Träume von Freiheit - Ferner Horizont. Silke Böschen

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Träume von Freiheit - Ferner Horizont - Silke Böschen

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Mann. Genügend Geld war wichtig, Bildung und Stand auch. Doch es durfte nicht an Herzenswärme und Güte fehlen, fand Florence und fragte sich zum x-ten Mal, warum diese Seiten bei Henri so im Verborgenen lagen.

      Wieder klopfte es zaghaft von innen an die Glasscheibe. Adele knickste. »Gnädige Frau, Dr. Zumpe ist da.«

      »Dr. Zumpe? Ich habe ihn nicht herbestellt. Wollte er zu Henri? Der ist im Club.«

      Adele zuckte die Schultern. »Was soll ich ihm ausrichten?«

      »Ach, ist schon gut, Adele. Bitte führen Sie ihn in den Salon. Ich bin gleich so weit. Und sagen Sie doch bitte der Kinderfrau, dass sie die Kinder zurechtmachen soll. Ich möchte mit den beiden zur Brühl’schen Terrasse und einen Kakao trinken.«

      Das Dienstmädchen machte sich auf den Weg, und Florence ging in den Salon, nicht ohne sich noch einmal etwas von dem Orangenparfüm aufzutragen.

      Der Arzt saß zusammengesunken auf dem Sofa und schien seinen Gedanken nachzuhängen. Als Florence den Raum betrat, erhob er sich schnell. »Meine liebe Frau de Meli, wie schön, Sie zu sehen!«, begrüße er sie galant und deutete einen Handkuss an.

      Sie tauschten ein paar Höflichkeiten aus, bis Florence direkt nachfragte: »Wer hat nach Ihnen schicken lassen? Wenn Sie zu meinem Mann wollen, müssten Sie morgen noch einmal wiederkommen. Henri ist im Club.«

      Der Arzt schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Ich wollte tatsächlich zu Ihnen, meine liebe Frau de Meli. Gucken Sie nicht so überrascht! Ganz harmlos, ganz harmlos«, sagte er mit einem Lächeln.

      »Dann klären Sie mich doch bitte auf! Ich fühle mich sehr gut. Kommen Sie in einer anderen Angelegenheit?«

      »Nun«, fing Carl Julius Zumpe an. »Manchmal hat man selbst das Gefühl, man sei in ausgezeichneter Verfassung. So will ich es einmal vorsichtig formulieren.«

      Florence runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen …«

      »Ich hörte, dass Sie matt sind, erschöpft. Wir kennen Sie doch alle als eine fröhliche Person. Ja, geradezu schwungvoll. Und mir kam zu Ohren, dass Sie häufig unter Kopfschmerzen leiden, sich zurückziehen. Dass Ihnen möglicherweise alles zu viel wird. Es ist ja auch kein Wunder. Sie müssen ein vornehmes Haus führen, haben Kinder, einen anspruchsvollen Ehemann, sind in der Kirchengemeinde aktiv… Frau de Meli, ich würde Sie gern kurz untersuchen.«

      Florence runzelte die Stirn. Wie kam der Arzt darauf, dass es ihr schlecht ging? Sie hatte nirgends Andeutungen dieser Art gemacht. Nun gut, in letzter Zeit hatte sie sich in der Öffentlichkeit etwas zurückgehalten. Es war Anfang Oktober. Die Wintersaison würde erst in ein paar Tagen beginnen. Die ersten Einladungen für abendliche Gesellschaften und Bälle waren schon eingetrudelt.

      »Hat mein Mann Sie rufen lassen? Oder von wem kam die Bitte, zu uns zu kommen?«

      »Das tut doch nichts zur Sache, meine liebe gnädige Frau. Gehen Sie einfach davon aus, dass es Menschen in Ihrer Umgebung gibt, die sich um Sie sorgen und die Sie unbekümmert und fröhlich wissen möchten«, erwiderte der Arzt mit undurchdringlicher Freundlichkeit.

      »Da Sie sich extra auf den Weg gemacht haben. Bitte sehr, Herr Dr. Zumpe, dann untersuchen Sie mich. Ich habe allerdings nicht viel Zeit, ich möchte mit den Kindern einen Spaziergang unternehmen.«

      Der Arzt klappte seine abgegriffene Tasche aus Schweinsleder auf und zog ein Stethoskop heraus. Er horchte das Herz ab, die Lungen, befühlte ihren Puls, sah in ihre Pupillen und in ihren Hals. Als die kurze Prozedur beendet war, packte er seine Geräte umständlich wieder ein.

