Der einsame Mann. Clara Viebig

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Der einsame Mann - Clara Viebig

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zu den Weinbergen drüben. Am Fenster stand der Schreibtisch, er setzte sich, stützte den Arm auf die Platte, lehnte den Kopf in die Hand und sah so hinüber zu den in mattem Sternenlicht verschwimmenden Höhen.

      Phantastisch sahen die sonst so friedlichen Berge aus. Ruhenden Ungetümen gleich lagerten sie, ihre Buckel reckend bis in den Himmel hinein, ihre Pranken tunkten tief hinab in den Fluss; der wusch ihnen die Füsse und schäumte da und dort empor zu ihren Lenden, unruhig gemacht durch geheime Wirbel. War das noch derselbe Fluss, der immer so sanft, so ruhig dahinglitt, sein blaues Band geduldig schlängelnd im schmalen Flussbett? Hatte die Frühlingsnacht auch ihn aufgeweckt, ihn breiter schwellen lassen und höher? Es war etwas Seltsames um diese Nacht, sie stöberte manches auf.

      Dem Oberst kamen Gedanken an seine Leutnantszeit. In solchen Nächten pflegte man im Kasinogarten zu sitzen, eine Bowle zu brauen, die immer wieder aufgefüllt wurde, bis das erste Frührot durchs Dunkel der Büsche auf übernächtige Gesichter einen fahlen Schimmer warf und die Ordonnanzen kamen und die Windlichter verlöschten. Es waren in jenem Garten mächtige alte Kastanien, die ihre Zweige tief zur Erde senkten. Unter solch einer Kastanie, die wie ein Schirm gegen neugierige Blicke schützte, hatte er einmal bei einem Regimentsfest mit einer jungen Dame gestanden. Es war wohl auch Mai gewesen, Nachtigallen mochten auch gesungen haben, dessen erinnerte er sich nicht mehr — es war Abend. Lampions glimmten wie Glühwürmchen, fern wiegte Musik; er war verliebt, er hatte allerlei gestammelt, über das er jetzt noch rot werden könnte. Er hatte geglaubt, sie liebe ihn auch. Pah, so ein Hansnarr! Das reiche Mädchen hatte ihn nicht genommen. Leutnantsschicksal! Es war weiter nichts Weltbewegendes gewesen, und er hatte es auch bald verschmerzt, sich wieder einmal verliebt und noch einmal. Und auch das verschmerzt. Aber dass er heute, nach so vielen Jahren, an jene blonde junge Dame unter der Kastanie denken musste, das war doch seltsam! Er hatte seither nie mehr an sie gedacht. Sie war bildschön gewesen. Ganz deutlich sah er noch das feine, ein bisschen hochmütige Profil, den lockigen Haarknoten tief im Genick, die Perlenschnur um den Hals, der sich weich und weiss hob aus rosenfarbenem Kleid. Er sah das alles auf einmal wieder, und dann schob sich plötzlich der Kopf der Frau Doktor daneben, blass, verblüht. Sie hatte auch ein feines Profil, aber es war nicht hochmütig. Gesenkt, geduldig, auf magerem Hals. Unmutig zerrte der Mann an seinem Schnurrbart: warum kamen ihm denn nur so dumme Gedanken? Die Einsamkeit, der Hans-Helmut und diese blödsinnige Nacht waren an allem schuld.

      Draussen rauschte der Fluss, sein Rauschen war seine Sprache, sein Lied. Die Sterne wandelten; wie Funken streuten sie ihr kleines Gelichter über’s Sammetgrau des nächtlichen Frühlingshimmels. Hier und da tauchte ein ganz grosser Stern auf, spähend lugte er dem ruhenden Ungetüm des höchsten Berges über den Rücken, sah hinab auf diese enge Welt mit dem begrenzten Horizont, auf das kleine weisse Haus, auf die drei Menschen, die darin wohnten. Er wandelte ruhig nach ewigen Gesetzen, und hier stand ein einsamer alternder Junggeselle, und auch nach ewigen Gesetzen kamen ihm sehnliche Gedanken an Weib und Kind und Familie. —

      Auch Frau Doktor schlief nicht, auch sie störte das langanhaltende Schluchzen der Nachtigallen; das klang so laut in der feuchtdumpfen Stille, das beherrschte die ganze Nacht. Sie hatte sich halb aufgesetzt im Bett, den Kopf, der heiss geworden war vom ruhelosen Wenden auf dem Kissen, in die Hand gestützt. Über den mageren Arm floss ihr das Haar, sie flocht es abends noch immer in zwei Zöpfe, wie sie es schon als Mädchen getan hatte. Noch immer schönes blondes Haar, trotz allen Kummers noch immer kein graues Haar darin. So müde sie gewesen war am gestrigen Abend, wie zerschlagen an allen Gliedern, der Schlaf floh sie dennoch. Was — was hatte die Kaspers gestern gesagt?! Es hatte sie vor den Kopf getroffen wie ein Schlag, durch das Herz war ihr ein Stich gegangen.

