Inseldämmerung. Bent Ohle

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Inseldämmerung - Bent Ohle Nils Petersen

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so warm war es in der Sonne. Irgendwann konnte er nicht mehr widerstehen, legte einen Arm um seine Tochter und zog sie an sich. Er wollte sie beschützen, um alles in der Welt. Sie hatte in so großer Gefahr geschwebt in den Händen dieses Killers. Das alles schien jetzt weit, weit weg und lange her. Doch das war es nicht. Er wunderte sich immer noch, wie gut sie sich wieder erholt hatten, sie alle drei. Sie hatten viel durchmachen müssen. Aber die Insel schien sie zu heilen. Jedes Mal, wenn er hier draußen war, hatte er das Gefühl, Kraft zu bekommen und Zuversicht. Er konnte nicht sagen, wie es gewesen wäre, wenn sie in einer Stadt leben würden, aber er bezweifelte, dass sie sich so rasch erholt hätten. Das lag nun hinter ihnen, und vor ihnen lag Weihnachten. Alles würde ruhig und friedlich sein. Bis auf das Wetter.

      Hamburg-Fuhlsbüttel, Justizvollzugsanstalt, 14:53 Uhr

      »Ich werde dich vermissen, Herr Jensen«, sagte Brockhaus. Er war hier drin immer bei seinem Nachnamen gerufen worden, weil er so belesen war und scheinbar auf alles eine Antwort wusste. Das hatte ihm einen unerwünschten Spitznamen erspart. In der Schule hatten sie ihn »Brocki« oder »Bröckchen« genannt. Aber das passte nun schon aufgrund seiner äußeren Erscheinung nicht mehr. Er war einen Meter fünfundachtzig groß, mit kräftigem Unterkiefer, kantigen Wangenknochen und kleinen, listigen schwarzen Augen. Er war trainiert. Jetzt, nach seiner Zeit im Knast, mehr denn je. Was soll man schon machen in so einer Zelle? Körperliches Training war der beste Zeitvertreib. Es hielt einen fit, machte einen stärker, klar im Kopf, und es setzte Glückshormone frei. Hinter dicken Mauern konnte man jedes einzelne dieser Hormone gebrauchen.

      Jensen und Taubner waren die beiden Beamten, die ihn bis zum Tor geleiteten. Sie waren die meiste Zeit in der Tagesschicht, und beide waren wirklich anständige Männer. Aus diesem Grund sprach er sie auch höflich mit »du, Herr Jensen« an. Jensen war groß und schlaksig, mit einem dünnen Oberlippenbart und einem ebensolchen Haarkranz, der ihm im Nacken lag wie eines dieser Schlafkissen fürs Flugzeug. Taubner war älter als sein Kollege, etwas über fünfzig, schätzte Brockhaus, und hatte dichtes lockiges, von grauen Strähnen durchsetztes Haar. Er besaß quasi keine Lippen, nur einen breiten Schlitz im Gesicht, der sich aber sympathisch und einnehmend krümmen konnte, wenn er lachte.

      »Wir wollen dich nie wiedersehen«, sagte Taubner, der eben eine Tür aufschloss, mit gesenktem Kopf. Jensen schmunzelte.

      »Das sagt ihr doch zu jedem. Habt ihr nicht etwas Persönliches, das ihr mir mitgeben wollt?«, fragte Brockhaus.

      Taubner drehte sich zu ihm um. »Auf Nimmerwiedersehen, versprochen?«, fragte er und hielt ihm die offene Hand hin. Brockhaus sah sie einen Moment lang an und überlegte. Er trug seine Tasche in der rechten Hand. Und er wollte ihn eigentlich nicht anlügen, denn er mochte ihn.

      Brockhaus ließ seine Tasche fallen. »Versprochen.« Er schlug ein, und sie schüttelten sich die Hände.

      Auch Jensen reichte er die Hand.

      »Ihr zwei seid in Ordnung«, sagte er und hob seine Tasche wieder auf. »Im Gegensatz zu den meisten anderen Wichsern hier drin.«

      »Nun, es ist ein Gefängnis, da sollte man nicht allzu viel Menschlichkeit erwarten«, meinte Jensen. »Und unschuldig warst du ja auch nicht hier.«

      »Vollkommen korrekt, ihr zwei.« Brockhaus klopfte Jensen auf den Arm. Taubner stieß die schwere Tür auf, und graues Tageslicht spülte herein.

