Weihnachtserzählungen. Charles Dickens

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Weihnachtserzählungen - Charles Dickens Literatur (Leinen)

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war die Antwort.

      »Einer lang vergangenen?« fragte Scrooge im Hinblick auf seine zwerghafte Gestalt.

      »Nein. Deiner vergangenen.«

      Hätte ihn jemand darum befragt, so hätte Scrooge wahrscheinlich keinen Grund anzugeben gewußt, aber er hegte besonderes Verlangen, den Geist mit seiner Mütze auf dem Kopf zu sehen, und bat ihn daher, sich zu bedecken.

      »Wie!« rief der Geist aus, »möchtest du so bald schon mit irdischen Händen das Licht löschen, das ich gebe? Ist es nicht genug, daß du zu denen gehörst, deren Leidenschaften diese Kappe gemacht haben und mich zwingen, sie oft jahrelang tief in die Stirn zu ziehen?«

      Scrooge bestritt ehrerbietig jede Absicht, zu beleidigen, und jede Kenntnis davon, daß er irgendwann im Leben das Gespenst mit der Mütze habe bedecken wollen. Dann fragte er kühn, was ihn herführe.

      »Dein Wohl!« war die Antwort.

      Scrooge versicherte, er sei ihm dafür sehr verbunden, konnte aber nicht umhin zu denken, daß eine Nacht ungestörter Ruhe diesem Zweck zuträglicher gewesen wäre. Der Geist mußte ihn haben denken hören, denn er sagte sofort: »Deine Besserung also. Nimm dich in acht!« Er streckte bei diesen Worten seine starke Hand aus und faßte Scrooge sanft am Arm.

      »Steh auf! Und komm mit mir!«

      Vergebens hätte Scrooge eingewendet, daß Wetter und Stunde zu Fußwanderungen nicht geeignet seien, daß sein Bett warm sei und das Thermometer ein gutes Stück unter dem Gefrierpunkt stehe; daß er nur leicht mit Pantoffeln, Schlafrock und Nachtmütze bekleidet und zur Zeit erkältet sei. Dem Griff des Geistes, obwohl er sanft wie der einer Frauenhand war, konnte er nicht widerstehen. Er erhob sich; als er aber bemerkte, daß der Geist dem Fenster zuschritt, packte er ihn bittend am Rock.

      »Ich bin ein Sterblicher«, wandte er ein, »und dem Fallen ausgesetzt.«

      »Laß dich nur von meiner Hand hier berühren«, sprach der Geist, indem er ihm die Hand aufs Herz legte, »und du sollst zu mehr als diesem befähigt werden!«

      Kaum waren diese Worte gesprochen, so schritten sie durch die Mauer und standen auf einer offenen Landstraße mit Feldern zu beiden Seiten; die Stadt war gänzlich verschwunden, keine Spur von ihr war zu sehen; Dunkel und Nebel waren mit ihr entwichen, ein heller, kalter Wintertag lag über schneebedecktem Gefilde.

      »Du lieber Himmel!« rief Scrooge und schlug die Hände zusammen, als er um sich blickte. »Hier wurde ich geboren. Hier lebte ich als kleiner Junge!«

      Der Geist blickte mild auf ihn. Seine leichte Berührung, obwohl sie kaum merklich und flüchtig gewesen war, schien der alte Mann noch immer zu fühlen. Er wurde sich tausendfältiger Düfte bewußt, die in der Luft schwebten, jeder verknüpft mit tausend Gedanken, Hoffnungen, Freuden und Sorgen, die längst vergessen waren.

      »Deine Lippe zittert«, sprach der Geist; »und was ist das hier auf deiner Wange?«

      Scrooge murmelte mit ungewöhnlich einschmeichelnder Stimme, daß es nur ein Bläschen sei, und bat den Geist, ihn zu führen, wohin er wolle.

      »Erinnerst du dich noch des Weges?« fragte die Erscheinung.