      »Wir sollten uns setzen, liebe Frau de Meli«, begann er. »Der erste Eindruck ist durchaus gut. Nur der Puls scheint mir etwas schwach. Ich meine auch, ein leichtes Pfeifen in der Lunge gehört zu haben. Sagen Sie, rauchen Sie noch diese türkischen Zigaretten?«

      Florence nickte. »Aber ich habe nicht bemerkt, dass mein Atem rasselt.«

      »Um Gottes willen, das habe ich auch nicht gesagt!« Julius Zumpe schüttelte den Kopf. Er legte die Hände zusammen, sodass sie ein Dreieck bildeten. »Ich mache es kurz. Meine Arzt-Augen sehen, dass Sie ein wenig erschöpft sind und Ruhe benötigen. Und bevor dieser Zustand Sie wirklich krank macht, sollten Sie auf mich hören und sich schonen.«

      Dann zog er ein Papiertütchen aus seiner Tasche. »Dieses Pulver hier ist sehr hilfreich. Es handelt sich um eine Art Heilerde. Ein wahres Wundermittel, vielen meiner Patienten hat es schon geholfen. Sie rühren sich etwa einen halben Teelöffel in ein Glas Wasser, jeden Morgen, oder wann immer Sie sich ermattet fühlen, und Sie werden sehen, bald sind Sie wieder ganz die Alte!«

      Argwöhnisch betrachtete Florence die kleine Tüte aus braunem Packpapier. Es stand kein Schriftzug, kein Zeichen darauf. »Haben Sie vielen Dank, Herr Doktor. Gern werde ich Ihre Empfehlungen annehmen.«

      Zumpe strich über seine Tasche und erhob sich. »Sehr schön, verehrte Frau de Meli, es ist zu Ihrem Besten, glauben Sie mir!«

      Florence brachte ihn zur Tür. Dann faltete sie das Tütchen auseinander und sah hinein. Ein grauweißes Pulver, es roch eigenartig. Sie rollte die Tüte wieder zusammen. Was für ein merkwürdiger Besuch. Sie ging in ihr Schlafzimmer und steckte das Tütchen in ihren Beutel. Sie würde es dem Inhaber der Löwen-Apotheke zeigen, um herauszufinden, welche Inhaltsstoffe tatsächlich in dem Pulver steckten. Sie sah auf die kleine Konsolenuhr. Die Kinder warteten bestimmt seit einer Viertelstunde auf sie. Florence schlüpfte in ein Paletot und eilte durch die leere Wohnung. Ihre Schwiegermutter schien unbemerkt gegangen zu sein. Im Kinderzimmer angekommen standen Minnie und Henry tatsächlich schon in Jacke und Mantel und warteten auf ihre Mutter.

      Die Oktobersonne machte aus diesem Tag eine matte Erinnerung an den Sommer. Die Bäume waren noch voll belaubt. Nur das Grün ihrer Blätter war dunkel und staubig geworden. Bald würden die ersten Herbststürme über Sachsen ziehen, und dann ging es immer ganz schnell, dachte Florence mit einem Anflug von Melancholie, als sie aus dem Droschkenfenster blickte. Der Wagen rollte an der Bürgerwiese vorbei, links herum in die Waisenhausstraße.

      »Aber, Mommy, du hast gesagt, wir trinken Kakao im Belvedere«, jammerte Henry, als die Droschke vor der Löwen-Apotheke hielt.

      »Das tun wir auch. Vorher muss ich schnell in die Apotheke. Es dauert nicht lange«, beruhigte sie ihn.

      Die Kinder warteten im Wagen, während ihre Mutter Dresdens älteste Apotheke betrat.

      Ein freundlicher Herr in weißem Kittel bediente sie. Als Florence ihm das Papiertütchen gab, öffnete er es mit spitzen Fingern. »Von ihrem Arzt? Soso. Ungewöhnlich, dass gar keine Bezeichnung darauf steht«, sagte er und guckte Florence durchdringend an. »Kenne ich den Kollegen? Es ist nicht üblich, dass ein Medicus ein Präparat verabreicht – ohne den Patienten, pardon, die Patientin, vollständig zu informieren«, murmelte er.

      »Es handelt sich um unseren Hausarzt. Ein sehr erfahrener Mediziner. Sein Name tut hier nichts zur Sache. Könnten Sie dieses Pulver bitte überprüfen? Er sprach von einer Art ›Heilerde‹. Ich weiß nicht recht …«, entgegnete Florence.

      »Selbstverständlich werde ich mich darum kümmern. Schauen Sie doch morgen wieder vorbei. Oder lassen Sie mir Ihre Anschrift da, falls ich Rückfragen habe«, sagte der Apotheker.

      »De Meli, Florence de Meli. Räcknitzstraße 7«, antwortete Florence und kaufte noch ein Tütchen Salmiakbonbons für die Kinder und Kopfschmerztabletten für sich selbst. Ob es am Wetter lag?

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