Nachtengel von Köln. Reinhard Rohn

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Nachtengel von Köln - Reinhard Rohn Jan Schiller

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das sah ihr gar nicht ähnlich. Eine Frau stieg aus, die ein kleines Kind, das kaum ein Jahr alt sein mochte, auf dem Arm trug. Hastig strebte sie auf Thereses Bungalow zu.

      »Wenn Sie zu der Hebamme möchten«, rief Birte ihr zu. »Sie ist nicht zu Hause.«

      Die Frau wandte sich abrupt um. Sie hatte dunkle Haut, eine Türkin oder Iranerin. »Aber das kann nicht sein«, entgegnete sie. »Therese hat gesagt, sie ist da und will sich meine kleine Samira ansehen. Sie hat unser Treffen noch nie vergessen.«

      9

      Eine halbe Stunde saß Schiller reglos hinter dem Steuer, unfähig, sich zu bewegen. Er sah, wie der Chorleiter den Friedhof verließ. Mit ruhigen Schritten, fast heiter ging der alte Mann auf ein riesiges Wohnmobil zu, startete und fädelte sich in den Verkehr ein. Es war ungeheuerlich, was der Alte gesagt hatte. Sein Vater hatte seine Mutter umgebracht, indem er einen Ofen manipuliert hatte …

      Keinen Menschen hatte Schiller mehr geliebt als seinen Vater – nicht Carla, seine ehemalige Freundin, nicht die drei, vier Frauen, die es davor gegeben hatte. Und auch seine schweigsame, immer ein wenig zu träumerisch wirkende Mutter nicht. Sein Vater, der freundliche, muskulöse Motorradpolizist, war sein Vorbild gewesen, das er später jahrelang vermisst hatte.

      Er spürte, dass sich sein Herzschlag beschleunigte. Die Kehle war wie ausgetrocknet. Er brauchte dringend einen Kaffee oder besser noch einen guten Rotwein. Zweimal summte sein Smartphone. Birte versuchte ihn zu erreichen, und Nadine hatte auch eine Nachricht geschrieben. »Hebe gleich ab, mein Polizist. War trotzdem schön mit dir. N.«

      Trotzdem … Ihm aber kam es vor, als wäre ihre gemeinsame Nacht schon lang vergangen, wäre vor einer Ewigkeit passiert.

      Als Birte noch einmal anrief, nahm er nicht ab, sondern ließ den Motor an. Ja, sie warteten im Präsidium auf ihn. Wahrscheinlich hatte Fitschen wegen der toten Frau eine Konferenz angesetzt, und sie sollten auch baldmöglichst eine Pressemeldung herausgeben, aber zuerst musste er für sich etwas klären.

      Mit quietschenden Reifen raste er los. Was hatte dieser Chorleiter gesagt? Therese hatte ihm gedroht, und deshalb hatte er sich von dem damals vierzehnjährigen Jungen ferngehalten? Also musste sie etwas von der Affäre seiner Mutter gewusst haben. Aber konnte das sein – dass sie achtundzwanzig Jahre lang kein Wort darüber verloren hatte?

      Wut und gleichzeitig Ratlosigkeit erfüllten ihn. Therese war der aufrichtigste Mensch, den er kannte. Sie konnte eine Träne vergießen, wenn sie einen toten Igel in ihrem Garten fand, und sie gab ihr letztes Hemd für Menschen, die in Not waren.

      Vom Südfriedhof brauchte er nicht mehr als zwanzig Minuten bis nach Seeberg. Er würde sie stellen, ihr keine Möglichkeit für Ausflüchte geben, nahm er sich vor.

      Als er in die schmale Straße einbog, sah er Birtes Alfa vor der Tür sehen. Sie sprach mit einer Frau, die ein Kind auf dem Arm hielt und die offensichtlich zu Therese gewollt hatte. Mit düsterer Miene stieg die Frau, eine noch recht junge Türkin, in ein Taxi, das neben dem Alfa wartete.

      »Therese ist nicht da«, rief Birte ihm zu, nachdem er ausgestiegen war.

      »Wahrscheinlich läuft sie umher und sucht diese Julika«, sagte Schiller.

      Birte nickte. Er sah ihr an, dass sie ihn am liebsten gefragt hätte: Und warum bist du hier?, doch dann erklärte sie, dass sie eine junge Frau am Bahnhof aufgelesen und zu Therese hatte bringen wollen.

