Nachtengel von Köln. Reinhard Rohn

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Nachtengel von Köln - Reinhard Rohn Jan Schiller

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Familien mit allem, was sie irgendwo auftrieb. Er hatte noch nie erlebt, dass sie etwas nicht gebrauchen konnte.

      Auch in der Küche, die wie immer völlig überhitzt war, weil sie selbst im Sommer die Heizung nicht ausschaltete, türmten sich Kartons. Auf dem Tisch lagen Ordner, Zeitungen, aufgeschlagene Bücher – und auf einem Stück Plastik ein toter Vogel, der aussah, als schliefe er.

      »Meine treue Amsel«, sagte Therese beiläufig, »hat sechs Jahre in meinem Garten gewohnt, muss ich nun begraben.«

      Auf der winzigen freien Fläche des Tisches standen zwei Tassen und zwei Teller.

      »Ich sollte mal wieder aufräumen.« Therese schaute sich um, dann lächelte sie. »Julika hat es hier gefallen. Sie hat kein Wort über die Unordnung verloren. Geschlafen hat sie in den zwei Nächten, die sie hier war, hinten in meinem Bügelzimmer, und gewaschen hat sie sich auf der Gästetoilette. Wollte sie so.«

      Während Therese einen Tee zu kochen begann, ging Schiller in den Flur zurück, um in den hinteren Teil des Bungalows zu gelangen. Er warf einen kurzen Blick in das Wohnzimmer, das eher wie ein Möbellager aussah. Von dem Fernseher, der, umringt von etlichen Büchern, in einer Schrankwand stand, war er nicht sicher, ob er überhaupt noch sendete, und wenn, dann möglicherweise nur schwarz-weiß. Vermutlich nahm Therese sich auch nie die Zeit, fernzusehen. Wenn sie sich entspannen wollte, hörte sie Musik. Mozart – sie liebte Mozart, und einmal im Monat, wenn eine Generalprobe mittags umsonst war, ging sie in die Philharmonie und hörte mit geschlossenen Augen zu.

      In dem Bügelzimmer, in dem sich ein altes Sofa und tatsächlich auch ein Bügelbrett befanden, schaute Schiller sich um. Gab es irgendetwas, das die Rumänin zurückgelassen hatte? Eine schwarz-gelb gemusterte Decke lag auf dem Sofa, daneben ein Kissen, und über dem einzigen Stuhl hing ein Schal, rot, aus Wolle, der so neu wirkte, dass er kaum Therese gehören konnte. Wenn sie Glück hatten und die Rumänin ihn häufig genug getragen hatte, würde man in der Kriminaltechnik genug DNA-Spuren finden, und vielleicht war es sogar möglich, einen Abgleich mit der verbrannten Leiche zu machen.

      Schiller streifte sich einen Latexhandschuh über und steckte den Schal vorsichtig in eine Plastiktüte. Dann besah er sich das winzige Bad eine Tür weiter. In einem Kamm, der auf der Ablage vor dem Spiegel lag, entdeckte er ein paar lange dunkelblonde Haare.

      Als er den Kamm in eine andere Tüte versenkte, summte sein Smartphone.

      Es war kurz nach zwanzig Uhr. Nadine hatte nun ihre Sachen gepackt und wunderte sich, warum er sich noch nicht gemeldet hatte.

      Der Blick auf das Display bestätigte seine Vermutung.

      »Mein Polizist«, sagte Nadine in dem leicht spöttischen Tonfall, den er so sehr an ihr liebte, »welche Verbrecher hast du heute schon gefangen?«

      Schiller zögerte. Er räusperte sich. »Nadine …«, sagte er. »Ich habe ein Problem …«

      Sie lachte. »Ich verstehe schon«, sagte sie. »Du hast keine Lust, mit mir nach Frankreich zu fliegen. Oper magst du auch nicht, stimmt’s? Wen hast du zu einem Verbrechen angestiftet?«

      Er musste unwillkürlich lächeln. »Eine Rumänin, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, die Therese bei sich aufgenommen hat, ist verschwunden, und dann haben wir die verkohlte Leiche einer Frau in einem leeren Haus in Weidenpesch gefunden.«

      »Also«, sagte Nadine nun ernster, »der Platz neben mir wird frei bleiben. Aber ich möchte dich noch sehen, bevor ich abfliege.«

      »Ich kümmere mich um diese Rumänin«, sagte Schiller, bevor er wieder fuhr. »Es ist nicht mehr nötig, dass du in der Gegend herumläufst und sie suchst.«

      »Sie hat einen Namen – sie heißt Julika«, entgegnete Therese, »und sollte ich zufällig am Bahnhof sein, werde ich mich trotzdem umhören, ganz bestimmt. Aber auf jeden Fall werde ich im Dom eine Kerze für sie aufstellen. Und für sie beten. Dass ihr nichts passiert ist.«

      Schiller küsste sie zum Abschied auf die Wange. Es war hoffnungslos: In dieser alten Frau würde bis zu ihrem letzten Atemzug ein störrisches Mädchen stecken, das sich von niemandem etwas sagen ließ. Gewiss würde sie, keine fünf Minuten nachdem er ihren Bungalow verlassen hatte, in die nächste Tram steigen, um zum Bahnhof zu fahren und diese Julika zu suchen.

