Der einsame Mann. Clara Viebig

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der einsame Mann - Clara Viebig страница 6

Автор:
Серия:
Издательство:
Der einsame Mann - Clara Viebig

Скачать книгу

der gefrässige Fisch nach dem Köder mit dem fetten Regenwurm schnappte, dann spiesste er mit seiner zweizinkigen Wurfgabel den dummen Hecht auf.

      »Ach, Mutter, ach, Iass mich doch!« Des Knaben Gesicht glühte, vor Aufregung hatte er schon nichts essen können.

      »Sie brauchen kein Angst zu haben, Frau Doktor,« sagte Maria. »Ich pass schon gut auf ihn auf.« Sie nahm ihn ganz mütterlich bei der Hand: »Gelt, Hänschen?«

      Frau Doktor glaubte wohl, dass Maria gut auf ihn passen würde, gross und stämmig stand sie da, ein verständiges, fast schon erwachsenes Mädchen. Aber doch zögerte die Mutter noch; an ein Inswasserfallen dachte sie nicht, der Gedanke kam ihr nicht, aber etwas anderes machte ihr die Sache unlieb, ein leises Bedenken: der alte Kaspers war ein Schiffer, Schiffer sind so roh, die Söhne waren es auch, wer weiss, was Hans-Helmut da aufschnappte an gewöhnlichen Redensarten. Sie zögerte. Das Mädchen stand immer noch, sah sie unverwandt an mit seinen blanken Augen, und der Knabe umschmeichelte sie. Er hatte sich an die Mutter gehängt, mit beiden Armen ihre Taille umfasst, sein hübsch es, meist ernsthaftes Gesicht war heute strahlend in der Erwartung einer grossen Freude: »Mutter, du erlaubst es doch? Du musst es erlauben!« Sie wusste sich keinen andern Rat: »Geh, frag mal den Herrn Baron!«

      Mit einem Jubelschrei rannte der Knabe nach oben: oh, der würde sicher „ja“ sagen! Und schon kam er wieder mit ihm zurückgerannt.

      Der Oberst hatte im Sessel seine Pfeife geraucht, war darüber eingenickt, wie immer nach Tisch, das eine Ohr hatte er sich ganz rot geschlafen; den Kragen hatte er abgeknöpft, die alte Litewka, die er im Hause trug, stand offen. Der Knabe zerrte ihn an der Hand mit sich: »Mutter, ich darf, er sagt ‚ja‘.« Da sagte die Frau Doktor denn auch: »Ja.«

      Man hätte dem stillen Knaben gar nicht solchen Freudenausbruch zugetraut. Er hüpfte auf einem Bein und klatschte in die Hände: »Wir fangen Fische, wir fangen Fische, wir braten uns welche auf der Kribbe, die Maria und ich — ha, das wird fein!« Und dann nahm er im Ungestüm seiner Freude die Mutter um den Hals und fasste zugleich mit dem andern Arm den Freund um den Nacken, er hing sich an beide und brachte sie so mit den Köpfen dicht zusammen; nur sein Knabenhaupt war noch zwischen ihnen, sonst hätten sich ihre beiden Wangen berührt. Verlegen strebte die Mutter loszukommen, aber Hans-Helmut hielt fest, und seine Knabenstimme schrie durchdringend hell: »Ich hab’ euch lieb, ich hab’ euch beide so lieb!«

      Die Kinder waren gegangen. Die Mutter sah ihnen von der Haustür aus nach. Sie hatte ihnen noch dringend eingeschärft: keine nassen Füsse, und dass Maria ja Obacht gab. An der Hand des Mädchens sah sie ihren Knaben davonstolzieren, er drehte sich nicht mehr nach der Mutter um, er war eilig vor Erwartung. Die Mutter lächelte: er war doch noch ein rechtes Kind; die neuen Stulpstiefel hatte er an und den neuen Strohhut, die waren heute wirklich nicht nötig, aber er hatte es nicht anders getan. Wie glücklich er war! Das tröstete sie über die Unruhe ihres Herzens. Denn unruhig war sie noch immer, seltsam beklommen. Ach, diese schlaflose, peinigende Nacht! Sie hatte die noch nicht abgeschüttelt. Und die weiche Müdigkeit des Tages, durch die heute so matte, wie einschläfernde Luft, auch nicht. Mit einem Seufzer trat sie ins Haus zurück — da stand noch der Oberst.

      Einen Kragen hatte er noch immer nicht an, aber die Litewka hatte er zugeknöpft und hielt sich auch nicht mehr so lässig wie vorhin. Er war etwas echauffiert. »Sind sie nun fort? Er war nicht schlecht froh, unser Junge!«

      Unser Junge — unser Junge, sagte er! Wie das klang! Er hatte es wohl schon hundertmal gesagt, aber ihr war, als hörte sie es heute zum erstenmal. Verschüchtert wich sie einen Schritt zurück. Was hatte er doch für einen seltsamen Unterton in der Stimme — wollte er etwa Besonderes sagen?