      Schiller versuchte, die alte Hebamme am Smartphone zu erreichen, doch es sprang nur ihre Mailbox an. Er hinterließ eine kurze Nachricht. »Ich muss dich sprechen«, sagte er. »Ich hoffe, du machst keine Dummheiten. Ich war am Grab und habe diesen Friedbert getroffen.«

      »Friedbert?«, fragte Birte, die seine Nachricht an Therese mitgehört hatte. »Wer ist Friedbert?«

      Schiller antwortete nicht sofort darauf. Sein Zorn auf Therese war nicht abgeflaut, im Gegenteil, nun, da er sich auch noch auf die Suche nach ihr begeben musste, wuchs er noch.

      »Eine Privatsache«, sagte er dann ungewöhnlich barsch. »Wo willst du diese Frau unterbringen?«

      »Ich wollte ein Hotel suchen. Sie könnte uns nützlich sein.«

      »Nein, kein Hotel«, sagte er nun versöhnlicher, »ich habe eine bessere Idee.«

      Zwei Menschen gab es auf der Welt, die ihn sein Leben lang begleitet hatten: Der eine war Therese, der andere Henning Broder, sein bester Freund seit den gemeinsamen Tagen im Kinderheim. Broder hatte viele Krisen durchlebt. Eine Zeit lang hatte er wie ein Obdachloser im Garten einer Kirchengemeinde in Nippes gehaust, hatte Müll gesammelt und gelegentlich ein Bild gemalt. Dann war er angeschossen worden, eine Kugel in den Kopf, und hatte mühsam wieder lernen müssen, zu gehen und zu sprechen, doch er hatte sich zurück ins Leben gekämpft. Nach der schweren Verletzung war er eine Weile eine Berühmtheit in Köln gewesen; das hieß, seine Bilder waren zu horrenden Preisen verkauft worden. Sogar ein Museum hatte eines erworben. Er konnte sich nun eine kleine Wohnung und ein Atelier in einem Hinterhof in Nippes leisten.

      Danuta war schüchtern zu Schiller in den Wagen gestiegen, während Birte ins Präsidium gefahren war. Sie blickte starr geradeaus.

      Was genau haben Sie am Bahnhof gesehen?, wollte Schiller sie fragen, doch dann überlegte er es sich anders. »Dieser Mann, zu dem ich Sie bringe, ist mein bester Freund. Wer ist das bei Ihnen – wer ist Ihr bester Freund?«

      Sie sah ihn an. Sie war hübsch, ein kleines, blasses Gesicht mit hohen Wangenknochen. Blonde Haare umrahmten es; ihre hellblauen Augen wirkten ein wenig zu groß. Sie hätte – wenn man von ihrer Erschöpfung absah – auch eine Schwedin aus einem Bilderbuch sein können.

      »Ich weiß nicht«, sagte sie mit ihrem schweren osteuropäischen Akzent. »Ich hatte einen Freund … Matas, aber er wollte unbedingt in die USA … und dann …« Sie verstummte.

      »Und dann?«, fragte er nach.

      »Meine Mutter ist auch … ein Freund«, sagte sie, doch so vage, als wäre sie sich nicht sicher. »Sie ist Verkäuferin und hat geputzt, damit ich zur Schule gehen konnte. Einen Vater hatte ich nie, aber nein … Am meisten habe ich meine Puppen geliebt.«

      Sie war Puppenspielerin, das hatte Birte ihm zugeraunt. Eine Puppenspielerin, die irgendwie in Köln gestrandet war, nachdem man ihr die Marionetten gestohlen hatte, mit denen sie ihren Lebensunterhalt verdient hatte.

      »In Köln gibt es ein Puppentheater – sehr berühmt in der Stadt«, sagte Schiller. »Da bin ich mit meinem Vater manchmal gewesen, als ich noch ein Kind war. Eine schöne Erinnerung.«

      Schmerz erfasste ihn wieder. Vor achtundzwanzig Jahren waren seine Eltern gestorben, und nun, nachdem er am Grab gewesen war und den Chorleiter getroffen hatte, waren alle Wunden wieder aufgebrochen, als wäre es gestern passiert.

      In Nippes parkte er in der Einfahrt zu Broders Atelier. Broder saß auf einem Stuhl vor seinem Atelier und rauchte. »Hoher Besuch!«, rief er voller Spott, weil Schiller so selten zu ihm kam. »Und dann auch noch in hübscher Begleitung.«

      Schwerfällig erhob er sich. Das linke Bein zog er immer noch nach, und malen konnte er allenfalls drei, vier Stunden am Tag.

      Schiller stellte Danuta kurz vor.

      Broder nickte. »Über dem Atelier gibt es noch einen Raum mit einem Bett. Da trocknen ein

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