Weihnachtserzählungen. Charles Dickens
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Weihnachtserzählungen - Charles Dickens страница 4
Gott sei mit Euch, mein edler Herr,
Mög Euch kein Trübsal treffen
griff Scrooge so heftig nach seinem Lineal, daß der Sänger bestürzt entwich und das Schlüsselloch dem Nebel und der dem Hausherrn noch verwandteren Kälte überließ.
Endlich kam die Stunde des Geschäftsschlusses. Widerwillig stieg Scrooge von seinem Schreibstuhl und teilte dadurch diese Tatsache wortlos dem in seinem Schacht harrenden Schreiber mit. Dieser blies sogleich seine Kerze aus und setzte seinen Hut auf.
»Sie werden vermutlich morgen den ganzen Tag frei haben wollen?« fragte Scrooge.
»Wenn’s Ihnen recht ist, Sir!«
»Ist mir nicht recht«, antwortete Scrooge, »und gehört sich nicht. Wenn ich Ihnen dafür eine halbe Krone abzöge, so wette ich, fühlten Sie sich schlecht behandelt.«
Der Schreiber lächelte matt.
»Und doch«, fuhr Scrooge fort, »halten Sie mich nicht für schlecht behandelt, wenn ich Ihnen für einen ganzen Tag Geld ohne Arbeit verabreiche.«
Der Schreiber bemerkte, daß dies ja nur einmal im Jahr vorkomme.
»Eine schlechte Ausrede, um einem an jedem 25. Dezember das Geld aus der Tasche zu stehlen!« murrte Scrooge und knöpfte seinen Überrock bis zum Kinn zu. »Aber ich nehme an, daß Sie den ganzen Tag haben müssen. Seien Sie dafür übermorgen umso zeitiger hier.«
Der Schreiber versprach das, und Scrooge zog grollend ab. Das Kontor war im Nu geschlossen. Der Schreiber, dem die langen Enden seines weißen Schals um die Beine baumelten, da er sich mit keinem Überrock brüsten konnte, lief Cornhill hinunter, wobei er am Ende einer Kette von Knaben zu Ehren des Weihnachtsabends wohl zwanzigmal schlitterte, und eilte dann, so schnell er konnte, nach Camden-Town nach Hause, um mit den Seinen Blindekuh zu spielen.
Scrooge nahm sein melancholisches Mahl in dem gewohnten düsteren Wirtshaus ein und ging endlich, nachdem er alle Zeitungen gelesen und den Rest des Abends über seinem Abrechnungsbuch gebrütet hatte, zum Schlafen nach Hause. Er wohnte in den Räumen, die einst seinem verstorbenen Partner gehört hatten. Es war eine düstere Zimmerreihe in einem finsteren Bauwerk auf einem Hinterhof. In diesem Hof schien das Gebäude so wenig zu suchen zu haben, daß man sich der Vorstellung kaum erwehren konnte, es habe sich als junges Häuschen beim Versteckspiel mit andern Häusern dort hineinverkrochen und nicht mehr herausgefunden. Nun war es alt und trübselig genug, denn niemand als Scrooge bewohnte es, und alle anderen Zimmer waren als Kontore vermietet. Der Hof war so finster, daß Scrooge, dem jeder Stein darin bekannt war, den Weg fast mit den Händen suchen mußte. Nebel und Frost lasteten so dick und schwer auf dem alten schwarzen Torweg, daß es schien, als ob der Genius des Wetters in traurigem Nachdenken auf der Schwelle sitze.
Sicher ist, daß an dem Türklopfer außer seiner Größe nichts bemerkenswert war. Ebenso sicher ist, daß ihn Scrooge, seit er das Haus bewohnte, jeden Morgen und Abend gesehen hatte; daß Scrooge von dem, was man Phantasie nennt, ebensowenig besaß wie sonst wer in der City von London, selbst – was viel heißen will – den Gemeinderat nebst Aldermen und Zünften mit eingeschlossen. Ebenso müssen wir festhalten, daß Scrooge, seit er an diesem Nachmittag zum letztenmal seines seit sieben Jahren verstorbenen Geschäftsgenossen Erwähnung getan, keinen Gedanken mehr an Marley gewendet hatte. Und nun soll mir ein Mensch, wenn er es kann, erklären, wie es geschah, daß Scrooge, als er seinen Hausschlüssel ins Türschloß steckte, in dem Türklopfer, ohne daß mit ihm eine plötzliche Veränderung vor sich gegangen war, nicht einen Türklopfer, sondern Marleys Gesicht erblickte!
