Weihnachtserzählungen. Charles Dickens

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Weihnachtserzählungen - Charles Dickens Literatur (Leinen)

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faßten jedoch den heißen Inhalt des Kruges ebensogut, wie es goldene Pokale getan hätten, und Bob schenkte ihn strahlenden Blickes aus, während die Kastanien über dem Feuer lustig knisterten und fauchten. Dann erhob Bob sein Glas: »Fröhliche Weihnachten uns allen, meine Lieben. Gott sei mit uns!«

      Die ganze Familie stimmte mit froher Andacht in diesen Wunsch ein. »Gott segne uns alle und jeden besonders«, sagte Tiny Tim als letzter.

      Er saß auf seinem kleinen Stuhl ganz dicht neben dem Vater, und Bob hielt seine kleine abgemagerte Hand in der seinen, als ob er das Kind besonders liebe und es an seiner Seite zu behalten wünsche, obwohl er fürchte, es möchte ihm entrissen werden.

      »Geist«, sprach Scrooge mit einer Teilnahme, wie er sie nie zuvor gefühlt hatte, »sag mir doch, ob Tiny Tim am Leben bleiben wird?«

      »Ich sehe einen leeren Stuhl«, versetzte der Geist, »in der Ecke am armseligen Kamin und eine Krücke ohne Eigentümer, die man sorgsam bewahrt. Wenn diese Schatten nicht von der Zukunft geändert werden, wird das Kind sterben.«

      »Nein, nein!« rief Scrooge. »Nicht doch, guter Geist! Sag, daß er verschont bleibt.«

      »Wenn diese Schatten nicht von der Zukunft geändert werden«, wiederholte das Gespenst, »wird ihn keiner meiner Brüder hier noch finden. Wozu auch? Wenn er lieber sterben will, so soll er es tun und dadurch der Übervölkerung vorbeugen.«

      Scrooge senkte sein Haupt, als er seine eigenen Worte von dem Gespenst wiederholen hörte, und war überwältigt von Reue und Kummer.

      »Höre, Mensch!« hob der Geist von neuem an, »wenn du das Herz eines Menschen und nicht einen Diamanten in dir trägst, so hüte dich vor so verruchter Rede, bis du entdeckt hast, wie sich der Überschuß an Bevölkerung zusammensetzt und wo er herrscht. Willst du entscheiden, welche Menschen leben und welche sterben sollen? Vielleicht bist du in den Augen des Himmels weit weniger wert und geeignet zu leben als Millionen, die dem Kind dieses armen Mannes gleichen. O Gott! Wenn man das Insekt auf dem Blatt über die zu große Zahl seiner hungrigen Brüder im Staub klagen hören muß!«

      Scrooge beugte sich unter dem Vorwurf des Geistes und schlug zitternd die Augen nieder. Aber rasch erhob er sie wieder, als er seinen Namen hörte.

      »Auf Mr. Scrooge!« rief Bob. »Auf das Wohlsein des Mr. Scrooge, den Urheber dieses Festes!«

      »O ja, Urheber dieses Festes«, rief Mrs. Cratchit. »Ich wollte, ich hätte ihn hier, ich gäbe ihm etwas von meiner Meinung zu kosten, und hoffe, es würde ihm schmecken.«

      »Still, Liebe!« erwiderte Bob; »die Kinder! Weihnachtstag!«

      »Freilich, es kann auch nur der Weihnachtstag sein«, sagte sie, »an dem man auf die Gesundheit eines so giftigen, mürrischen, harten und gefühllosen Mannes trinkt wie Mr. Scrooge. Du weißt ja, wie er ist, Robert! Niemand weiß es besser als du, armer Mann!«

      »Liebes Kind!« war Bobs milde Antwort, »es ist Weihnachtstag!«

      »Nun ja!« sagte Mrs. Cratchit, »dir und dem Tag zuliebe, nicht Scrooge zu Ehren will ich auf seine Gesundheit trinken. Langes Leben, fröhliche Weihnachten und ein glückliches Neujahr. Er wird recht vergnügt und glücklich sein, da bin ich überzeugt.«

      Auch die Kinder tranken nach ihr auf Scrooge. Es war allerdings das erste, was ohne Herzlichkeit geschah. Tiny Tim trank zuallerletzt, aber ohne Freudigkeit. Mr. Scrooge war der böse Wolf der Familie, und die Erwähnung seines Namens warf einen düsteren Schatten über die Gesellschaft, der sich volle fünf Minuten lang nicht vertreiben ließ.

