Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr

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Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen - Hermann Stehr

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Felder rennen, war eins. Als er in die Stube stürmte und seine Frau still und fröhlich am Butterfaß hantieren sah, faßte er sie um den Leib, schwenkte sie durch die Luft und jubelte und lachte, daß die anwesende Magd vor Verlegenheit sich hinausdrückte.

      Doch wie es solche Überschwenglichkeit treibt, sie hat die Schuhe, in denen sie wie von Sinnen trabt, von der Enttäuschung gekauft, und Andreas Sintlinger hatte kaum seine Johanna neben ihr Butterfaß gestellt, stand die Welt, die er in dem Gedanken an ihren Verlust eben in kläglichem Zusammenbruch gesehen hatte, gemächlich wie immer, drehte sich durch die Sonne, ließ die Flüsse laufen, als sei das, worum er in diesem Aufruhr der Angst gezittert, dies Sonnenscheinwesen, seine Johanna, nicht mehr als die Fliege, die ihm über die Hand lief, und es kam ihm vor, er wäre eben wie einer gewesen, der auf der Spitze einer aufgeblasenen Papiertüte getanzt hätte, in der Meinung, es sei ein Berg. Eine Weile saß er auf der Bank, die an der Wand entlang lief, schaute bestürzt, mißtrauisch, voll schmerzlichsten Staunens auf seine Frau und wurde immer blasser im Gesicht, je tiefer er in diese Ernüchterung versank. Aber ehe ihm die Seele von solchen Wirbelwassern bis an den Rand der Augen vollaufen konnte, sprang er jäh auf, schüttelte sich lachend und ging mit einem schrillen Pfiff auf den Lippen über die Schwelle.

      Von nun an kam es öfter vor, daß der Schleier vor des Andreas Augen zerriß. Seine wundersamen Erwartungen, die ihm bisher als das Sicherste und Natürlichste erschienen waren, kamen ihm erst zweifelhaft, dann gewagt vor und sanken endlich wie ferne belichtete Wölkchen immer mehr ins Erblassen, immer tiefer, bis sie ganz unter dem Horizont seiner Seele verschwunden waren. Doch dauerte dieses geheime Abwelken einer unsichtbaren, herrlichen Ernte mehr als ein Jahr, und Johanna fühlte es, bald wie einen fliegenden Frost bei wärmster Sonne, bald wie ein Verfinstern mitten ins Licht, und sah es auch oft wie eine kalkige Helle durch schlaflose Nächte ziehen.

      Als er im Herbst von einem Markt nicht, wie es seine Gewohnheit geworden war, um den Abend zurückkehrte, sondern den folgenden und nächsten Tag ausblieb und auch am dritten Morgen sein Bett noch leer stand, wußte die Frau, daß die wilden Wirbel des Sintlingerschen Blutes wieder über ihrem Andreas zusammengeschlagen waren. Doch das sagte sie sich nicht so, als ob man sich die Kleider vom Leibe reißt, sie erkannte das wie ein Mensch, der in die dunkelste Wand seines verdämmernden Hauses einen Nagel schlägt, um das kostbarste Heiligenbild seiner Andacht in der kommenden Finsternis sich nicht zu verlegen, sondern immer sicher vor Augen zu haben. Als sie darum acht Tage darauf in der Morgenfrühe des Sonntags ein wüstes Männersingen vom Dorfe her immer näher rücken hörte, trat sie vor das Hoftor und sah den Weg hin, der zwischen Weiden und Eichen sich von Hemsterhus im Grunde an den Sintlingerhof heranwand. Das Bild, das sich ihr im nächsten Augenblick bot, war kein tröstliches: der Brettwagen voll schreiender Rülpser, die bei jedem Stoß durcheinandertaumelten, und ihr Andreas auf dem Sitz vorn, ohne Kopfbedeckung, mit wehenden Haaren und ruhelos kreisender Peitsche. Er fuhr wie ein Satan. An der Stelle, wo der Zufahrtsweg zum Hofe von der Straße der geköpften Weiden und Eichen abbog, kippte der Wagen, und die Säufer klunkerten und kleckten plump und ungefüge über die Bretter in den Graben. Den letzten, der sich noch halb oben gehalten hatte, schob der junge Bauer schnell zu den anderen und peitschte dann seine Pferde hohnlachend den Hügel herauf, daß sie mit fliegenden Flanken und schäumend vor ihr hielten. Der Sintlinger lachte noch immer, warf Peitsche und Leine weg, fiel seinem Weibe in die Arme, riß sich los, lief durch das Tor, den Hof quer ins Haus, daß Johanna ihm nicht zu folgen vermochte, und stand erst im Schlafzimmer still. Dort traf sie ihn am letzten, gellen Gelächter würgend. Er schüttelte sich vor Vergnügen und rief fortwährend: »Wundervoll! Wundervoll!« Aber sein Gesicht war fahl, und Tränen liefen ihm über die Wangen. Dann sank er auf sein Lager, und Johanna streichelte seine klebrige Schläfe, besänftigte mit ihren kühlen Händen die Stirn und wischte die Schleimblasen mit einem Tuche fort, die das stürmische, wunde Röcheln seines Atems ihm vor den Mund trieb.

