Der einsame Mann. Clara Viebig

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der einsame Mann - Clara Viebig страница 2

Автор:
Серия:
Издательство:
Der einsame Mann - Clara Viebig

Скачать книгу

so früh war so ein faules Dienstmädchen noch nicht auf! Er würde sich’s ausbitten, dass seine Stiefel noch gleich am selben Abend geputzt wurden, seine Burschen hatten das immer so gemacht, darauf hatte er gehalten. Die Stirn des Mannes, die der schöne Morgen heiter angeglänzt hatte, verfinsterte sich: zum Donnerwetter, die Stiefel mussten auf ihn warten, nicht er auf die Stiefel! Da hörte er unten im Hausflur bürsten, emsig bürsten — aha, da war das Mädchen ja wohl am Werk!

      In Unterhemd und Hosenträgern neigte er sich über’s Treppengeländer: »Meine Stiefel!« Ein entsetztes Gesicht starrte zu ihm auf, und er fuhr ebenso entsetzt zurück: die Frau Doktor selber!

      Da stand sie im kurzen Unterrock, nur eine Hausschürze über dem Oberkörper, hatte seinen einen langen Stiefel wie eine schwarze Röhre über den Arm gezogen und wichste, wichste.

      Das war doch ausser ’m Spass! Eine Dame putzte ihm die Stiefel und er in Unterhemd und Hosenträgern! Das fing ja gut hier an. Die Laune war ihm gründlich verdorben. Aber als er dann im tauigen Garten zwischen den Rabatten vorsichtig herumging, damit er nichts von den Blumen abtrat, die in dichten Bündeln, von den Küssen der Nacht befeuchtet, üppig und schlaftrunken über den Buchsbaumeinfass in den Weg hingen, fand er es doch sehr angenehm hier, so angenehm, dass er den Entschluss, nach einem Monat wieder auszuziehen, den er im ersten Ärger gefasst hatte, vorderhand fallen liess. Vielleicht war das Mädchen auch nur jetzt nicht da. — —

      Der Baron war auf dem Nachhauseweg, er hatte gut gespeist. Im Gasthof zum Deutschen Kaiser war auch eine ganz passende Tischgesellschaft: der Kreisarzt, der Amtsrichter, der Postverwalter, der junge Volontär einer grossen Weinfirma, und der Apotheker, der sich aber demnächst verheiraten wollte; alles gebildete Leute, die ihm mit grossem Respekt begegneten. Er hatte einen Schoppen von dem Mosel getrunken, den sie alle tranken — ein angenehmes Weinchen — und in der Tasche trug er ein Biskuit das er sich vom Nachtisch eingesteckt hatte; für den Jungen. Kuchen schien der ja nicht viel zu bekommen.

      Langsam schlenderte der Oberst, die Sonne schien heiss und glitzerte auf dem Fluss, dass dessen Oberfläche wie poliertes Silber glänzte, mit goldenen Spiegeln darauf. Eine halbe Stunde war es von der Stadt her zu gehen, aber unter den alten Walnussbäumen, die sich wie eine Allee am Ufer hinzogen, gab es Schatten. Die ausgebaute Burg, um deren Felskegel sich die krummen Gassen der Stadt gruppieren, schien auch goldene Funken zu sprühen. Ein Pfeifen spitzte die Lippen des behaglich Schlendernden; aber er pfiff doch nicht, das hätte sich schlecht für ihn gepasst. Eigentlich ein wunderschöner Ort, dieses Nest, trotz seiner kleinstädtischen Enge, ganz dazu angetan, einem alten Militär, der sich’s sauer hatte werden lassen im Dienst, und den man dann abgesägt hatte, bloss wegen eines kleinen taktischen Fehlers im Manöver, das Leben noch einmal angenehm zu machen.

      Was wohl der Junge zu dem Törtchen sagen würde? Der musste besser genährt werden, er war etwas bleich, nicht braun genug trotz der vielen Sonne hier, und seine Bäckchen waren schmal. Merkwürdig, wie rasch der Knabe sich an ihn angeschlossen hatte! Seit jener ersten Rechenaufgabe, bei der er ihm geholfen hatte, kam er jeden Tag: »Wollen wir jetzt rechnen?« Es schien ihm selbstverständlich. Auch die Handschrift von Hans-Helmut musste noch besser werden. Er selber übte sich jetzt täglich in schönen kalligraphischen Schnörkeln.

