Der einsame Mann. Clara Viebig

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Der einsame Mann - Clara Viebig

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Weidengerte ein geschicktes Gebinde wand und ihm das auf’s Haar setzte. Wunderschön, wie ein Dichterjüngling unter griechischem Lorbeer sah das Knabenhaupt aus unter dem fremdartigen Kranz. Er war ihr selber so wohlgefällig, dass sie ihn küsste. Das hatte sie noch niemals getan, ihn nur wohl einmal freundschaftlich verstohlen gepufft.

      Es durchfuhr ihn ein Schreck. Noch nie hatte ihn ein Mädchen geküsst, gar niemand, nur seine Mutter. Selbst der Oberst gab ihm keinen Kuss, der legte nur die Hand auf sein Haar oder streichelte ihm die Wange. Aber dieser Kuss, der war seltsam! Hans-Helmut spürte ihn. Verwirrt sprang er auf, dass der Kahn sich tief auf die Seite legte, ein Schwall Wasser schwuppte herein und lief auf seine Füsse. »Das sollst du nicht,« sagte er zornig, riss auch den Kranz herunter, warf ihn ins Wasser und stülpte sich seinen Strohhut auf. »Ich bin kein kleines Kind!«

      Sie lachte: »Och, du bist dumm!« Und dann fing sie an zu singen:

      »Hänschen klein, ganz allein

      ging wohl in den Wald hinein.

      Rock und Hut stand ihm gut —«

      »Lass das dumme Lied!« Er war ingrimmig und verbiss sich die Tränen. Wieviel schöner hatte er sich das heute gedacht! Er hatte geglaubt, sie würden Fische fangen, viele, viele hundert Fische, bis an den Rand war der Nachen voll von ihnen; auf die Bänke musste man klettern, die Füsse hochziehen, dass man nicht hineintrat in das Gezappel. Von einem Fischzug Petri hatte er geträumt — ‚und die Fischer fingen so viele Fische, dass ihre Netze zerrissen‘ — nun war es so ganz anders. Seine Augen glitten suchend umher. Augen eines Kindes, das einsam aufwächst in einem Haus abseits, ohne Gleichaltrige, immer zwischen älteren Leuten — Augen altklug, ohne klug zu sein.

      Maria fing an, ihre Bluse auszuziehen, ihren Kleiderrock liess sie fallen. Nun stand sie im kurzen Unterröckchen, die Arme nackt; auch ihre Schuhe streifte sie ab und die Strümpfe. »So. Jetzt bad ich. Da hinter dem Weidenbusch, da lass ich mein’ Unterrock und mein Hemd.« Sie zeigte nach einem Gebüsch, das nicht fern lag. »Du darfst aber nit hinkucken, du!« Sie drohte ihm lachend.

      Warum drohte sie ihm? Es fiel ihm ja gar nicht ein, hinzusehen. Der Knabe blickte verwundert.

      »Ach ihr!« Sie tunkte den Fuss über dem Kahnrand ins Wasser und schleuderte ihm mit der Fussspitze einen ganzen Sprühregen ins Gesicht. »Euch ist ja nit zu trauen, euch Jungens!« Sie lachte wieder. Und dann war sie mit einem gewandten Sprung aus dem Nachen und dann hinter dem Weidenbusch.

      Unwillkürlich folgten ihr seine Blicke, ihr Lachen zog ihn. Jetzt streckte sich ein nackter Arm über den Weidenbusch, ein Hemd flatterte daran wie eine Flagge: »Hänschen klein, ganz allein!« Und dann winkte der Arm mit der Flagge, winkte, winkte. Gleich darauf ein Gelächter und Platschen ins Wasser. Ah, jetzt war sie hineingesprungen!

      Ob sie nun wohl schwamm wie die Nixe im Wasser? Es zwang ihn förmlich vom Sitz auf, er reckte den Hals: konnte er sie so sehen? Oh, er sollte ja nicht hinsehen, sollte nicht — aber sie hatte doch gewinkt — hatte sie ihm denn nicht gewinkt?

      Langsam setzte sich Hans-Helmut nieder, widerwillig, er fühlte eine seltsame Neugier. So gern, ach, so gern hätte er einmal hinter den Busch gesehen, nur einen Augenblick! Aber zugleich war eine Scheu in ihm, die ihn zwang, sein errötendes Gesicht wegzuwenden ganz nach der andern Richtung, dahin, wo der Hanni mit seinen Wasserstiefeln unbeweglich bis an den Bauch im Fluss stand. Er starrte nach jenem und rührte sich nicht, starrte, aber ohne den Hanni zu sehen. Er sah eigentlich gar nichts. Seine starre Pupille bewegte sich nicht, bis das Auge das nicht länger ertrug und sich mit Tränen füllte. Alles, der Himmel, das Wasser, Ufer und Berge, alles Grün, verschwamm in einem grauen wolkigen Nebel. Er war wie blind geworden, er sah nur innerlich. Und innerlich sah er die Nixe.