      Als er aber verschwunden war, waren sie zehnmal so vergnügt wie zuvor, nur aus Erleichterung darüber, Scrooge den Schrecklichen los zu sein. Bob Cratchit teilte ihnen mit, daß er für Master Peter eine Stelle im Auge habe, die ihm, wenn er sie erlange, volle fünfeinhalb Schilling eintrage. Die beiden jungen Cratchits lachten überlaut bei dem Gedanken, daß Peter ein Geschäftsmann werden solle, und Peter selbst blickte zwischen seinen Vatermördern hervor so gedankenverloren ins Feuer, als ob er überlegte, welche Anlage er bevorzugen solle, wenn er in den Besitz dieses überwältigenden Einkommens gelange. Martha, die bei einer Putzmacherin in der Lehre war, erzählte ihnen hierauf, was für Arbeiten sie zu machen und wieviel Stunden hintereinander sie geschafft habe, und daß sie morgen früh lang im Bett bleiben wolle, denn es sei ein Feiertag, an dem sie zu Haus bleiben dürfe. Auch berichtete sie, daß sie vor einigen Tagen eine Gräfin und einen Lord gesehen habe, und der Lord sei ungefähr so groß gewesen wie Peter. Darauf zog Peter seine Vatermörder so hoch hinauf, daß ihr sein Gesicht nicht hättet sehen können, wenn ihr dabei gewesen wärt. Unterdessen gingen die Kastanien und der Krug reihum, und dazwischen hörten sie sich ein Lied von einem armen Kind an, das im Schnee wanderte; Tiny Tim sang es recht hübsch mit seinem klagenden Stimmchen.

      In all dem lag nichts Bemerkenswertes. Sie waren keine hübsche Familie, waren nicht gut gekleidet, ihre Schuhe waren alles andere als wasserdicht, ihre Kleider abgetragen, und Peter kannte das Innere einer Pfandleihanstalt höchstwahrscheinlich recht gut. Aber sie waren glücklich, dankbar, gut zueinander und zufrieden mit ihrem Leben. Und als sie entschwanden und im hellen Sprühen der Fackel des Geistes bei dessen Abschied noch glücklicher dreinblickten, behielt sie Scrooge bis zuletzt fest im Auge, besonders Tiny Tim.

      Inzwischen war es dunkel geworden. Es schneite tüchtig, und als Scrooge und der Geist durch die Straßen gingen, gefiel ihnen der Glanz der lodernden Feuer in Küchen, Wohnzimmern und Räumen aller Art. Hier zeigte der flackernde Schein Vorbereitungen zu einer behaglichen Mahlzeit: heiße Teller, die am Feuer durch und durch gewärmt wurden, und dunkelrote Vorhänge, die man nur zuzuziehen brauchte, um Kälte und Dunkelheit auszuschließen. Dort rannten alle Kinder eines Hauses in den Schnee hinaus, um ihre verheirateten Schwestern, Brüder, Vettern, Onkel und Tanten als erste zu begrüßen. Hier wiederum sah man an den Fenstervorhängen Schatten von Gästen, die sich versammelten, und da trippelte eine Gruppe hübscher junger Mädchen, die alle auf einmal durcheinanderschwatzten, in Mänteln und Pelzstiefeln leichtfüßig einem Nachbarhaus zu, und wehe dem Junggesellen, der sie dort mit hochroten Gesichtern eintreten sah – die kunstreichen Hexchen wußten recht gut Bescheid.

      Der Zahl der Menschen nach geurteilt, die zu freundschaftlichen Zusammenkünften unterwegs waren, hätte man eher glauben können, daß niemand zu Hause sein werde, um sie bei ihrer Ankunft zu empfangen, als daß jedes Haus Gäste erwartete und darum den halben Kamin mit Brennstoff gefüllt hatte. Wie freute sich da der Geist! Er entblößte seine breite Brust, tat seine breite Hand auf und streute im Dahinschweben freigebig seine helle, harmlose Lust nach allen Seiten aus, soweit er reichen konnte. Sogar der Laternenanzünder, der vor ihm herlief, um die düstere Straße mit Lichtflecken zu besprenkeln, und bereits das Kleid trug, in dem er den Abend irgendwo zubringen wollte, lachte laut auf, als der Geist vorüberschwebte, obwohl er nicht wußte, daß er mit Weihnachten in Berührung gekommen war.

      Und jetzt standen sie, ohne daß es der Geist vorher angezeigt hätte, auf einem kahlen, verlassenen Moorgrund, wo riesige Massen roher Steine verstreut lagen, als wäre hier der Begräbnisplatz von Riesen. Wasser machte sich breit, wo es Lust hatte, oder hätte es doch getan, wenn es der Frost nicht gefangengehalten hätte. Nichts wuchs da als Moos und Ginster und hartes Gras. Tief im Westen hatte die sinkende Sonne einen feuerroten Streifen zurückgelassen, der für einen Augenblick über die öde Fläche blitzte wie ein drohendes Auge und immer finsterer und finsterer wurde, bis er sich im dichten Dunkel der schwärzesten Nacht verlor.

      »Was für ein Ort ist das?« fragte Scrooge.

      »Ein Ort, wo Bergleute wohnen, die in den Eingeweiden der Erde arbeiten!« antwortete der Geist. »Aber sie kennen mich. Sieh!«

      Heller

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