Nachtengel von Köln. Reinhard Rohn

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Nachtengel von Köln - Reinhard Rohn страница 8

Nachtengel von Köln - Reinhard Rohn Jan Schiller

Скачать книгу

den sie jedoch nicht sofort beantwortete.

      Auf dem Friedhof fiel es ihm jedes Mal schwer, die richtige Abzweigung zu finden und sich nicht in dem Gewirr von Gängen zu verirren. Er kam zu selten her. Eine Gärtnerei pflegte das Grab.

      Als er den rötlichen Grabstein entdeckte, atmete er auf. Gleichzeitig trat ihm der Tag des Unglücks wieder vor Augen. Zum ersten Mal war er verliebt gewesen – in Sarah, das hübscheste Mädchen der Klasse. Sie hatte ihn bisher nie beachtet, ihr Vater war Arzt, sie spielte Geige und hatte ein eigenes Pferd, nun aber hatte er sie dazu gebracht, mit ihm ins Kino zu gehen. Die Rauchschwaden hatte er schon von Weitem gesehen, ohne sich etwas dabei zu denken. Als er jedoch vor dem Haus stand, stob der schwarze Rauch genau aus den zwei Zimmern ihrer Wohnung in der zweiten Etage. Ein Defekt an einem Elektroofen, hatte es später geheißen; Genaueres hatte man nie herausgefunden. Sein Vater und seine Mutter waren erstickt. Die Leichen hatte man ihm nicht gezeigt.

      Er spürte, dass sein Smartphone summte, als er sich dem Grab näherte. Im Präsidium fragte man sich gewiss, wo er abgeblieben war. Ein alter Mann stand vor dem Grab, in der Hand hielt er eine rote Rose. Schiller beobachtete, wie der Mann sich verbeugte, dann legte er die Blume vor dem Grabstein ab. »Elisabeth und Johannes Schiller«, stand in filigranen goldenen Buchstaben da, unter einem zart in den Stein gemeißelten Kreuz.

      Als Schiller an ihn herantrat, drehte der Mann sich um. Er mochte siebzig oder achtzig Jahre alt sein, er war hager und ungewöhnlich groß, sicherlich fast einen Meter neunzig. Sein graues Haar stand wirr vom Kopf ab, als hätte er sich nur nachlässig gekämmt oder als wäre er soeben erst aufgestanden.

      »Kenne ich Sie?«, fragte Schiller.

      Der Mann kniff die Augen zusammen, er war auch nicht rasiert, graue Stoppeln bedeckten seine Wangen. Plötzlich lächelte er. »Wohl nicht«, sagte der alte Mann. »Aber ich kenne dich. Du bist Jan, nicht wahr? Deine Mutter hat mir damals viel von dir erzählt.«

      »Wer sind Sie?« Schiller nahm den Greis genauer in Augenschein. Ein Verwandter konnte es nicht sein. Sein Vater hatte keine Angehörigen mehr gehabt und seine Mutter lediglich eine Schwester in Bad Godesberg, die vor einem Jahr gestorben war und zu der er kaum Kontakt gehabt hatte.

      Der Mann streckte die Hand vor. »Ich bin Friedbert. Ich hätte mich längst schon mal vorstellen sollen. Damals, nach dem Unglück, wollte ich unbedingt mit dir sprechen, aber Therese … Sie hat das …« Er zögerte und verzog das Gesicht. »Ja, sie hat das verhindert. Bedroht hat sie mich geradezu.«

      Zögernd ergriff Schiller die Hand des Mannes. »Ich verstehe nicht«, sagte er. »Therese hat verhindert, dass ich Sie treffe?«

      Die Augen des Mannes blitzten auf. »Genau, sie wollte das nicht. Deine Mutter und ich … Nun, wir haben uns geliebt. Wir wollten zusammen sein, deshalb hat dein Vater ja dieses Unglück angerichtet. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Elisabeth ihn verlassen wollte. Elisabeth und ich …«

      Schiller rang nach Luft. Was erzählte der Mann da? Sein Vater hatte das Unglück herbeigeführt? »Ich glaube, Sie sind irre«, stieß er hervor. »Meine Mutter und mein Vater hatten damals Probleme, aber …«

      Sanft schüttelte der Mann den Kopf. »Nein, keine Probleme, es war eigentlich alles geklärt. Nur dir hatten sie noch nichts gesagt. Mit Elisabeth und mir, das war etwas Besonderes. Sie ist ein Jahr vorher zu mir in den Chor gekommen, wir haben zusammen gesungen. Deine Mutter hatte eine wunderbare Altstimme, und dann nach einiger Zeit …«

      »Sie sind dieser Chorleiter?«, fragte Schiller überrascht. Sein Smartphone summte wieder. Er erinnerte sich vage, dass seine Mutter an zwei Abenden der Woche zu ihren Chorproben gegangen und jedes Mal regelrecht euphorisch zurückgekehrt war.

