Einfach mal die Klappe halten. Cornelia Topf
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Viel schlimmer ist, dass die meisten von uns sich von der inhaltsfreien Plappersucht haben anstecken lassen und gleichzeitig nicht bemerken, was sie sich und ihrer Umwelt damit antun. Es vergeht kaum eine Woche, in der ich im Coaching oder im Seminar nicht einen Manager treffe, der sich beschwert: »Ich kann meinen Mitarbeitern sagen, was ich will – die spuren einfach nicht!« Mütter und Väter drücken es in ihrer Kommunikation mit dem Nachwuchs prägnanter aus: »Muss ich denn immer alles erst hundert Mal sagen?« Sie glauben, dass der Sohn faul vor dem Fernseher sitzt, obwohl sie ihn schon dutzendfach ermahnt haben, sein Zimmer aufzuräumen. Dabei ist es gerade umgekehrt: Er sitzt noch dort, weil sie ihn schon dutzendfach ermahnt haben. Der Knirps nimmt seine Erziehungsberechtigten nicht mehr ernst, weil er aus Erfahrung weiß, dass sie ohnehin alles erst hundertmal sagen werden, bevor er tätig werden muss. Er hat gelernt, dass seine Eltern wirkungslos kommunizieren. Sie plappern halt gerne. Der Filius ist ein schlaues Bürschchen. Viel schlauer als seine wortreichen Eltern, die ihren Erziehungsauftrag seltsamerweise mit Geschwätzigkeit verwechseln. Ihr Wort gilt nichts mehr. Nicht einmal bei einem Achtjährigen. Weil sie zu viele Worte produzieren. Weil sie nicht mehr schweigen können.
Je mehr einer redet, desto weniger wirkt er. Quasselstrippen nimmt keiner ernst.
Warum nicht? Weil es jedem Zuhörer einer Plaudertasche sehr schnell peinlich klar wird, dass derjenige, der plappert, keine Ahnung von dem hat, was er verzapft. Je mehr einer redet, desto weniger scheint er sich in dem, wovon er redet, auszukennen. Oder um ein Diktum von Hans Carossa, dem deutschen Schriftsteller, abzuwandeln: »Wer etwas von der Sache versteht, sagt es in drei Sätzen. Wer keine Ahnung hat, braucht dreißig.« Nach diesem Maßstab gemessen scheinen unsere Politiker, Vorgesetzten, Vorstände, Moderatoren, Eltern, Lehrer, Ausbilder und Verwandten mehrheitlich über erschreckend wenig Fachkompetenz zu verfügen. Was Ihnen eigentlich egal sein könnte. Die Frage ist: Warum wollen Sie es ihnen gleichtun? Warum sollte sich ein Mensch selbst zur verbalen Wirkungslosigkeit verdammen wollen? Masochismus? Ignoranz?
Wie schon der Volksmund sagt: »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.« Kraftvoll und vielsagend zu schweigen, ist in Zeiten der Wortinflation oft das beste Argument. Nicht immer, aber immer öfter. Ein Argument, das wir so selten benutzen, weil wir die hohe Kunst des Schweigens verlernt haben. Denken Sie an Menschen, die Sie als besonders überzeugend, durchsetzungsstark, authentisch, respektgebietend wahrnehmen. Seltsam, nicht? Das sind alles keine Quasselstrippen. Ihr Wort hat Gewicht, weil sie sparsam damit umgehen.
Schweigen ist das am stärksten unterschätzte sprachliche Wirkmittel
Wer schweigen kann, wer es wieder erlernt hat, erntet damit nicht nur den Respekt seiner Umwelt und eine nie gekannte Wirksamkeit. Er oder sie stößt mit seinem/ihrem Schweigen, in dem die Gedanken wachsen können, in Bereiche der persönlichen Entwicklung und der geistigen Erkenntnis vor, die ihm oder ihr bislang verschlossen waren wie ein fern gelegenes Land, das plötzlich nahe gerückt, erreichbar geworden ist. Nicht umsonst wird in allen Religionen der Welt die Schweigemeditation in der einen oder anderen Form praktiziert: Wer sich verbal der Welt entrückt, der kommt ihr paradoxerweise näher. Und sich. Und seinen Mitmenschen. Und ihrem Respekt. Packen wir die Koffer und machen wir uns auf die Reise in dieses verheißungsvolle Land.
