Tarzan – Band 1 – Tarzan und die weiße Frau. Edgar Rice Burroughs
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Kala war die ganze Zeit über mit ihrem angenommenen Kinde auf dem mächtigen Baume geblieben, aber Kerschak rief sie mit den anderen herunter, und da seine Stimme keinen Zorn verriet, ließ sie sich leicht von einem Ast auf den anderen herunter und gesellte sich zu den anderen auf den Heimweg.
Wenn einzelne versuchten, Kalas merkwürdiges Kind zu besehen, so zeigte sie ihnen knurrend die Zähne und stieß sie warnend zurück.
Als sie aber versicherten, dass sie dem Kinde kein Leid antun wollten, erlaubte Kala ihnen, näherzukommen, aber niemand durfte es anrühren.
Kala schien zu wissen, dass ihr Säugling zart und gebrechlich sei, und sie fürchtete, dass die rauen Hände ihrer Kameraden das kleine Wesen verletzen könnten. Sie dachte an den Tod ihres eigenen Jungen, und um nicht auch ihr neues Kind zu verlieren, drückte sie dieses auf dem Marsche fest an sich, sodass der Weg für sie natürlich sehr beschwerlich war.
Die anderen Jungen ritten auf den Rücken ihrer Mütter, wobei sie die kleinen Arme fest um den haarigen Hals legten, während ihre Beine sich unter den Achselhöhlen der Mutter festhielten.
Der kleine Lord Greystoke war an der Brust seiner neuen Mutter besser geborgen, und seine Händchen spielten mit den langen schwarzen Haaren ihres Busens.
Der weiße Affe
Kala pflegte ihren kleinen Findling zärtlich, wunderte sich indessen im Stillen, warum er nicht so kräftig und so gewandt wurde, wie die kleinen Affen der anderen Mütter. Es war nun beinahe ein Jahr, das der kleine Schelm in ihren Besitz gelangte, und doch konnte er kaum allein gehen, und was gar das Klettern betraf, — o du meine Güte! wie dumm war er dabei!
Manchmal unterhielt sich Kala mit den anderen Weibchen über ihr hoffnungsvolles Kind, aber sie konnten nicht verstehen, dass ein Kind so langsam für sich selbst sorgen lernte. Schon mehr als zwölf Monate waren vergangen, seit Kala das Junge mitgebracht hatte, und es konnte noch nicht einmal allein Futter suchen.
Hätten sie gar gewusst, dass das Kind schon dreizehn Monate alt war, als es in Kalas Besitz kam, so hätten sie den Fall als völlig hoffnungslos angesehen, denn die kleinen Affen ihres Stammes waren in zwei bis drei Monaten derart fortgeschritten, wie dieser Findling in fünfundzwanzig Monaten. Tublat, Kalas Ehemann, war sehr ärgerlich, und wenn das Weibchen nicht so wachsam und besorgt gewesen wäre, hätte er das Junge beiseite geschafft.
Er wird niemals ein großer Affe werden, sagte er. Immer wirst du ihn zu tragen und zu beschützen haben. Was kann er dem Stamme nützen? Nichts! Er wird nur eine Last sein! Wir wollen ihn in das hohe Gras legen und ihn dort ruhig einschlafen lassen. Dann kannst du Mutter anderer, stärkerer, junger Affen werden, die uns in unsern alten Tagen pflegen können.
Niemals, gebrochene Nase, antwortete Kala, ich behalte ihn, und wenn ich ihn mein ganzes Leben lang tragen müsste.
Und dann ging Tublat zu Kerschak und drängte ihn, seine Autorität bei Kala geltend zu machen, dass sie Tarzan aufgeben sollte; so nannten sie nämlich den kleinen Lord Greystoke: Tarzan, das heißt Weißhaut.
Als aber Kerschak mit Kala darüber sprach, drohte sie, vom Stamme wegzulaufen, wenn man sie mit dem Kinde nicht in Ruhe ließe. Da das Fortlaufen eines der unveräußerlichen Rechte des Dschungelvolks ist, sobald ein Mitglied mit den Angehörigen unzufrieden ist, so plagte man Kala weiter nicht mehr damit, denn sie war ein wohlgebautes, junges Weib und man mochte sie nicht verlieren.
Als Tarzan heranwuchs, machte er schnellere Fortschritte, sodass er mit zehn Jahren ein vorzüglicher Kletterer war, und auf der Erde konnte er so wundervolle Dinge ausführen, wie sie seine kleinen Brüder und Schwestern nicht fertig bekamen. In manchen Dingen unterschied er sich von ihnen, und sie staunten oft über seine überragende Geschicklichkeit, aber in Bezug auf Kräfte und Wachstum war er sehr zurückgeblieben, denn mit zehn Jahren waren die großen Menschenaffen voll erwachsen; manche von ihnen waren über sechs Fuß hoch, während der kleine Tarzan erst ein halberwachsener Knabe war.
Und doch — was für ein Junge war er!
Von frühester Jugend an hatte er seine Hände darin geübt, sich nach dem Beispiel seiner Riesenmutter von Ast zu Ast zu schwingen, und als er größer wurde, verbrachte er ganze Stunden damit, mit seinen Brüdern und Schwestern von einer Baumkrone zur anderen zu klettern.
Er konnte in der schwindelnden Höhe der Baumkronen zwanzig Fuß weit springen und mit unfehlbarer Genauigkeit einen vom Wirbelsturm bewegten Ast ergreifen.
Er konnte sich zwanzig Fuß tief in raschem Abstieg von Ast zu Ast herunterfallen lassen, und er konnte den höchsten Gipfel des stolzesten tropischen Riesen mit der Schnelligkeit eines Eichhörnchens erklettern. Obschon er erst zehn Jahre zählte, war er kräftig wie ein Durchschnittsmensch von dreißig Jahren und behänder als die meisten geübten Athleten es je werden. Und seine Kräfte wuchsen von Tag zu Tag.
Sein Leben unter diesen wilden Affen war glücklich, denn in seiner Erinnerung gab es kein anderes Leben; auch wusste er nicht, dass es im Weltall außer diesem Wald und den Dschungeltieren, mit denen er vertraut war, noch etwas anderes gab.
Er war schon fast zehn Jahre alt, als er anfing, zu erkennen, dass ein Unterschied zwischen ihm und seinen Kameraden bestand. Sein kleiner, von der Sonne gebräunter Körper verursachte ihm plötzlich ein tiefes Schamgefühl, denn er erkannte, dass er vollständig unbehaart war, wie eine Schnecke oder ein Reptil.
Er versuchte diesem Übelstand abzuhelfen, indem er sich von Kopf bis zu den Füßen mit Lehm bekleidete, aber dieser trocknete und fiel ab. Außerdem fühlte er sich so unbehaglich dabei, dass er sich lieber schämte, als die Unbequemlichkeit weiter auf sich zu nehmen.
In dem höher gelegenen Landstrich, in dem sich sein Stamm aufhielt, war ein