      Sie entkleidete ihn dann während des Schlafes so behutsam, daß er nicht erwachte, sondern nur einigemal mit taumelnden Händen um sich langte, wie bittend und dankend gegen die sanfte Güte, die er durch den Dunst der Trunkenheit um sich fühlte. Dann legte sie ihm die Arbeitstracht auf den Stuhl neben das Bett, damit er beim Aufwachen den Rückfall in seine Wüstheit nicht als Wirklichkeit, sondern als einen bösen Traum empfinde und an dem Zutrauen keinen Schaden leide, den Weg durch reine Tage fortzuwandeln. Doch alle Vorsicht der lieben Seele half nichts. Nach lichten, sicheren Wochen verschwand er wieder unvermutet in dem Abgrund, den er in sich herumtrug, und in den Nächten, die Johanna einsam und grübelnd in ihrem Bett lag, sah sie den Widerschein des Feuers aus dem Ofen in allerhand fratzenhaften Gesichtern an der Wand entlang huschen, rang gar oft weinend gegen tiefe Mutlosigkeit und erlag doch nicht selten dem Gedanken, daß der Sturm, der in ihrer Hochzeitsnacht die Hoflinden zum Brechen gepeinigt hatte, nicht ohne Bedeutung gewesen sei. Trotzdem lief das alles nur gleich schwarzem Gewölk durch ihre Seele, und es kam ihr gar nicht die Versuchung zu einem bitteren Wort oder einem scheelen Blick, wenn ihr Mann lallend und schwimmenden Auges in die Stube stolperte. Höchstens bebten ihre Hände unmerklich, wenn sie ihm Stock und Mütze abnahm und an den Rechen neben den langen Uhrkasten hing. »Immer noch kein gutes Wetter, Andreas?« fragte sie dann lächelnd und strich dem Vertriebenen die Haare aus dem Gesicht, daß ihn die mitleidsvolle Liebkosung wie ein Schlag erschreckte und in irgendeinen Winkel trieb, wo ihn sein Weib, wenn er den Rausch ausgeschlafen hatte, in schmerzvollem, stummem Brüten traf, die Ellbogen auf die Knie gestützt, den Kopf zwischen den heraufgestoßenen Achseln zur Erde hängend. Dann saß sie schweigend eine Weile neben ihm und sann, wie dem Gebeugten zu helfen sei. Aber ob sie sich auch anstrengte, etwas recht Erquickendes und Starkes zu seinem Wohle zu finden, ihrer einfachen Kinderseele fiel immer das gleiche ein: Sie löste seine zusammengekrampften Hände, hob sein Gesicht zu sich herauf, küßte ihm die Stirn und sagte: »Sei nur nicht verzweifelt, Andreas! Einmal gelingt dir's doch.« Darauf schob sie ihren Arm unter den seinen und führte den bestürzt Lächelnden wieder in das weiße Licht ihres Lebens.

      Und doch, immer kamen neue Nächte, in denen sie allein unter den Linden vor dem Hoftor sitzen mußte, während ihr Mann draußen auf seinem Taumelkahn in Strudeln fuhr, die sie durch nichts anderes kannte als durch das Schwarze, das in ihr aufging, wenn sie daran dachte. Oft waren nur Sternennächte. Der Mond lag zerschlagen in einem Winkel hinter der Welt oder hing verfinstert am Himmel. Nichts hatte einen Schatten. Die schwarzen Schemen der Dinge, diese verzerrte Wiederholung ihres Wesens, durch die sie unserem Auge und unserer Seele erst begreiflich werden, waren aufgelöst in gleichförmige Dunkelheit, in der sie wie losgerissen schwankten, als würde alles Leben ziellos umhergewirbelt. Sie hörte den leise wehenden, furchtsamen Schlaf der Weiden unten am Grenzwege, die Rinder, die mit den Ketten rasselten und dann und wann einen brünstigen dumpfen Laut ausstießen; die Stundenschläge der Turmuhr im Dorfe, die in der Luft verklangen. Alles das jagte sie manchmal von ihrem Sitz auf und trieb sie ein Stück vom Hofe ins Feld, daß nichts mehr um sie war als die Nacht und über ihr die Sterne, die auch seit Ewigkeiten bebten, zuckten und fieberten in rotem, grünem und leichenblassem Scheine. »Warum das alles? Warum?« fragte die junge Frau dann, ging zurück auf ihr Bänklein, sann lange ringend und warf sich zuletzt wohl an den Stamm der Linde, ihn wie eine Ertrinkende umklammernd, weil ihre Güte wund war, aber doch nicht anklagen konnte. In solchen Nächten fürchtete sie das eine mit rätselhafter Angst, daß zu allem noch das Glöckchen im Turme anfangen könne zu tönen, und sie flüchtete in ihr Bett und zog die Decke um die Ohren, damit sie nichts höre.

      Aber einmal blieb ihr auch das nicht erspart. Spät in der Nacht fuhr sie aus der Flucht ihres Schlafes ins Erwachen. Anfangs sah sie nichts. Als sie aber eine Weile ihre Augen dringend ins Dunkel neben ihrem Bette geschickt hatte, stand ihr Mann vor ihr. Um seine Gestalt floß es wie Schwelen, wie Lichtdunst, der aus faulendem Holz spielt. Das hat er von dem Schein der Sterne, dachte Johanna noch traumverwirrt und fühlte einen kochenden Strom von ihm in sie übergehen. In einem Taumel, der aus Angst und Glück, aus Furcht und barmherziger Güte gemischt war, zog sie ihn mit bebendem Arme zu sich herein, und die beiden schmolzen in solch heißen dunklen Wogen ineinander, wie noch keine gewesen, von denen sie je getragen worden waren. In diesem Augenblicke berührte sie jene geheimnisvolle Hand, auf deren Wink ein neues Leben in die Leiber der Frauen sinkt, und als sie dann lag, wurden die Wirbel, von

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