Maigret und das Gespenst. Georges Simenon
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Eine kleine Bar in der Rue Saint-Antoine, wo junge Männer und Mädchen den Klängen der Musikbox lauschten.
›Wenn ich aus dem Gefängnis herauskomme, werden mich seine Leute umbringen, und das nur Ihretwegen.‹«
Nun denn, das Tagwerk war vollbracht. Maigret legte sich mit schwerem Kopf schlafen.
»Wann musst du im Büro sein?«
»Um neun.«
»Kannst du nicht etwas länger schlafen?«
»Weck mich um acht.«
Es gab sozusagen keinen Übergang. Er hatte das Gefühl, überhaupt nicht geschlafen zu haben. Ihm war, als hätte es, nur wenige Minuten nachdem er die Augen geschlossen hatte, an der Wohnungstür geklingelt und seine Frau wäre aus dem Bett geschlüpft.
Im Flur wurde geflüstert. Er glaubte die Stimme zu erkennen, sagte sich aber, er träume gewiss, und vergrub seinen Kopf im Kissen.
Wieder die Schritte seiner Frau, die sich dem Bett näherten. Wollte sie sich noch einmal hinlegen? Hatte sich jemand in der Tür geirrt? Nein. Sie berührte ihn an der Schulter, zog die Vorhänge auf. Ohne dass er die Augen aufzuschlagen brauchte, merkte er, dass es heller Tag war. Mit pappiger Stimme fragte er: »Wie spät ist es?«
»Sieben.«
»Ist jemand gekommen?«
»Lapointe wartet im Esszimmer auf dich.«
»Was will er?«
»Ich weiß nicht. Bleib noch einen Moment im Bett. Ich mache dir eine Tasse Kaffee.«
Warum sprach seine Frau mit ihm, als gäbe es schlechte Neuigkeiten? Warum hatte sie gezögert, seine Frage zu beantworten? Es war ein grauer Tag, und es regnete immer noch.
Maigrets erster Gedanke war, dass Jean Bauche sich nach seinem Geständnis in der Zelle erhängt hatte. Ohne auf den Kaffee zu warten, erhob er sich, schlüpfte in seine Hose, fuhr sich mit dem Kamm durchs Haar und öffnete, noch ganz benommen, die Tür zum Esszimmer.
Lapointe stand in einem schwarzen Mantel am Fenster, einen dunklen Hut in der Hand, das Gesicht mit Bartstoppeln bedeckt, da er die ganze Nacht Dienst gehabt hatte.
Maigret blickte ihn nur fragend an.
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie geweckt habe, Chef … Heute Nacht ist etwas passiert … Es geht um jemanden, den Sie sehr mögen.«
»Janvier?«
»Nein … Niemand vom Quai.«
Madame Maigret brachte zwei große Tassen Kaffee.
»Lognon …«
»Ist er tot?«
»Schwer verletzt. Man hat ihn ins Krankenhaus Bichat gebracht. Seit drei Stunden operiert ihn Professor Mingault … Ich wollte nicht früher kommen. Nach dem Tag gestern und dem Abend brauchen Sie Ruhe … Am Anfang sah es auch nicht so aus, als würde er durchkommen.«
»Was ist geschehen?«
»Zwei Kugeln, eine in den Bauch, die andere in den Rücken, etwas unterhalb der Schulter…«
»Wo?«
»In der Avenue Junot, auf dem Gehsteig …«
»War er allein?«
»Ja. Seine Kollegen vom 18. Arrondissement haben die Ermittlungen aufgenommen.«
Der Kaffee schmeckte Maigret nicht so gut wie sonst.
»Ich habe gedacht, Sie möchten vielleicht bei ihm sein, wenn er wieder zu sich kommt. Der Wagen steht unten.«
»Weiß man Näheres über die Sache?«
»Kaum etwas. Man weiß nicht mal, was Lognon in der Avenue Junot gemacht hat. Eine Concierge hat die Schüsse gehört und die Polizei informiert. Eine Kugel ist durch ihren Fensterladen gedrungen, hat die Scheibe zerschlagen und ist dann in der Wand über ihrem Bett stecken geblieben.«
»Ich ziehe mich rasch an.«
Er ging ins Badezimmer, während Madame Maigret den Tisch für das Frühstück deckte.
Lapointe hatte seinen Mantel ausgezogen und wartete.
Inspektor Lognon gehörte zwar nicht, wie er es sich gewünscht hätte, zum Quai des Orfèvres, aber Maigret hatte doch ziemlich oft mit ihm zu tun gehabt, fast jedes Mal, wenn im 18. Arrondissement ein größerer Fall aufzuklären war.
Er war ein sogenannter Zivilist, einer der zwanzig Inspektoren in Zivil, die ihr Büro in der Mairie von Montmartre, an der Ecke Rue Caulaincourt und Rue du Mont-Cenis hatten.
Manche nannten ihn Inspektor Griesgram, seiner mürrischen Miene wegen. Maigret nannte ihn Inspektor Pechvogel, und tatsächlich könnte man sagen, dass der arme Lognon die Gabe hatte, alles nur denkbare Unglück auf sich zu ziehen.
Er war klein und mager und das ganze Jahr über erkältet, weshalb er immer eine rote Nase und die tränenden Augen eines Trinkers hatte, und dabei war er gewiss der enthaltsamste Polizeibeamte von allen.
Er war mit einer kranken Frau geschlagen, die sich nur mühsam von ihrem Bett zu einem Sessel am Fenster schleppen konnte, sodass Lognon nach Dienstschluss die Wohnung sauber machen, die Einkäufe erledigen und das Essen kochen musste. Für das große Reinemachen einmal die Woche konnte er sich immerhin eine Putzfrau leisten.
Viermal hatte er sich bei der Kriminalpolizei beworben, und jedes Mal hatte er die Prüfung wegen irgendwelcher dummer Patzer nicht bestanden, und dabei war er ein besonders guter Polizeibeamter, eine Art Jagdhund, der, wenn er einmal die Fährte aufgenommen hatte, nicht lockerließ. Er war beharrlich und akribisch, der Typ, der immer und überall Verdächtiges wittert.
»Und? Kommt er durch? Was sagen die Ärzte?«
»Die Chancen scheinen drei zu zehn zu stehen.«
Bei einem Mann, der den Namen Inspektor Pechvogel zu Recht trug, war das nicht gerade ermutigend.
»Konnte er sprechen?«
Maigret, seine Frau und Lapointe aßen die Croissants, die der Bäckerjunge vor die Tür gelegt hatte.
»Dazu haben seine Kollegen nichts gesagt, und ich habe lieber keine Fragen gestellt …«
Lognon war nicht der Einzige, der unter einem Minderwertigkeitskomplex litt. Die meisten der Inspektoren der einzelnen Kommissariate schielen neidisch zu dem »großen Haus« hin, wie der Quai des Orfèvres auch genannt wird, und wann immer sie in einem interessanten, schlagzeilenträchtigen Fall ermitteln, ärgert es sie, wenn man ihnen diesen wegnimmt.
»Gehen wir«, seufzte Maigret und zog seinen vom Vortag noch feuchten Mantel an.
Sein