Ja, Marleys Gesicht. Es war nicht in undurchdringliche Schatten gehüllt wie die übrigen Gegenstände auf dem Hof, sondern hatte ein unheimliches Leuchten an sich wie ein verfaulter Hummer in einem dunklen Keller. Es war nicht böse oder wild, sondern schaute ihn an, wie Marley zu tun pflegte: mit der gespenstigen Brille, die auf seine gespenstige Stirn hinaufgeschoben war. Sein Haar war seltsam gesträubt, als hätte keuchender Atem oder heiße Luft es emporgeweht, und obwohl die Augen weit offen waren, fehlte ihnen doch alle Bewegung. Dies und die bleiche Farbe machten das Gesicht entsetzlich, allein seine Schrecklichkeit schien außerhalb des Gesichts zu liegen, gar nicht in dessen Macht.
Als Scrooge starr auf diese Erscheinung blickte, war es wieder ein Türklopfer.
Wollten wir behaupten, er sei nicht erschrocken gewesen, oder sein Blut habe nichts von dem grausigen Schauder empfunden, der ihm seit seiner Kindheit fremd geworden war – es wäre nicht wahr. Aber er legte seine Hand wieder an den Schlüssel, den er hatte fahren lassen, drehte ihn im Schloß um, trat ins Haus und zündete seine Kerze an.
Er zauderte allerdings einen Augenblick, ehe er die Türe schloß, und guckte zuerst vorsichtig dahinter, als erwarte er halb und halb, durch den Anblick von Marleys Kopf erschreckt zu werden, der steif in den Flur hereinrage. Doch war auf der Rückseite der Tür nichts zu erblicken als die Schrauben und Schraubenköpfe, die den Türklopfer festhielten. Darum machte er nur »Puh! Puh!« und knallte die Tür zu. Dieser Knall hallte wie ein Donnerschlag durch das Haus. Jedes Zimmer im oberen Stock und jedes Faß im Keller des Weinhändlers darunter schienen ihr eigenes Echo zu haben; Scrooge war aber nicht der Mann, der sich von Echos ins Bockshorn jagen ließ. Er verriegelte die Tür und schritt über den Flur und die Treppe hinauf, sogar langsam: im Gehen putzte er noch seine Kerze.
Man kann nicht gut sagen, daß sich eine sechsspännige Kutsche über eine gute alte Treppenflucht hinauf- oder durch eine schlechte junge Parlamentsakte hindurchbefördern lasse; ich wage aber doch auszusprechen, daß man über diese Treppe ohne Mühe einen Leichenwagen hätte führen können, auch der Breite nach, die Deichsel gegen die Wand und die Tür gegen das Geländer. An Breite hätte es nicht gefehlt, ja es wäre noch Raum übriggeblieben. Vielleicht war dies der Grund, weshalb Scrooge einen Leichenzug im Dunkel vor sich herfahren zu sehen glaubte. Ein halbes Dutzend Gaslampen von der Straße draußen hätte diesen Hausflur nicht übermäßig erhellt, und so kann man sich vorstellen, daß er bei Scrooges Lichtchen ziemlich finster war.
Scrooge stieg hinauf, ohne sich darum zu kümmern. Dunkelheit ist billig, und das liebte Scrooge. Ehe er aber seine schwere Zimmertür von innen schloß, schritt er durch seine Zimmer, um zu sehen, ob alles in Ordnung sei. Er hatte das Gesicht noch lebhaft genug im Gedächtnis, um das für wünschenswert zu halten.
Wohnzimmer, Schlafzimmer, Rumpelkammer – alles, wie es sich gehörte. Niemand unter dem Tisch, niemand unter dem Sofa, ein kleines Feuer auf dem Herd, Löffel und Tasse griffbereit und die kleine Pfanne mit Haferschleim – Scrooge hatte nämlich Schnupfen – auf dem Kaminsims. Niemand unter dem Bett, niemand im Wandschrank, niemand im Schlafrock, der in verdächtiger Stellung an der Wand hing! Auch die Rumpelkammer war wie sonst: ein altes Feuergitter, altes Schuhwerk, zwei Fischkörbe, ein alter Koffer, ein Waschtisch auf drei Beinen und ein Schüreisen.
Befriedigt schlug Scrooge die Tür zu und schloß sich selber ein, sogar zweimal, was sonst nicht seine Gewohnheit war. So gegen jede Überraschung geschützt, legte er seine Halsbinde ab, zog Schlafrock und Pantoffeln an, stülpte sich die Nachtmütze über und setzte sich ans Feuer, um seinen Haferschleim auszulöffeln.
Das Feuer war wirklich sehr klein, ein Nichts in einer so kalten Nacht. Er mußte sich dicht davorsetzen und sich darüberbeugen, um aus dieser Handvoll Feuerung eine Spur Wärme zu gewinnen. Der Kamin war uralt, vor langen Jahren von irgendeinem holländischen Handelsherrn erbaut und ringsum mit seltsamen holländischen Backsteinen bepflastert, die Bilder aus der Heiligen Schrift darstellen sollten.