      Die, die könnte etwa glauben, sie hätte es auf ihren Mieter abgesehen?! »No, Frau Doktor, vielleicht verändern Sie sich doch noch mal?« Und hatte sie lauernd dabei angesehen: »Witfrau sein, dat is en schlechter Stand.« Und als gerade der Baron seinen Kopf in die Küche steckte: »Adieu, ich gehe jetzt fort, zu Tisch bin ich aber pünktlich hier,« hatte sie ihr zugeblinzelt und dann mit pfiffigem Insichhineinlachen wie zu sich selber, aber doch so, dass man es hören musste, gesagt: »Dat is en Herr! En bessern Mann kann sich keine wünschen!« War das alles auf sie gemünzt gewesen — —? Nein, es konnte nicht sein, sie hatte sich doch nichts zu schulden kommen lassen, hatte sich nie merken lassen, wie sehr sie den Mann schätzte, der ihr mit Rat und Tat zur Seite stand, dem sie es schuldete, dass ihr Leben jetzt ein wenig leichter, ein wenig sorgenfreier, ein wenig behüteter war. Und der ihren Hans-Helmut liebte mit einer Liebe, die — wie sollte man sie anders nennen? — die fast väterlich war.

      Sie hatte der Kaspers nichts erwidert, getan, als ob sie gar nichts gemerkt hätte von den Anspielungen, aber es war etwas in sie hineingefahren, das wurde sie nicht wieder los: etwas Peinvolles, Aufgeschrecktes. Ja, diese Reden gingen auf sie! Oh, sie war unvorsichtig gewesen, sie hatte zu offen gezeigt, wie sehr sie ihn schätzte, wie er eigentlich ihren ganzen Tageslauf bestimmte, wie sie wartete, bis er kam, nichts unternahm, ohne seine Meinung zu hören, ihn bestimmen liess, wenn etwas zu bestimmen war. Sie musste sich wieder mehr zurückhalten, wieder mehr die Dame sein einem fremden Herrn gegenüber. Ach, diese schöne Zeit musste vorbei sein! Das Herz, das ihr manchmal zu schaffen machte seit dem jähen Tod ihres Mannes, hob wieder an mit seinem raschen, beängstigend raschen Schlag. Und plötzlich, ohne dass sie die zurückhalten konnte, stürzten ihr Tränen aus den Augen und liefen ihr herab über die schmalen Wangen.

      »Mein Gott, mein Gott!« Sie schluchzte in sich hinein. Wie schrecklich war es doch, allein zu stehen in der Welt, schutzlos übler Nachrede ausgesetzt! Das taktlose Geschwätz der Frau schwoll ihr an zu einer Beleidigung, zu einem fürchterlichen Vorwurf, der sie nicht ganz unverdient traf. In der Einsamkeit der Nacht, in ihrer dunklen Stille, brauchte sie ja nicht zu heucheln, brauchte sich nicht abzuwenden, um das Rot zu verbergen, das ihr heute, gegenüber der Frau, siedend in das Gesicht gestiegen war. »Ach, Rudolf!« Sie sehnte sich plötzlich mehr denn je nach dem, der da draussen weit, auf dem Kirchhof jenseits der Stadt, lag, durch das alte Stadttor, durch die krummen Gassen und eine lange Strecke des Flusses von ihr getrennt. Wenn sie jetzt zu ihm könnte, zu ihm flüchten vor dem, was sie bedrängte! Was bedrängte sie denn? Sie machte es sich selber nicht klar. Wenn sie diesem Manne gut war, so war es ja nur, weil er so gut zu Hans-Helmut war. Nur darum?! Wirr und aufgescheucht flatterten in dem armen Kopf die Gedanken. Sie presste die Hand gegen das klopfende Herz und weinte, weinte.

      Blasser noch als sonst und übernächtig stand Hilde Arndt in der Küche und strich die Semmeln für ihren Mieter. Auf dem Tablett mit dem bestickten Deckchen stand die kleine Kaffeekanne und das Milchtöpfchen. Das erste Frühstück schickte sie ihm immer hinauf. Hans-Helmut liess sich’s nie nehmen, ihm das zu bringen, er hätte das als Eingriff in seine Rechte betrachtet, er konnte wütend werden, wenn die Kaspers oder gar Maria ihm das Tablett aus der Hand nahmen. »Ich, ich!« Da kam er lieber zu spät in die Klasse und nahm einen Tadel auf sich. »Mach, mach,« drängte er die Mutter. Was trödelte sie denn heute so? Frau Doktor war zerstreut, sie schien nicht zu wissen, dass der Baron nur auf die eine Semmel Butter bekam, auf die andere selbsteingekochte Aprikosen aus dem Garten, die er besonders gern ass. »Mutter, was machst du denn nur?« Der Knabe sah sie vorwurfsvoll an, und dann rannte er hinauf mit seinem Tablett.

      Es war heute kein heller Sonnentag, ein mildes Licht war am Himmel, feuchtes Wehen über dem Fluss, das Regen kündete. Die Fische sprangen hoch aus dem stehenden Wasserspiegel, man sah ihre emporgeschnellte silberne Kehrseite blitzen. Recht ein Tag zum Fischfang geeignet, und den wollten sie auch nutzen dafür. Frau Kaspers hatte Hans-Helmut eingeladen: der arme Junge hatte doch nie ein Pläsier. Nun wollte ihr Mann mit den Söhnen den Fluss herunterfischen zwischen den Kribben, da konnten die Kinder mitkommen; wenn’s ihnen zu langweilig wurde im Kahn, konnten sie auf der grünumbuschten Kribbe liegen oder baden, da, wo es seicht war.

      Maria kam am Mittag noch einmal fragen, Frau Doktor hatte am Morgen mit der Antwort gezögert. Sie wusste nicht recht, sollte sie es erlauben? Ihres Jungen Herz hing daran. Er hatte ihr schon oft mit sehnsüchtigen Augen erzählt, was für herrliche Fische die Kaspers immer fingen. Der eine Kaspers, der grosse Hanni, hatte schon einmal

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