      »Eugen, du schreibst ja so, als ob eine Katze mit der Pfote übers Papier gekratzt hätte,« das hörte der Mann jetzt auf einmal wieder seinen Vater sagen. Das war schon so lange, lange her. Merkwürdig, bei dem Kind hier fiel dem Baron die eigene Kindheit wieder ein. Ein grossartiger Schüler und besonders lerneifrig war er gerade nicht gewesen, manches war ihm oft verdammt sauer geworden. Nun, war es denn nicht auch das reine Verbrechen, die armen Kinder, die man lieder die einzig glückliche Zeit des Lebens voll geniessen lassen sollte, mit übertriebenen Schulsorgen zu quälen? Wenn er Kinder hätte, er würde ihnen diese Zeit nicht verkümmern. Wenn er Kinder gehabt hätte. Warum hatte er denn eigentlich keine, warum hatte er sich nicht verheiratet? Das war gar nicht so schwer zu beantworten. Ein paar erste Ansätze waren nicht geglückt, und da waren ihm der Mut und die Lust vergangen. Man lebt ja auch, wenn man nicht reich ist, als Junggeselle viel sorgenfreier. In jungen Jahren hat man auch gar nicht so das Verlangen nach eigener Familie. Freilich, wenn man älter wird, wenn der Winter des Lebens kommt — der Mann blieb plötzlich stehen, mitten im Sonnenschein fühlte er ein kühles Wehen — dann ist es nicht schön, einsam zu sein!

      Als er ins Haus trat, das ihn dunkel und kühl umfing nach dem heissen Sonnenglanz draussen, weckte ihn die Stimme der Frau Doktor aus allerlei Träumereien. Sie hatte ihm aufgepasst, hinter der Küchentür kam sie jetzt vor.

      Es klang leise und gedrückt, und sie senkte dabei den Blick: »Herr Baron, ach, dürfte ich bitten, dass Sie recht zeitig Ihre Stiefel vor die Zimmertür stellen, damit sie noch am Abend geputzt werden können?«

      »Meine Stiefel — ja, ja!« Plötzlich sah er sie wieder vor sich, den mageren Arm in die schwarze Röhre gesteckt und bürsten, bürsten. Nein, das konnte, durfte er nicht annehmen, dass ihm eine Dame die Stiefel putzte! Er räusperte sich verlegen, dann sagte er sehr rasch: »Ich putze meine Stiefel selber. Ich habe das immer getan. Es ist sozusagen eine Leidenschaft von mir.«

      Sie sah ihn ungläubig an: »Herr Baron, das sagen Sie nur so — meinetwegen —, aber es macht mir gar nichts aus, wirklich nicht. Ich tue es gern — es ist ja auch meine Pflicht. Bitte, stellen Sie sie, wenn Sie sie ausgezogen haben, heraus!« Ein steigendes Rot kam in ihr Gesicht, sie kämpfte mit sich, es war ihr peinlich, ihre Verhältnisse so zu offenbaren. »Ich bin eben nicht in der Lage, mir ein Dienstmädchen zu halten. Meine Mittel sind beschränkt. Ich muss sehen, dass ich etwas spare — ich möchte nicht, dass der Junge hier verkommt — mein Sohn soll studieren.«

      Beim Himmel ja, das sollte er, wenn er es gern wollte! Wenn der Oberst auch nicht recht begriff, wie man »Studieren« als höchstes Ziel aufstellen konnte, darin verstand er die Mutter vollkommen, dass sie für ihren Sohn das in ihren Augen Höchste wollte. Er verneigte sich stumm, und dann kam ihm plötzlich der rettende Gedanke: »Gnädige Frau, wenn Sie gestatten, engagiere ich mir eine Frau, die jeden Morgen kommt und die paar Kleinigkeiten für mich erledigt. Ich möchte nicht, dass Sie sich meinetwegen noch so besonders bemühen.«

      Sie stammelte etwas von »zu gütig« und »nicht annehmen können«, da kam zum Glück Hans-Helmut gesprungen. Er hatte oben zum Dachfenster heraus nach den Schwalben geschaut, die über die Telegraphendrähte hin flitzten, und hinausgeträumt in die blaue Luft, bis die etwas knarrige Stimme unten ertönte und ihn aufstöberte. Die Treppe war er heruntergeflogen. Mit beiden Händen hing er sich nun dem Mann an den Arm: »Warum sind Sie denn heut so lange geblieben? Ich habe schon so auf Sie gewartet!«

      »Hans-Helmut, aber!« mahnte die Mutter.

      »Lassen Sie ihn doch!« Der Oberst lächelte: also so sehnsüchtig war er erwartet worden? »Du hast wohl wieder was nicht herausgebracht?«

      »Wir haben ja gar nichts auf!«

      »Na, da habe ich dir auch etwas mitgebracht!« Vorsichtig, damit er es nicht zerdrückte, zog der Oberst das Törtchen aus der hinteren Rocktasche. Aber der Knabe sagte nur artig: »Danke« und legte es hin. Die aufstrahlenden Blicke seiner Augen hingen bloss an dem Freund: »Darf ich jetzt bei Ihnen bleiben?«

      »Ja, das darfst du, mein Sohn.« Und mit einer väterlichen Gebärde legte der Mann die Hand auf den Knabenkopf.

      Zweites Kapitel

      Sie hatten sich ganz gut miteinander eingelebt; lebten sich eigentlich jeden Tag mehr zusammen. Der Oberst dachte nicht mehr ans Ausziehen. Es waren ihm öfter in der Stadt bequemere und auch sehr hübsche Wohnungen angeboten worden: der weite Weg von da draussen herein war doch wirklich lästig, besonders wenn es so andauerndes Regenwetter war, und ein so hässlicher Wind wehte

Скачать книгу