      Vom Auto aus rief er Nele im Präsidium an. Gab es neue Hinweise zu der Leiche?

      »Die Kriminaltechnik ist immer noch in der Siedlung. Kameras oder so etwas gibt es da leider nicht. Auch in der Gegend hat niemand etwas mitbekommen. Allerdings auch kein Wunder. Ist ja alles verlassen da – das letzte der sechs Häuser war bis vor zwei Jahren bewohnt«, erklärte Nele. »Die Siedlung heißt übrigens Zigeunersiedlung, weil die Stadt die Häuser Ende der siebziger Jahre errichtet hat, um dort Sinti- und Romafamilien anzusiedeln.«

      »Das ist bestimmt super gelungen«, erwiderte Schiller. »Da ist nichts in der Nähe, kein Laden, keine Kneipe, nicht einmal eine Bushaltestelle. Und der Name ›Zigeunersiedlung‹ spricht ja auch für sich.«

      Seine Laune hatte sich wieder um etliche Grad abgekühlt. Eigentlich sollte er nun in seiner Wohnung sitzen und seine Reisetasche packen. Er unterbrach die Verbindung mit einem kurzen Gruß und dem Versprechen, später noch im Präsidium vorbeizukommen, obschon er es in Wahrheit nicht vorhatte.

      Birtes Alfa stand auf dem Parkplatz der Rechtsmedizin. Eine Frau von etwa vierzig Jahren öffnete ihm. Sie war die neue Rechtsmedizinerin, seit Almut Schwäbe, mit der er eine kurze, unfreundliche Affäre gehabt hatte, nach Frankfurt gegangen war.

      »Sie sind von der Kripo?«, fragte die Frau ihn, ohne sich selbst vorzustellen. Er nickte. »Ihre Kollegin führt gerade ein Telefonat. Ich bin eben dabei zu diktieren, was ich bereits herausgefunden habe. Ich habe aber lediglich die erste oberflächliche Leichenschau hinter mir. Viel können Sie da nicht erwarten.«

      Die Rechtsmedizinerin führte ihn in ein winziges, dunkles Büro. Sie setzte sich, deutete auf einen Stuhl vor sich und nahm ein Diktiergerät in die Hand. Schiller sah ein Foto von ihr auf dem mit Papieren übersäten Schreibtisch. Da saß sie mit längeren, deutlich rötlicheren Haaren auf einem Pferd. Sie beugte sich zu einem älteren Mann hinab, der ihr offenbar eine Medaille überreichte.

      »Bei der Toten handelt es sich vermutlich um eine fünfundzwanzig- bis dreißigjährige Frau, die etwa fünfundfünfzig Kilogramm schwer und einen Meter siebzig groß war. Der Zahnstatus deutet nicht darauf hin, dass die Person sich im Milieu der Obdachlosen aufgehalten hat. Gepflegte Zähne, keine Lücken. Die Person ist vermutlich komplett bekleidet gewesen, als sie mit einem Brandbeschleuniger übergossen und angezündet wurde. Überall außer am linken Bein sind Brandverletzungen dritten Grades entstanden. Ob das die Todesursache ist, lässt sich aber …«

      Die Rechtsmedizinerin unterbrach ihr Diktat, als Birte hereinkam.

      »Frau Dr. Grams«, sagte sie. »Mein Kollege von der Kriminaltechnik hat mich soeben angerufen. Ein leerer Kanister Benzin ist in dem Haus gefunden worden.« Dann wanderte ihr Blick zu Schiller. »Und noch etwas. Ein recht neuwertiger Schal mit einem Symbol. Eine Krone auf einem roten Schild und zwei gekreuzten Schwertern. Das Wappen von Sibiu, einer Stadt in Rumänien.«

      5

      Warum war die Frauenleiche angezündet worden? Die Antwort konnte nur lauten: um die Identifizierung der Frau zu verhindern. Nur hatte der Täter den Schal übersehen, den die Frau getragen hatte. Sibiu hatte früher Hermannstadt geheißen. Viele Deutsche hatten sich dort angesiedelt. Also war es

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