      »Ganz recht«, sagte der Mann. »Ich war Musiklehrer, mittlerweile pensioniert, aber den Chor leite ich immer noch. Vielleicht können wir darüber einmal ausführlich sprechen, und wenn dein Vater sie nicht umgebracht hätte, wären Elisabeth und ich bestimmt seit vielen Jahren verheiratet.«

      Schiller hob die Hand und ballte die Faust. Er war kurz davor, zuzuschlagen. »Reden Sie nicht so!«, zischte er. »Mein Vater hat bestimmt niemanden umgebracht. Und seine eigene Frau schon gar nicht.«

      Dann wandte er sich ab und eilte zu seinem Wagen.

      7

      Vladan war überaus freundlich zu ihr. Er brachte sie auf ihr Zimmer, indem er sie sanft am Ellbogen berührte. Es war alles noch unverändert: das Bett, der Tisch, zwei Stühle, der Schrank und der Fernseher auf dem Schrank. Nur ihre braune Ledertasche, die früher ihrem Großvater gehört hatte, hatte jemand auf das Bett gelegt.

      »Setz dich«, sagte Vladan auf Rumänisch. Seine Augen schimmerten dunkel.

      Sie wartete auf seinen Wutausbruch, aber nichts kam. Er nahm auf einem Stuhl Platz und steckte sich eine Zigarette an, obschon man ihnen erklärt hatte, dass sie in diesen Räumen nur zu Gast waren und dass man hier nicht rauchen dürfe. Leise Musik drang aus dem Nebenzimmer, zur Rechten, nicht aus dem Nachbarraum, in dem Irina gewohnt hatte.

      »Ich habe mir Sorgen gemacht«, sagte Vladan in einem väterlichen Tonfall. »Du warst weg, und ich … ich bin für dich verantwortlich. Wo bist du gewesen? Du musst es mir sagen!«

      Er zog an seiner Zigarette und schnippte die Asche dann ganz einfach auf den Boden.

      Sie schaute ihn an. Nein, sie durfte ihm nichts von Therese erzählen, die sie wahrscheinlich am Bahnhof suchen würde. Zum Glück hatte sie ihr nicht genau erzählt, wo das Haus stand, in dem Vladan sie gefangen hielt.

      Als sie nicht antwortete, machte Vladan eine Geste, als wolle er ihr über den Kopf streichen. Hastig zuckte sie zurück.

      »Ich weiß, es ist alles neu für euch hier«, sagte er, »und wir hätten euch auch besser Bescheid sagen müssen, was euch erwartet. Bevor ihr arbeiten dürft, müsst ihr untersucht werden. Das ist in diesem Land hier so. In Deutschland gibt es viele Gesetze und Vorschriften.«

      Plötzlich sah sie, dass er eine Wunde am Hals hatte, ein Pflaster klebte da. Ein Gedanke kam ihr.

      »Wo ist Irina?«, fragte sie. »Was ist mit ihr passiert?«

      In Vladans Augen loderte etwas auf, sein Kopf ruckte in die Höhe. »Irina ist nach Hause gefahren – mit dem Bus«, sagte er. »Sie hat eine Krankheit, deshalb haben wir sie zurückgeschickt. Sie darf in diesem Land nicht arbeiten.«

      »Sie hat geschrien«, sagte sie. »Warum hat sie geschrien? Hast du ihr gesagt, dass sie hier in einem Bordell arbeiten soll?«

      Vladan sprang abrupt auf. »Miststück!«, brüllte er. »Ich bin gut zu dir. Ich könnte auch anders, und wenn du noch einmal nach Irina fragst, dann …« Er beugte sich vor.

      Sie roch seinen Atem. Nikotin und Bier. Widerlich!

      Seine Hand schoss vor, auf ihr Gesicht zu, aber dann kniff er sie nur so heftig in die Wange, dass ein scharfer Schmerz sie durchzuckte, und stürmte aus dem Zimmer.

      Sie spürte, dass sie zu weinen begann. Es war ein Fehler gewesen, zurückzukommen – nur wegen ein paar Sachen und ein wenig Geld. Sie zog ihr Nokia hervor. Sie musste Therese Bescheid geben, wo sie war – dass sie wieder eingesperrt war. Jetzt auf der Stelle!

      Doch kaum hielt sie das Telefon in der Hand, war Vladan zurück. Er starrte sie hasserfüllt an, so kam es ihr vor, und als er das

Скачать книгу