Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr

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Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen - Hermann Stehr

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Augen meines Kindes, dachte der junge Bauer selbstvergessen und erschrak dabei so seltsam, als sei er an allem, an der doppelten Finsternis und dem machtlosen, stumpfen Fünkchen Licht darin schuld. Da er aufsah, war auch das erloschen, und die Dunkelheit hatte sich in Nacht verwandelt.

      Seit diesem Abend wagte er nicht mehr, sich allein an die Wiege seines Kindes zu schleichen, und fing das Kleine zu weinen an, nicht so reißend, wie es die Art der Kinder ist, nein, mit fast melodischem Schweben des silbernen Stimmchens, mehr ein Singen des Leides, denn ein Weinen, und die Händchen des Mädchens taumelten um das Köpfchen, so wurde das Gesicht Andreas' immer einen Ton blasser, und endlich mußte er hinausgehen. Wie oft auch fühlte Johanna in dieser Zeit mitten in der Nacht seine Hand über ihr Gesicht tasten, und wenn sie ihn fragte, was es gäbe, drehte er sich unter einem erleichterten Atemzuge wieder auf seine Traumseite und antwortete: »Ach, da ist es ja gut.« Oder sie hörte ihn aus dem Schlaf wie stürzend durchs Fenster fortspringend, die Schlösser aller Türen und die Wirbel aller Fenster untersuchen und dann unter ärgerlichem Murmeln über Störungen wieder unter die Decke kriechen. Beim Dreschen ließ er die Pferde oft so antreiben, daß die Maschine heulend das Getriebe in sich hineinfraß und das Schüttelwerk wie rasender Trommelwirbel ging. Er aber lehnte an der Tennenwand und verschlang den Lärm der wie vom Fieber geschüttelten Maschine bleichen Gesichts mit dem Glanz einer förmlichen Gier im Auge.

      Man sagt, dieser Zustand des Sintlingers habe an drei Wochen gedauert, und die Leute einfacher Dörfer beobachten gut. Nach dem Besuch der Hemsterhuser Schenke hörte das eigentümliche Gehaben des jungen Bauern auf, und jenes rätselhafte Leben begann auf dem Sintlingerhofe, das das Bauerngut und seine Besitzer in so hohen Ruf brachte.

      In dieser entscheidenden Nacht war Andreas von halbem Verzagen und lockender Gegenwehr wieder einmal heimlich den Hügel hinunter fortgeführt worden und saß in dem einzigen Gasthause des Dorfes unter lustiger Kumpanei. Erst sprangen fröhliche Neckereien in der Runde, man vergnügte sich über die Tölpel der Umgegend, erzählte Schwanke und löste den Riegel von mancher verborgenen Torheit, und der Sintlinger gebärdete sich ausgelassener als sonst, das Schellenwerk seiner witzigen Einfälle, treffenden Bosheiten und komischen Anekdoten stand nicht still, und neben ihm taten sich besonders zwei in sprühenden Nutzlosigkeiten hervor, der dicke Müller von Querhoven, mehr ein Faß denn ein Mann, mit einem unförmlichen Kopf und einem Fuder brandroter Haare darauf, und der Fürstlich Arenbergsche Förster, eine richtige, endlos lange Lärmstange. Und nach Stunden geriet die ganze Gesellschaft in das laute, leere Gedalber der Trunkenheit. Aber je unbesonnener die anderen ihre Stimmen immer tiefer in die Glut des Rausches neigten, desto ferner wurde Andreas, desto kühler, bleicher und schweigsamer. Der Wirt sagt, ein Glas Schnaps sei schuld gewesen. Ein Hemsterhuser Kleinbauer, ein geduldeter Mitläufer, hatte, um sich bei den Gewaltigen der Zechgenossen in Gunst zu setzen, eine Runde Wacholderbranntwein auffahren lassen, jenen wasserklaren Schnaps, der so stark ist, daß er im halben Schlund schon zu brennender Lust wird. Des Bieres überdrüssig, begrüßten alle den Einfall mit lautem Hallo, und der lange Förster erhob sich, um dem Getränk eine spaßhafte Grabrede zu halten. Während aber die anderen, die Hand am Glase, alle scherzhaften Einfälle des Trinkredners schon im voraus mit Gelächter belohnten und ungeduldig auf das Kommende paßten, die Spende hinter ihrer Zunge zu beerdigen, stierte der Sintlinger mit wachsendem Schauder auf den kleinen, blanken Spiegel des Branntweines, der, von dem Lichtdunst der Decklampe gelb überlaufen, in dem Glase lag und unter den Erschütterungen des Tisches fortwährend zitterte. Die Augen des jungen Bauern waren wie abwesend; er war stumm und rührte sich nicht. Auch als die anderen am Schluß der Ansprache aufsprangen und unter Getöse den Schnaps in den Schlund kippten, saß der Sintlinger regungslos mit vorgebeugtem Kopfe, und da man endlich spöttisch auf ihn eindrang, erhob er sich geräuschlos und sah die Runde, einen um den anderen, wortlos, mit einem solchen Ausdruck leidvollen Staunens im bleichen Gesichte an, daß alle vor Bedrücktheit verstummten. Die Zunächstsitzenden erhoben sich auf seinen Wink wie unter einem Bann. Andreas neigte grüßend den Kopf und ging schweigend hinaus.