      Ein Plätschern schreckte ihn auf, er fuhr zusammen. Zwei Hände fassten plötzlich über den Kahnrand. Er stiess einen Schrei des Entsetzens aus — jetzt, jetzt sah er sie wirklich! Ihr Haar schwamm lang hinter ihr drein, ihr feuchtes Gesicht lachte ihn an, ihre weissen Schultern hoben sich höher aus dem Wasser empor, er sah ihre Brust, ihre Arme langten neckend nach ihm — da verlor er das Gleichgewicht. Vornüber, über die Schwimmende weg, stürzte er in das Wasser.

      Wie eine sich schaukelnde Blume trieb sein Strohhütchen langsam dahin; von Hans-Helmut selber war nichts zu sehen.

      Konnte der dumme Junge denn nicht schwimmen? Wie ein Fisch, blitzschnell, tauchte Maria unter — nichts. Sie tauchte wieder, tiefer, sehr tief — da hatte sie ihn.

      Noch war er nicht ohne Besinnung, aber er rührte sich nicht, um sich selber zu helfen. Mit Kraft hob sie ihn empor, sie schob ihn über den Kahnrand.

      Da lag er nun auf dem Boden des Nachens, leichenblass, die Augen weit aufgerissen. Sie kniete bei ihm: »Hans-Helmut! Hänschen!« Sie rüttelte ihn.

      Das Wasser — die Nixe — das nackte Mädchen — er stiess einen tiefen Seufzer aus — das war zuviel. Ohnmächtig schloss er die Augen.

      * * *

      Wenn Maria ihn damals nicht gerettet hätte, wäre er sicher ertrunken. Ein Gefühl unauslöschlicher Dankbarkeit lebte seither in der Mutter.

      Der Oberst konnte nicht recht begreifen: warum war der Junge denn nicht geschwommen? Er konnte doch schwimmen, er brauchte doch nicht gleich unterzugehen wie eine bleierne Ente. Wenn man in Gefahr ist, regt man seine Kräfte. Hans-Helmut hatte sie nicht geregt. Es war das erstemal, dass er den Knaben anfuhr: »Warum hast du denn nicht gleich zu schwimmen angefangen, warum nicht?«

      Keine Antwort.

      »Dass man ins Wasser fällt, das kann einem schon mal passieren, man taucht aber wieder auf, und man macht ganz von selber die Schwimmbewegungen. Zudem war es ja dicht beim Kahn, du brauchtest nur die Hand auszustrecken. Dummer Junge, warum tatest du das denn nicht?«

      »Ich weiss nicht.« Das war alles, was der Knabe erwiderte.

      »Er muss einen Krampf bekommen haben, oder er war gleich ohnmächtig,« schluchzte die Mutter.

      Die Kaspers hatten ihn ihr, blass wie eine Leiche, nach Haus gebracht. In den tropfnassen Kleidern schlotterte er neben dem Alten her. Die Söhne waren nicht mitgekommen, die liessen sich nicht beim Fischen stören, aber Maria war voraufgelaufen. Das Hütchen des Knaben hatten sie auch aufgefischt, das schlenkerte sie nun hin und her beim Laufen, damit es trocknen sollte, und winkte mit ihm schon von weitem. Wie eine Ahnung kommenden Unheils hatte es Frau Doktor ergriffen: die Maria schon wieder da?! Um Gottes willen, sie waren ja erst eine Stunde fort, warum kam die gerannt?!

      Das atemlose Mädchen stotterte und stockte, dazwischen schluckte es wohl einmal auf, dass es halb wie Weinen, halb wie Lachen klang. Zu Atem gekommen, erzählte sie dann flüssig: über Bord war er gefallen, als er nach den Fischen unten im Wasser geguckt, sich zu tief übergebeugt hatte, der Kahn war kipplich. Gleich war sie ihm nachgesprungen, bei den Haaren hatte sie ihn zu fassen gekriegt, aber er hatte schon ordentlich Wasser geschluckt, die neuen Schaftstiefel waren schuld, die waren gleich voll von Wasser, die hatten ihn niedergezogen. Nein, sie war nicht schuld, sie hatte getan, was sie konnte.

      Ja, das hatte sie auch, oh, wie sollte sie es ihr je genug danken! Mit Tränen fiel die Mutter Maria Kaspers um den Hals und küsste sie.

      Man hatte Hans-Helmut zu Bett gebracht. An seinem Bett sassen dann die Mutter und der Oberst, sie sprachen liebreich zu ihm und beruhigend, aber er hörte sie nicht. Er sah sie auch nicht. Den bleichen Kopf hin und her drehend, die Augen übergross offen, sah er nur die Nixe. Er sah sie im Sonnenlicht, er sah sie im Mondlicht, er sah sie auch hier, hier in der Stube

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