Weihnachtserzählungen. Charles Dickens
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Jetzt war die Reihe zu lachen an den andern bei der Vorstellung, er habe Scrooge aufgerüttelt. Aber er war durch und durch gutmütig und kümmerte sich nicht viel darum, worüber sie lachten, wenn sie nur überhaupt lachten, so daß er sie selbst in ihrer Lustigkeit ermunterte und fröhlich die Flasche herumbot.
Nach dem Tee wurde musiziert; denn sie waren eine musikalische Familie und wußten, was sie taten, wenn sie ein Chorlied oder einen Kanon sangen, das kann ich euch sagen! Besonders Topper, der den Baß brummen konnte so gut wie nur einer, ohne daß ihm die großen Stirnadern anschwollen oder sein Gesicht rot wurde. Scrooges Nichte spielte trefflich Harfe und spielte unter andern Weisen auch ein schlichtes Lied – das reine Nichts: ihr könnt es in zwei Minuten pfeifen lernen. Dieses Lied war auch jenem Kind geläufig gewesen, das Scrooge von der Kostschule abholte, wie es ihm der Geist der vergangenen Weihnacht ins Gedächtnis gerufen hatte. Als jene Melodie erklang, fielen ihm alle die Dinge, die ihm der Geist gezeigt hatte, wieder ein; er wurde immer weicher gestimmt. Wenn er diesem Lied, so fühlte er, vor Jahren öfter hätte lauschen können, er hätte die angenehmen Seiten des Lebens um seines eigenen Glückes willen mit eigener Hand mehr gepflegt, ohne seine Zuflucht zu dem Spaten des Totengräbers zu nehmen, der Jakob Marley beerdigt hatte.
Aber sie widmeten nicht den ganzen Abend der Musik. Nach einer Weile begannen sie ein Pfänderspiel, denn es ist gut, zuweilen wieder zum Kind zu werden, und nie ist das besser als zu Weihnachten, da dessen erhabener Stifter damals selbst ein Kind war. Halt! Vorher spielten sie Blindekuh. Natürlich. Und ich glaube ebensowenig, daß Topper wirklich blind war, wie ich glaube, daß er Augen in den Stiefeln hatte, sondern ich meine, daß es eine abgemachte Sache zwischen ihm und Scrooges Neffen war, um die auch der Geist der gegenwärtigen Weihnachten wußte. Die Art, wie Topper hinter der dicken Schwester im Spitzenkragen her war, hieß vermessentlich gegen die Leichtgläubigkeit der menschlichen Natur verstoßen: wohin sie ging, da folgte er ihr, wenn er auch dabei Schüreisen umwarf, über Stühle stolperte, an das Piano stieß und sich in den Vorhängen verhedderte. Er wußte immer, wo die dicke Schwester war; er wollte niemanden sonst fangen. Trat ihm jemand absichtlich in den Weg, wie einige es taten, so heuchelte er das Bestreben, ihn zu greifen, so plump, daß es für die Geisteskräfte der anderen beleidigend war, und gleich schob er sich wieder in Richtung der dicken Schwester. Oft rief sie aus, das sei nicht ehrlich gespielt, und das war es auch wirklich nicht. Aber als er sie zuletzt fing, als er sie trotz all ihres Seidengeraschels und ihres eiligen Vorbeiflatterns an ihm in eine Ecke gedrängt hatte, aus der es kein Entrinnen gab, da betrug er sich erst recht verdammenswert. Denn sein Vorgeben, daß er sie nicht kenne und deshalb ihren Kopfputz berühren und einen bestimmten Ring an ihrem Finger und eine bestimmte Kette an ihrem Hals befühlen müsse, um sich über ihre Person klarzuwerden, war nichtswürdig, ungeheuerlich! Ohne Zweifel sagte sie ihm ihre Meinung darüber, als sie, während ein anderer Blindekuh war, hinter den Fenstervorhängen sehr vertraulich beisammenstanden.
Scrooges Nichte nahm an dem Blindekuhspiel nicht teil, sondern machte es sich in einer traulichen Ecke in einem Lehnstuhl und mit einem Fußschemel bequem, wo der Geist und Scrooge dicht hinter ihr standen. Beim Pfänderspiel dagegen tat sie mit und umschrieb den Gegenstand ihrer Liebe mit allen Buchstaben des Alphabets. Auch im »Wie, Wann, Wo« glänzte sie und stach zur heimlichen Freude von Scrooges Neffen ihre Schwestern gänzlich aus, obwohl auch sie scharfsinnige Mädchen waren, wie euch Topper hätte sagen können. Es mochten etwa zwanzig Leute versammelt sein, junge und alte, aber alle spielten mit, sogar Scrooge. Denn in seiner Teilnahme an allem, was vorging, vergaß er ganz, daß seine Stimme in ihren Ohren keinen Klang hervorrief, und platzte bisweilen mit seiner Lösung ganz laut heraus, und sehr oft riet er obendrein richtig, denn die spitzigste Nähnadel, Marke Whitechapel, garantiert glattes Öhr, bohrt nicht schärfer, als Scrooge es tat, wenn er sich auch in den Kopf gesetzt hatte, stumpf zu sein.