      Zu Hause traf er sein Weib noch wach. Beim Scheine einer kleinen Lampe kniete sie, die Arme über das Bettchen geworfen, das Gesicht in die Kissen gedrückt, an der Wiege. Als er leise eintrat, hob sie erschöpft den Kopf und musterte ihren Mann auf eine dringende, schmerzvolle Art. Der hängte seine Mütze an den Rechen und umfaßte mit einem langen Blick sein Weib. Und während er so stand und hinsah, wurde Johanna, die Wiege mit dem Kinde und die ganze Ecke der Stube in verklärtes Licht getaucht. Dort hinein ging er wie auf einer Brücke, die hoch über finstere Luft gespannt ist. Als er bei der Wiege angekommen war, erhob sich die Bäuerin, nahm das Mädchen aus der Wiege und legte es ihm in die Arme, und Andreas redete mit einer so weichen Stimme zu dem Kinde, daß es seine blicklosen Augen öffnete und das erstemal lächelnd nach seinem Gesicht langte.

      »Woher weißt du, daß unser Kind blind ist?« fragte Johanna plötzlich und senkte dabei die Augen. Der Sintlinger fuhr ihr streichelnd über den Scheitel und schloß sie erschüttert in die Arme.

      Wenn sich Johanna die ob auch wunderlich ergreifende, aber kurze Art überlegte, mit der ihr Mann die Erkenntnis des Geschickes seines Kindes aufgenommen hatte, erschrak sie. Denn sie, die ihn in den Launen seines veränderlichen Willens so gut übersah und dem Kindhaften seines Wesens durch engelgleiche Güte so gerecht wurde, wußte doch nichts von den Überraschungen und Übertreibungen, durch die er sich überhaupt am Leben erhalten konnte. In der sicheren Luft bäuerlicher Tage erlitt er Peinen wie ein Erstickender. Er glich einem Wanderer, der nur dadurch glaubt vorwärts zu kommen, daß er fortwährend in Abgründe springt. Sein lasterhaftes Toben, sein berserkerhafter Fleiß, die Verzückungen seiner jähen Liebe, alles waren solche Abgründe gewesen, in die er sich in der Meinung gestürzt hatte, auf einem Gipfel, hoch und ferne, in einem Leben wieder aufzutauchen, das von den gewohnten Formen seiner Vergangenheit nicht eine Spur mehr enthielt. Und immer erwachte er doch aus seinem Taumel zu dem gewohnten, trägen Gang seiner Beschäftigung, die er mit dem verbissenen Zorn seines Herzens trieb, bis ihn wieder die graue Luft fast erwürgte. Das Leben seines Kindes aber, um das er Monate ratlos verborgene Kreise gezogen hatte, angewidert von der Ödigkeit seines Lasters, überwältigt von der ewig gleichen Süße seiner Ehe, ungläubig blinzelnd, von Ahnungen ins Dunkel verlockt, von unbegreiflicher Ergriffenheit bedrückt, durch das seltsame Gebaren seiner Frau aufs neue angestachelt, all dieses marternde Zwielicht, durch das er tappend gegangen war, hatte sein Wesen in solche unterirdische Spannung versetzt, daß die geheimnisvolle, blitzartige Erkenntnis von dem grausen Wunder, in das sein Kind hineingeboren war; wie ein Sprengschuß wirkte. Durch Finsternis hatte es ihn augenblicklich in hohem Bogen in die unbegreifliche Helle geschleudert, die von den blicklosen Augen seines Kindes ausging. Als er wieder auf die Erde fiel, fand er sich nicht mehr in seinem gewohnten Leben, sondern wie auf einem unbekannten Eiland mitten im Ozean. Daher war auch plötzlich alles in ihm verändert.

      Am zeitigen Morgen, noch ehe sein Weib erwachte, klang das dünne, schwebende Stimmchen Helenens auf, zart wie der Laut des ersten Frühvogels. Da sprang Andreas mit einem vorsichtigen Satze so aus dem Bette, als habe er die ganze Nacht hindurch nur auf diesen Ruf gelauert, eilte an das kleine Bett und beugte sich mit stürmischer Hingabe darüber, daß ein Erschrecken über das Gesicht des Kindes lief. Seine Händchen fuhren auseinander, und die Augen schlössen sich. Sowie der Sintlinger aber wieder kosend und weich seine Stimme über die Wangen der Kleinen streichen ließ, öffneten sich die Lider. Die Augen blühten in stiller Klarheit auf und standen regungslos wie horchende Spiegel. Es war das Sehen eines Lauschens in ihnen, ein umgekehrter Blick, so, als breite sich die Welt nicht draußen vor ihnen aus, als zöge alles durch die Tiefen ihres Innern vorüber. Und wenn er redete, erwachte nicht das Sehfeuer in ihnen, kein glückhaftes Zucken des Verstehens, keine von den wandelbaren Lichtwolken kam und schwand durch das Firmament der Iris. Auf dem Grunde erwachte ein Leuchten von einer so seligen Schönheit, als ergieße sich in ihre Gründe der Schimmer, der nach dem Glauben der Frommen von den Toren Gottes ausgeht. Nein, dieses, sein Kind war nicht blind, es war auf eine andere, geheimnisvollere Art sehend als die gewöhnlichen Menschen. Wir schauen mit Hilfe der Dinge in die Welt, in diesen Augen schimmerte klar das Licht, das wir anderen mühsam und dunkel durch die Formen der Wesen ahnen. Je länger sich Andreas in sie versenkte, desto mehr

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