      Der Oberst räusperte sich verlegen, nahm einen Ansatz zu sprechen und sagte dann doch nichts anderes, als mit besonderer Betonung: »Unser lieber Junge!«

      Sie lächelte schwach.

      Er trat ihr näher, fast war er ihr wieder so nah wie vorhin, als der Knabe ihre Köpfe zueinander beugte. Er neigte sich ganz dicht zu ihr, er holte tief Luft, er hielt ihr die Hand hin, seine breite, kräftige, gute Hand.

      O Gott, was sollte das?! Um die Frau begann es sich zu drehen; ein peinvolles »Was tun?«, eine grosse Beklemmung, eine angstvolle Schüchternheit überfielen sie, ihr Herz begann wieder sein Jagen, ihre Hand fest an sich haltend in den Falten ihres Kleides wich sie zurück. Und sie sagte leise, stiess es hastig flüsternd hervor, einer jähen Eingebung folgend — und doch tat es ihr leid, als sie die eigenen gestammelten Worte hörte: »Unser Junge — wie lieb das klingt — er hat ja keinen Vater mehr, wird auch nie mehr einen haben — ich bin Ihnen so dankbar für Ihre Güte gegen ihn, Herr Baron — ich bitte Sie, bleiben Sie sein Freund, Herr Baron!«

      Viertes Kapitel

      In der stillen Bucht zwischen den Kribben waren die Schiffer vor Anker gegangen. So grün war es ringsum, dass die Gesichter bleich waren vor grünem Licht. Grün die Weinberge im hellen Maiengrün der ersten treibenden Reben, grün der Buchenwald, der sie oben bekrönte, grün die Obstbäume in den Seitentälern des Flusses — alles Blühen rot und weiss war schon von ihnen abgefallen — grün die Rasenstücke, die, saftig wie Matten, sich zwischen Fels und Wasser einschieben, und grün die beiden Landzungen, die, durch Mauerwerk gestützt, von Weidengebüsch eingefasst, den Lauf des Stromes teilen. Wenn der Fluss auch Wellen trieb und aufgerührt war vom Sturm, zwischen den Kribben war es immer still und die Flut glatt; hier spielten die Fische ihr Liebesspiel und setzten ihre Brut ab zur Laichzeit. Hier war für beschauliches Angeln der beste Platz.

      Kaspers Hanni hatte Wasserstiefel an, in denen stieg er gleich aus dem Kahn, watete ein Stück weit ab, ins Wasser bis an den Bauch, blieb da stehen und warf seine Angel aus. Wenn das Glück gut war, fing er gleich ein paar junge Salme, die traten um diese Zeit hier in den Fluss ein. Peter, der zweite Bruder, machte es ihm nach, nur hatte er keine Wasserstiefel, er watete mit blossen Beinen, die Hosen aufgekrempt bis zum Bauch. Unbeweglich wie Steinbilder, als lebe kein Atem in ihnen, so standen die zwei, der eine links vom Nachen, der andere rechts, nur auf lautes Rufen noch zu erreichen. Auch Vater Kaspers fing an zu angeln, aber er scheute alles Nasse, das nicht durch die Gurgel floss. Er langte bald nach der Flasche, die er im Rucksack unter der Bank liegen hatte, stieg aus dem Nachen, schlenderte mit seiner Flasche vorn an die äusserste Spitze der Kribbe und streckte sich da lang ins Gras; die Weidenbüsche schlugen über ihm zusammen. Das nannte er fischen gehen.

      Der Nachen wiegte leis hin und her, schaukelte sanft die morschen Planken, unten an seinem Kiel spielten silberbeschuppte Fischchen, flitzten geschwind hin und her und schnappten lautlos mit runden Mäulern. Kleine Blasen stiegen wie silberne Perlen zur Oberfläche und zergingen da.

      Hans-Helmut vorn in der Spitze des Kahns hatte sich weit übergebeugt, das Strohhütchen sass ihm im Nacken; er hätte sie greifen mögen, die silbernen flitzenden Dinger.

      Aber Maria sagte: »Die sind ja nix wert. Weissfischcher. Nix wie Schuppen und Gräten.« Sie sass am Steuer, hatte eine Weidengerte abgerissen, tippte damit ins Wasser und liess die Tropfen rinnen. Sie langweilte sich, Hans-Helmut war ihr zu stumm; der glaubte wohl, er müsste stumm sein wie die Fische, wenn man die fangen wollte. Wenn einer anbeissen wollte, biss der auch so an. Aber schön war es hier, wunderschön wohlig, sie liebte es, im Nachen zu sitzen, sich wiegen zu lassen. Aber ein anderer müsste dabei sein, kein so dummer Jung’. »Hänschen, komm her!«

      Vorsichtig gehend, dass der Kahn nicht schwankte, und mit den ausgestreckten Armen balancierend, kam er zu ihr.

      Sie drückte ihn vor sich in die Knie. »Du bist wie’n klein Mädche, ich will dich frisieren.« Mit den Fingern scheitelte sie ihm das üppige Haar, das seidenweich lang hing und wohl gepflegt war von der Mutter. Sie wollte ihm zwei Zöpfchen flechten,

Скачать книгу