      Sie gingen in den kleinen Innenhof vor dem letzten Tor, dem »Turm«, durch den alle zweimal gehen mussten. Wenn sie ankamen und wenn sie wieder gingen. Egal ob auf ihren Beinen oder mit den Füßen zuerst. Ja, Mord gab es auch hier drin und so ziemlich alle anderen Verbrechen, die man draußen begehen konnte. Vor einem hatten die meisten Insassen sicherlich die größte Angst, doch dieser Kelch war an Brockhaus vorbeigegangen. Er war kein Kinderschänder, und seine körperliche Statur zeigte deutlich, dass man sich auf Gegenwehr gefasst machen musste, sollte man versuchen, sich ihm zu nähern.

      Taubner verschloss die Tür hinter ihnen und riegelte die nächste auf. Der graue Himmel über dem Hof war merkwürdig diffus und kaum merklich in Bewegung. Jetzt war es nicht mehr weit. Nur noch wenige Meter, ein paar Schritte auf von Mauern umgebenem Boden, bis er in die Freiheit entlassen wurde. Ob er sich freute, konnte er zu seiner Überraschung kaum sagen. Ja, sicherlich war da so etwas wie Freude, aber er war auch sehr fokussiert und konzentriert auf das, was nun kommen würde.

      Sein Blick glitt über die rot-weiße Fassade. Taubner rasselte wieder mit seinen Schlüsseln und ging vor.

      »Noch merkt man nichts vom Sturm«, sagte Jensen mit einem abschätzenden Blick in den Himmel.

      »Nein«, bestätigte Brockhaus. »Noch ist alles ruhig.«

      Und dann klackte es laut, als Taubner das Schloss entriegelte. Ein Quietschen folgte, als er die schwere Eisentür aufzog.

      »Werden Sie abgeholt?«, fragte Jensen.

      Brockhaus grinste innerlich. Nein, den Gefallen wollte er ihnen nicht tun. Sie würden ihn mit Sicherheit die erste Zeit überwachen, das stand außer Frage. Daher musste er sehr vorsichtig sein, bei allem, was er vorhatte. Und er hatte viel vor. Zum Glück hatte er schon einiges von hier drinnen organisieren können. Der Rest würde kein Spaziergang werden, aber es war machbar.

      »Ich hab niemanden mehr«, entgegnete er nur.

      »Na, dann … alles Gute«, sagte Jensen zum Abschied und nickte.

      »Bleiben Sie sauber«, fügte Taubner an, und sein Schlitzmund verzog sich keinen Millimeter dabei.

      »Macht’s gut.« Brockhaus trat durch den Torbogen hinaus in die Freiheit und inhalierte die Luft. Es konnte schwerlich eine andere sein als auf der Hofseite, doch er hatte das Gefühl, dass sie süßer roch, vielversprechender.

      Die Tür fiel mit einem Krachen zurück ins Schloss, der Schlüssel wurde umgedreht. Das Gefängnis war wieder rundum verschlossen. Und er stand davor. Es war kaum zu glauben. Sechs Jahre. Sechs lange Jahre, die sich wie sechzehn angefühlt hatten, lagen hinter ihm. Er blickte auf seine Armbanduhr. Nun galt es, keine Zeit mehr zu verschwenden.

      Hamburg-Altona, Wohnung von Simon Hagelands Mutter, 15:03 Uhr

      Simon saß mit den Händen im Schoß da, und man konnte bereits an seiner Körperhaltung erkennen, dass er nicht lange bleiben wollte. Seine Mutter Anette goss ihm Kaffee in die alte, abgewetzte Tasse. Armin, der Lebensgefährte von Anette, saß zurückgelehnt und mit glasigen Augen auf dem Sofa und starrte auf den Fernseher. In den Nachrichten wurde über den Sturm berichtet, der die deutsche Nordseeküste bald erreichen sollte.

      »Wird das Wetter schlecht?«, fragte Anette und stellte ein paar Spekulatiuskekse auf einem Teller auf den Tisch.

      »Hochwasser«, antwortete Armin und hustete. Armin war krank. Er hatte so ziemlich alle Krankheiten, die man sich vorstellen konnte, und eine Beinprothese. Er war mit Abstand der kränkste von allen Männern, mit denen Simons Mutter zusammen gewesen war. Ein absoluter Pflegefall. Und seine Mutter war mehr eine Krankenschwester oder Pflegerin als seine Frau. Aber wenigstens war er nicht aggressiv ihr gegenüber. Solche Männer hatte sie genug gehabt und Simon so seine Auseinandersetzungen mit ihnen. Wenn es sein musste, auch körperliche. Einem hatte er so schlimm zugesetzt, dass der jetzt ähnlich wie Armin auch nur noch schlecht laufen konnte. Aber Simon fand, er konnte von Glück reden, dass er überhaupt noch am Leben war.

      Da Simons freundliches, hübsches Äußeres nicht auf seine aggressive Ader schließen ließ, hatte er den Überraschungseffekt immer

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