Nachtengel von Köln. Reinhard Rohn

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Nachtengel von Köln - Reinhard Rohn Jan Schiller

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er Schritte im Treppenhaus hörte und es dann an seiner Tür klingelte, spürte er, dass all seine Befürchtungen von ihm abfielen. Auch wenn er dumpf und stumm hinter ihr herlaufen würde, ein langes Wochenende mit Nadine an einem warmen südlichen Ort – etwas Schöneres könnte ihm nicht passieren.

      Er hörte ein leises Schnaufen, gefolgt von einem langen Seufzen, während er die Tür noch nicht ganz geöffnet hatte. Nicht Nadine stand vor der Tür, sondern Therese, die alte Hebamme, nun fast vierundachtzig Jahre alt und nach dem frühen Tod seiner Eltern die Frau, die ihn all die Jahre begleitet hatte.

      Therese trug wie immer ihren babyblauen Wollmantel, sie hielt ihre abgewetzte braune Ledertasche in der Armbeuge, obschon sie nun keine Hausgeburten mehr betreute, und lächelte. »Jan«, keuchte sie, »mein Junge. Die Haustür war offen. Da musste ich nicht klingeln. Ich brauche einen Kaffee, ganz dringend. Du hast doch richtigen Kaffee?«

      Sie nahm ihm immer noch übel, dass Carla und er sich getrennt hatten, und war erst ein Mal in seiner neuen Wohnung gewesen. Ungewöhnlich missgelaunt hatte sie sich umgesehen und war nach einer halben Stunde wieder gegangen – mit den Worten: »Ich komme erst wieder, wenn du dir ein paar vernünftige Möbel angeschafft hast.«

      »Natürlich habe ich Kaffee«, sagte Schiller. »Aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muss packen. Morgen fliege ich nach Frankreich. Ein kurzer Urlaub …«

      Therese winkte ab und ging an ihm vorbei in die Wohnung. Ihr langes graues Haar stand noch wirrer von ihrem Kopf ab; sie war eigentlich immer in Eile, stets auf dem Sprung, die Berufskrankheit einer Hebamme, die mehr als fünftausend Kindern auf die Welt verholfen hatte, doch nun wirkte sie noch abgehetzter als gewöhnlich.

      Sie wird nicht mehr ewig leben, ging es Schiller durch den Kopf. Dieser Gedanke erschreckte ihn.

      In der Küche sank Therese auf den einzigen gepolsterten Stuhl, den er besaß. Sie seufzte wieder. »Stark und mit viel Zucker«, sagte sie. Ihr Kopf sank ihr auf die Brust, dann holte sie etwas aus ihrer Ledertasche hervor.

      Was willst du?, wollte er sie fragen. Warum kommst du ohne Ankündigung vorbei? Aber sie blickte mit ernster Miene auf ein ziemlich neues Smartphone, das er noch nie bei ihr gesehen hatte. Bisher hatte sie stets ein altes Nokia benutzt.

      Er kochte mit einer Espressomaschine Kaffee für sie und sich. Nach dem ersten Schluck richtete Therese sich mühsam auf.

      »Ich brauche deine Hilfe«, sagte sie. »Es ist etwas passiert. Vielleicht ein Verbrechen. Eine junge Frau ist verschwunden.« Sie hielt ihm das Smartphone hin. Auf dem Display war, schlecht belichtet, eine junge Frau zu sehen: dunkelblonde halblange Haare, ein zusammengepresster Mund, braune, irgendwie traurig wirkende Augen. Offenkundig war die Aufnahme in Thereses Küche gemacht worden. Schiller glaubte ihren stets mit Zeitungen, Babysachen, Zetteln, Tellern und Tassen vollgestellten Küchentisch zu erkennen.

      »Das ist Julika«, sprach Therese weiter. »Sie kommt aus Rumänien, spricht aber Deutsch. Na, mit einem ziemlichen Akzent, ihre Eltern waren Deutsche – Rumäniendeutsche. Irgendjemand hat sie hierhergelockt und irgendwo in der Stadt eingesperrt. Und jetzt ist sie verschwunden.«

      »Wie kommst du an ein Mädchen aus Rumänien?«, fragte Schiller. Wieder meinte er Schritte im Treppenhaus zu hören. War Nadine nun nach Hause gekommen? Nein, die Schritte gingen an seiner Tür vorbei. Der Mann aus der vierten Etage, von dem es hieß, er sei Pharmavertreter, vermutlich.

      Therese winkte wieder ab. Offensichtlich hatte er die falsche Frage gestellt.

