Inseldämmerung. Bent Ohle

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Inseldämmerung - Bent Ohle Nils Petersen

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aufsetzte, erinnerten ihn an sich selbst.

      Brockhaus stieg ab, stellte das Fahrrad an den Zaun und ging näher heran. Er krallte seine Finger in die Maschen und konnte seinen Blick nicht von dem Jungen lösen. Konnte das sein? Der Junge machte einen Übersteiger und drehte abrupt um, sodass Brockhaus sein Gesicht sehen konnte. Ihm blieb fast das Herz stehen. Der Junge sah aus wie eine Kopie seiner selbst. Mit vierzehn, fünfzehn hatte er genauso ausgesehen. Seine Finger schmerzten, sie hatten sich immer fester in die Maschen gekrallt, und er löste sie jetzt so schnell, als wären sie glühend heiß.

      Aber konnte das tatsächlich sein? Es war Jahre her. Er hatte ihn nur zweimal gesehen. Das letzte Mal, als der Junge acht oder neun gewesen war. Damals war Brockhaus nach einer Sauftour zu Fuß am Haus von Doreen vorbeigegangen. Sie hatte einen verdammten Versicherungsmakler geheiratet. Im Schutz der Dunkelheit war er in ihren Garten geschlichen und hatte sie beim Frühstück beobachtet. Der Kleine hatte im Schlafanzug am Tisch gesessen und Cornflakes gegessen. Brockhaus musste an die Packung denken, die er eben im Supermarkt gekauft hatte, und schluckte.

      »Mein Gott«, flüsterte er und ließ den Kopf hängen. Hinter dem Zaun spielte sein Sohn Fußball. Und er, frisch aus dem Knast entlassen und von einem beschissenen Zufall hierher befördert, sah ihm dabei zu. Er wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Der Junge hatte keine Ahnung, wer er war oder dass es ihn überhaupt gab.

      Der andere Junge, der am Handy spielte, blickte zu Brockhaus herüber. Sein Mund stand offen, und seine Augen bewegten sich langsam in Richtung des Jungen auf dem Feld. Ihm musste die Ähnlichkeit aufgefallen sein.

      Brockhaus riss sein Fahrrad an sich und schwang sich auf den Sattel. Hart trat er in die Pedale, blickte sich aber über seine Schulter hinweg noch einmal um.

      Als er endlich an seiner Wohnung angekommen war, wünschte er sich, er hätte mehr Alkohol besorgt.

      Amrum, Nebeler Strand, 16:59 Uhr

      Nils, Elke und Anna waren auf dem Rückweg, da die Dunkelheit bald einbrechen würde. Die Sonne war hinter einem dunkelblauen Band aus Wolken untergegangen und beleuchtete sie von unten, sodass sie zu glimmen schienen. Bald hatten sie die Höhe des Strandabgangs erreicht, waren aber immer noch weit draußen im Watt unterwegs. Elke bückte sich und sammelte einige Muschelschalen auf, eine Angewohnheit, die sie nicht ablegen konnte, auch wenn sie seit ihrer Geburt hier lebte. Überall im Haus lagen die Muscheln als Deko herum. Anna nahm die Hand ihres Vaters. Nils sah sie überrascht an und lächelte. Sie erwiderte das Lächeln und blickte dann wieder in die Ferne.

      »Ist alles in Ordnung?«, fragte er sie leise, so leise, dass er vermutete, sie habe ihn wahrscheinlich gar nicht gehört.

      »Ja«, sagte sie. »Manchmal träume ich noch davon. Aber es ist alles gut jetzt.«

      Nils drückte ihre Hand fester.

      Auf Annas Gesicht zeichnete sich Besorgnis ab.

      Nils wollte gerade nachfragen, als Anna in Richtung des Wassers nickte.

      »Was ist das?«

      Er suchte den Wassersaum ab, konnte aber nichts entdecken.

      »Ist das ein Heuler?«

      Jetzt erkannte Nils einen dunklen, länglichen Körper im flachen Wasser. Augenblicklich wurde er wieder an den Tag erinnert, an dem er im See bei Wittdün eine tote Frau gefunden hatte, und er zuckte reflexhaft.

