als seinen Angestellten oder seinen Fotografen und manchmal als seinen Fahrer vorstellt.

      Und in der Tat hat Émile sich verändert. Natürlich ist sein Anzug nicht größer oder weiter geworden. Seine Haare sind immer noch genauso flammend rot, und er hat immer noch Sommersprossen und kurzsichtige Augen hinter der Hornbrille.

      Dennoch, er sieht nicht mehr so jung aus. Fünfundzwanzig? Fünfunddreißig? Wer das einschätzen kann, muss schon ein verdammt kluges Kerlchen sein. Seine Stimme ist trocken, schneidend.

      »Was hattest du in der linken Jackentasche?«, fragt er.

      Torrence überprüft seine Taschen.

      »Oh, mein Gott!«

      »Mein Gott, in der Tat! Wenn du glaubst, dass eine junge Frau in deine Arme fällt, weil sie dir nicht widerstehen kann …«

      »Aber sie war …«

      Torrence ist niedergeschmettert, entsetzt und gedemütigt.

      »Es tut mir leid, Chef. Ich

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