      »Ich kenne sie eben, habe das arme Mädchen am Bahnhof getroffen. Bei Gulliver. Da helfe ich manchmal aus. Verteile Essen und solche Sachen. Sie ist mir gleich aufgefallen. Ihre Verzweiflung … und da habe ich sie mitgenommen. Zwei Nächte war sie bei mir, dann wollte sie nur etwas holen. Aus einem Schließfach, habe ich geglaubt. Ganz hat sie es mir nicht verraten. Sie hat versprochen, sofort zurückzukommen. Ist sie aber nicht.« Therese seufzte und schloss die Augen.

      Sie so erschöpft zu sehen schmerzte ihn.

      »Wahrscheinlich hat sich eine Gelegenheit ergeben, dass sie nach Rumänien zurückkonnte, und die hat sie genutzt«, sagte er.

      Therese hob abrupt den Kopf. Ihre grauen Augen hinter den dicken Brillengläsern musterten ihn. »Nein«, sagte sie, »niemals. Ich kenne mich mit Menschen aus. Julika wollte unbedingt wiederkommen. Wir wollten zusammen einen Brief an ihre Großeltern schreiben, damit die sich keine Sorgen machen. Sie wohnen auf dem Land bei Hermannstadt, in einem Dorf ohne Telefon. Außerdem …«, sie zog etwas aus der Tasche hervor und hielt es hoch, »… außerdem hat Julika ihren Pass bei mir gelassen.«

      Er nahm ihr den Pass ab. Romania – tatsächlich. Julika Sophia Bottesch, geboren am 6. Juli 1994 in Sibiu.

      »Ihr muss etwas zugestoßen sein. Sonst hätte sie sich gemeldet. Ich habe ihr mein altes Handy mitgegeben.« Therese beugte sich vor und griff nach seiner Hand. »Ich dachte, du könntest dich mal erkundigen. Ich habe bei ein paar Krankenhäusern angerufen, aber da gibt man mir keine richtige Auskunft. Am Bahnhof bei Gulliver war ich auch mehrmals. Keiner hat sie da gesehen. Du hast doch diese Nele, deine Assistentin, die alles herausbekommt. Vielleicht hatte Julika einen Unfall und liegt irgendwo bewusstlos auf der Intensivstation. Hat es nicht gestern wieder einen schweren Unfall mit der Straßenbahn gegeben?«

      Nun hörte er die Tür in der Wohnung eine Etage tiefer. Er atmete erleichtert durch. Nadine war nach Hause gekommen. Gleich würde sein Telefon klingeln. Er würde zu Ende packen und dann hinuntergehen. Sie könnten noch ein Glas Wein trinken, roten Bordeaux, gewissermaßen als Vorbereitung auf ihre erste gemeinsame Reise.

      »Kannst du sie nicht einmal anrufen?«, fragte Therese und umklammerte seine linke Hand.

      Er nickte. »Ich rufe sie an, und wenn Nele etwas herausgefunden hat, soll sie sich mit dir in Verbindung setzen. Ich bin sicher, es wird sich alles klären. Wahrscheinlich hat diese Julika dir nicht alles gesagt. Sie ist jung und ganz hübsch. Vielleicht hat sie einen Mann getroffen, oder sie ist einem Freund nachgereist.«

      »Unfug!«, stieß Therese laut hervor und ließ endlich seine Hand los. »Man hatte sie eingesperrt, und jemand hatte sie untersucht. Gibt es so etwas nicht, dass man Menschen eine Niere wegnimmt? Habe ich mal gelesen.«

      Schiller lächelte sie an. Ja, wollte er sagen, solche abenteuerlichen Geschichten geisterten durch manche Zeitungen, er hatte so etwas allerdings noch nie erlebt. Sein Smartphone summte. Nadine rief ihn erst an, bevor sie ihre Sachen packte, vermutete er. Der Blick auf das Display verriet ihm jedoch, dass der Anruf aus dem Präsidium kam. Nele Krach, ihre Assistentin.

      »Nele, was für ein Zufall«, sagte Schiller launig, »ich wollte dich eben auch anrufen. Ich brauche deine Hilfe. Therese hat …«

      »Jan«, unterbrach Nele ihn mit ungewohnt ernster Stimme, »tut mir leid, dass ich dich störe. Es ist etwas passiert, das dir nicht gefallen wird. Der Fund einer Leiche, stark verbrannt. In einer verlassenen Siedlung in Weidenpesch. Ich fürchte, Birte und du, ihr müsst euch das ansehen. Jetzt gleich.«

      3

      »Geh nicht ans Telefon«, hatte Max gesagt, während sie noch auf ihr Telefon geschaut hatte.

      Selten hatte sie ihn so aufgekratzt gesehen. Er hatte Fotos und Kataloge um sich ausgebreitet. Hawaii – bevor sein Buch herauskommen würde, würden sie nach Hawaii fliegen, seinem Sehnsuchtsort. Zwei Wochen auf der Insel. Im Mai waren die Temperaturen noch erträglich, selten über dreißig Grad, anders als im September, wenn der berühmte

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