      »Ist vielleicht ein wenig zu schlank für einen Heuler«, entgegnete er. Nun starrte auch Elke angestrengt auf das den Himmel spiegelnde Wasser und den dunklen Schatten darin. Nils spürte ihre Hand an seinem Arm, als er einen energischen Schritt nach vorn machte, so als wollte sie ihn zurückhalten. Auch sie dachte an das, was vor fünf Jahren passiert war.

      »Nein, ich glaub, das ist ein Schweinswal«, murmelte er. Sie gingen noch einige Meter, bis ihre Stiefel die Wasserkante berührten. Das Tier – oder was es auch war – lag zwanzig Meter weiter draußen im flachen Wasser.

      »Ja, ist ein Schweinswal«, erklärte Nils.

      »Ist er schon tot?«, fragte Anna.

      »Das werd ich rausfinden.«

      Nils begann seine Schuhe und Strümpfe auszuziehen und krempelte seine Hosenbeine hoch, stopfte seine Strümpfe in die Schuhe und trat platschend ins Wasser. Er zog die Schultern hoch, als die Kälte seine Füße packte. Forsch marschierte er auf den Körper zu und erkannte bald die schlanke Rückenflosse und das Luftloch auf dem Kopf des Wals. Die Augen waren offen und noch intakt. Oft, wenn die kleinen Schweinswale hier verendeten, fraßen die Möwen zuerst die Augen. Als er bis auf drei Meter an das Tier herangekommen war, schlug der kleine Wal einmal mit seiner Schwanzflosse aus.

      »Hallo, mein Kleiner«, grüßte Nils. »Wollen doch mal sehen, ob wir dich nicht wieder ins Wasser kriegen.«

      Er ging vorsichtig näher an ihn heran. Die Augen des Wals blickten ihn an, und das Blasloch öffnete sich immer schneller und atmete feucht. Nils stellte sich breitbeinig über den Schweinswal und umfasste ihn mit beiden Händen. Die Haut war kalt und fest wie Gummi, und er konnte darunter die Rippen spüren. Panik ergriff das Tier. Es fing an zu zappeln und auszuschlagen, schnaubte immer heftiger.

      »Ist ja gut, ich will dir nur helfen«, sagte Nils beruhigend.

      Er stellte fest, als er versuchte, ihn hochzuheben, dass der Wal schwerer war, als er vermutet hatte. Das Wasser war hier immer noch zu flach. Er musste den Wal hochnehmen und ein paar Meter weiter hinaustragen.

      »Na, komm. Ganz ruhig, wir kriegen das hin.«

      Nils hatte Schwierigkeiten, schaffte es aber schließlich, die Hände unter den Körper des Wals zu bekommen und ihn hochzuheben. Er schleppte ihn tiefer ins Wasser und musste ihn wieder absetzen, bevor er ihm aus den Händen glitt. Der Schweinswal krümmte und wand sich und schlug mit der Fluke.

      »Nur noch ein Stück, komm schon«, feuerte Nils ihn an, während er ihn keuchend immer weiterdrückte und -schob. Endlich kam mehr Wasser unter den Körper, was auch der Wal zu merken schien. Nils stabilisierte ihn, damit er nicht umfiel, und beförderte ihn weiter vorwärts. Auf einmal wurde der Wal leichter und leichter und zog davon. Er schwamm einen Meter und tauchte dann ab.

      Nils richtete sich schwer atmend auf und sah ihm hinterher. Dann streckte er die Arme in die Höhe und jubelte laut. Hinter ihm riefen seine Tochter und seine Frau ihm etwas zu und hüpften am Strand auf und ab.

      »Frohe Weihnachten, kleiner Mann«, sagte Nils und drehte sich zufrieden um.

      Am Strand fiel Anna ihrem klitschnassen Vater um den Hals.

      »Gut gemacht, Papa.«

      Elke lächelte und strich Anna über den Rücken. Alle drei waren sicher, dass es ganz wundervolle Weihnachten werden würden.

      Hamburg-Bramfeld, Bramfelder Chaussee, 17:23 Uhr

      Till und Simon waren auf ihrem Weg zum Baumarkt, die erste Station auf ihrer heutigen Tour.

      »Hast du alles besorgt?«, fragte Till mit einem prüfenden Seitenblick. Simon hatte einen weißen Beutel in den Laderaum geworfen, bevor sie losgefahren waren, ähnlich den Beuteln, die sie manchmal zum Geldtransport benutzten.

      »Das

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