1 Die wundersame Welt der Stille
»Freunde, die nicht nur miteinander reden, sondern miteinander auch schweigen können, sind ein Geschenk des Himmels.«
CHRISTA FRANZE, TÄNZERIN
Schweigen tut gut
Was würde Ihnen jetzt guttun? So richtig? Ihnen Kraft geben, Sie entspannen, auftanken? Es gibt etwas, das Menschen auf der ganzen Welt mit der Vorstellung von Erholung und Frieden verbinden: auf einem hohen Berggipfel oder einem menschenleeren Strand zu stehen und einfach nur die Stille zu genießen. Das finden seltsamerweise alle Menschen erholsam und entspannend (selbst Hektiker und Adrenalin-Junkies – für eine kurze Zeit). Der Eingeborene in Zentralafrika ebenso wie der Eingeborene in Londons Financial District. Und Sie? Wann haben Sie zuletzt die Stille eines einsamen Berggipfels oder eines nächtlichen Strandes genossen?
Hin und wieder Stille tut gut
Es ist paradox: Stille ist eigentlich »nichts« – und wirkt trotzdem so überraschend wohltuend. Wir sind gewohnt, dass es umgekehrt ist: Wer Kopfweh hat, greift zum Aspirin. Das Aspirin ist vorhanden und wirkt. Bei der Stille ist eigentlich nichts vorhanden – und wirkt. Diese paradoxe, aber mächtige Wirkung der Stille können wir auch in unserem Alltag entfalten, indem wir sie zum Beispiel in unsere Kommunikation hineintragen. Also schweigen Sie dann und wann einmal. Nein, nicht jetzt. Jetzt schweigen Sie ja schon automatisch. Wenn Sie das Buch zur Seite gelegt haben und wieder Kontakt mit anderen Zweibeinern bekommen – schweigen Sie. Sie runzeln die Stirn? Damit sind Sie nicht allein. Die Aufforderung, im Gespräch gelegentlich zu schweigen, schockiert sogar manche Akademiker so stark, dass sie mit größter Verwirrung reagieren. Ein Seminarteilnehmer, Bereichsleiter in einem Industrieunternehmen, erwiderte einst darauf: »Aber ich kann doch nicht schweigen, wenn der Chef etwas von mir will!« Hat das etwa jemand verlangt? Ist Schweigen wirklich so schwierig, dass ein Manager mit Hochschulabschluss tatsächlich glaubt, er müsse es zuerst und zunächst an seinem tobenden Chef ausprobieren?
Wir wissen oft nicht mehr, wann Reden und wann Schweigen besser ist. Wir sollten es wieder erlernen.
Mütter sind manchmal sprachkompetenter als Führungskräfte. Gegenüber Kindern wirkt Schweigen zum Beispiel sehr gut. Eine Mutter berichtete mir: »Als meine Jüngste neulich wieder fernsah, anstatt ihre Hausaufgaben zu machen, schaute ich kurz in ihr Zimmer und verbiss mir meine übliche Ermahnung. Ich guckte nur missbilligend und ging wieder raus. Fünf Minuten später war der Kasten aus. Wenn ich mit ihr streite, sie immer wieder ermahne, dauert es mindestens eine halbe Stunde, bis sie schlussendlich abschaltet. Das kostet uns beide viel Kraft.« Eine Stressreduktion von dreißig auf fünf Minuten? Beachtlich. Und das, obwohl die Mutter kein einziges Wort sagte. Obwohl? Weil! So wirkt Schweigen. Nicht immer. Aber immer dann, wenn Worte nicht mehr wirken, weil deren zu viele gewechselt wurden.
Doch genau das verstehen viele Menschen nicht. Wenn sie merken, dass ihre Worte nichts bewirken – dann machen sie nur noch mehr Worte. Sie tun mehr desselben, anstatt das Muster zu wechseln. Dieses Musterverharren ist nicht allein aufs Quasseln beschränkt. Doch es wirft ein bezeichnendes Licht auf unsere Kommunikation: Wir reden meist nicht, weil es sinnvoll ist und nützt, sondern weil es eine (schlechte) Gewohnheit ist, die wir nicht loswerden. Deshalb sagen die Engländer: »Careless talk costs lives.« Übereilt dahingeworfene Worte kosten Leben. Wer redet, sollte das überlegt tun und nicht aus der Hüfte schießend. Denn:
Worte provozieren oder zementieren Missstände. Schweigen nicht.
Weil Schweigen (richtig eingesetzt) keine Trotzreaktion auslöst. Wenn Mama sagt, die Kleine solle die Glotze ausschalten, dann wehrt sie sich natürlich.