Der Geist war sehr erfreut, ihn in dieser Stimmung zu sehen, und blickte ihn so wohlwollend an, daß ihn Scrooge wie ein Kind bat, doch bleiben zu dürfen, bis die Gäste aufbrachen. Aber der Geist sagte, das sei unmöglich.
»Jetzt beginnt ein neues Spiel«, bat Scrooge. »Nur noch ein halbes Stündchen, Geist, nur ein einziges!«
Dies Spiel hieß »Ja und Nein«. Scrooges Neffe sollte sich etwas denken, und die übrigen mußten es raten, und er durfte ihre Fragen nur mit Ja oder Nein beantworten. Das Kreuzfeuer von Fragen, dem er ausgesetzt war, brachte zutage, daß er sich ein Geschöpf denke, ein Lebewesen, ein ziemlich unangenehmes, ein wildes, das manchmal brumme und grunze, manchmal spreche, in London wohne, auf den Straßen umhergehe, nicht ausgestellt und von niemandem geführt werde, das in keiner Menagerie lebe, nie im Schlachthaus getötet werde und kein Pferd, kein Esel, weder Kuh noch Stier, kein Tiger, kein Hund, kein Schwein, keine Katze und kein Bär sei. Bei jeder weiteren Frage, die man ihm stellte, brach der Neffe in neues schallendes Gelächter aus und fühlte sich so unsagbar gekitzelt, daß er vom Sofa aufstehen und mit den Füßen stampfen mußte. Endlich geriet die dicke Schwester in einen ähnlichen Zustand und rief: »Ich hab’s, Alfred! Ich weiß, was es ist!«
»Was denn?« rief Alfred.
»Dein Onkel Scrooge!«
Der war’s auch. Allgemeine Bewunderung wurde laut, obgleich jemand einwandte, daß die Frage: »Ist es ein Bär?« hätte bejaht werden müssen; denn die Verneinung habe genügt, ihre Gedanken von Mr. Scrooge abzulenken, sofern sie in diese Richtung gezielt hätten.
»Er hat uns recht viel Vergnügen gemacht, nicht wahr?« sagte Alfred, »und es wäre daher undankbar, nicht auf seine Gesundheit zu trinken. Hier ist gerade ein Glas Glühwein zur Hand, und ich rufe daher: Onkel Scrooge soll leben!«
»Jawohl, er soll leben!« riefen alle.
»Fröhliche Weihnachten und ein glückliches Neujahr dem Alten, mag er sein, wie er will!« rief Scrooges Neffe. »Er wollte es zwar nicht von mir annehmen, aber er soll es nichtsdestoweniger haben. Onkel Scrooge soll leben!«
Onkel Scrooge war unmerklich so lustig und leichtherzig geworden, daß er der ahnungslosen Gesellschaft Bescheid getan und ihr in einer unhörbaren Rede gedankt hätte, wenn ihm der Geist Zeit dazu gelassen hätte. Aber alles verschwand mit dem Hauch des letzten Wortes, das sein Neffe sprach, und Scrooge und der Geist befanden sich wieder auf ihrer Reise.
Sie sahen viel und schweiften weit umher und besuchten viele Heime, aber stets mit glücklichem Ausklang. Der Geist stand neben den Kranken, und sie waren fröhlich; in fremden Ländern, und sie waren der Heimat verbunden; neben hart Ringenden, und sie waren geduldig in steigender Hoffnung; neben der Armut, und sie war Reichtum. Im Armenhaus, im Spital und im Kerker, in jedem Zufluchtsort des Elends, wo der eitle Mensch in seiner kleinen kurzlebigen Gewalt nicht selbst die Tür verriegelt und den Geist ausgeschlossen hatte, ließ er seinen Segen zurück und unterwies Scrooge in seiner Lehre.
Es war eine lange Nacht, falls es nur eine Nacht war; aber daran zweifelte Scrooge, weil die Weihnachtsfeiertage in den Zeitraum zusammengezogen schienen, den sie zusammen verbrachten. Es war auch merkwürdig, daß, während Scrooge in seiner äußeren Gestalt unverändert blieb, der Geist älter wurde, merklich älter. Scrooge hatte diesen Wechsel bemerkt, aber nie davon gesprochen, bis sie eine Weihnachtskindergesellschaft verließen und er, als sie zusammen im Freien standen, den Geist ansah und erkannte, daß sein Haar grau war.
»Leben Geister so kurz?« fragte Scrooge.
»Mein Leben auf dieser Erde ist sehr kurz«, versetzte der Geist; »es endet heute nacht.«
»Heute nacht?« rief Scrooge.
»Heute um Mitternacht. Horch! Schon rückt die Zeit heran!« Die Glocken schlugen gerade drei Viertel nach elf.
»Vergib mir, wenn