      »Ob ich mich erinnere?« rief Scrooge begeistert; »ich könnte ihn blind gehen.«

      »Merkwürdig, daß du ihn so lange Jahre vergessen hast«, bemerkte das Gespenst. »Laß uns weitergehen.«

      Sie gingen die Straße entlang. Scrooge erkannte jeden Zaun, jeden Pfosten und jeden Baum, bis in der Ferne ein kleiner Marktflecken mit seiner Kirche und seiner Brücke über einen gewundenen Fluß erschien. Nun sahen sie zottige Ponys auf sich zutraben mit Jungen auf dem Rücken, die andern Jungen in Wagen und Bauernkarren etwas zuriefen. All diese Knaben waren sehr munter und jauchzten einander zu, bis die weiten Felder so voll lustiger Klänge waren, daß die klare Luft selbst mitzulachen schien.

      »Dies sind nur Schatten von Geschöpfen, die einst gewesen sind«, sprach der Geist, »sie wissen nichts von uns.«

      Die frohen Ausflügler kamen näher, und Scrooge kannte sie alle und nannte jeden mit Namen, als sie bei ihnen waren.

      Warum freute er sich so unbändig, sie wiederzusehen? Warum leuchtete sein kaltes Auge und schlug sein Herz höher, als sie vorüberbrausten? Warum erfüllte es ihn mit Freude, als er hörte, wie sie einander fröhliche Weihnachten wünschten, wenn sie sich an Wegkreuzungen trennten, um nach Hause zu gelangen? Was bedeuteten fröhliche Weihnachten für Scrooge? Der Henker hole die fröhlichen Weihnachten! Was hatten sie ihm je Gutes gebracht?

      »Die Schule ist nicht ganz verwaist«, sagte der Geist; »ein Kind, von seinen Angehörigen vernachlässigt, ist darin zurückgeblieben.«

      Scrooge sagte, er kenne es, und brach in Tränen aus.

      Sie verließen die Landstraße auf einem wohlbekannten Seitenweg und näherten sich bald einem Gebäude aus dunkelroten Backsteinen; über das Dach ragte eine kleine, mit einem Wetterhahn gezierte Kuppel empor, in der eine Glocke hing. Es war ein stattliches Haus, das aber bessere Tage gesehen hatte; die geräumigen Gemächer waren wenig benutzt, die Mauern feucht und von Moos überwachsen, die Fenster zerbrochen und die Türen dem Einfallen nahe. Hühner gackerten und stolzierten in den Ställen herum, Schuppen und Scheunen waren mit Gras überwuchert. Auch im Innern war nichts von der alten Herrlichkeit zurückgeblieben, denn als sie den öden Hausflur betraten und durch die offenen Türen in manche Zimmer blickten, fanden sie diese armselig möbliert und kalt und ungemütlich. Dumpfer Modergeruch lag in der Luft und frostige Unfreundlichkeit über dem Platz, die an zu frühes Aufstehen bei Kerzenlicht und an nicht zu reichliche Nahrung gemahnte.

      Scrooge und das Gespenst schritten über den Hausflur zu einer Tür an der Rückseite des Hauses. Sie tat sich vor ihnen auf und erschloß ein langes, kahles, trübseliges Gemach, das durch Reihen einfacher Bänke und Pulte aus Tannenholz noch kahler wirkte. An einem dieser Pulte saß ganz allein ein Knabe neben einem schwachen Feuer und las, und Scrooge setzte sich in eine Bank und weinte, als er so sein armes vergessenes Ich vor sich sah, wie es einst gewesen war.

      Kein schwaches Echo gab es im Haus, kein Mäuschen pfiff und raschelte hinter der Täfelung, kein Tropfen floß aus der halb aufgetauten Wasserröhre hinten im finstern Hof, kein Seufzer entfloh den entlaubten Zweigen einer einzelnen mutlosen Pappel, keine Tür schwang träge an den leeren Vorratsräumen, ja selbst das Feuer gab kein Knistern von sich, ohne daß es sich nicht Scrooge sänftigend aufs Herz gelegt und seinen Tränen freieren Lauf verschafft hätte.

      Der Geist tippte ihn auf den Arm und deutete auf sein jüngeres Ich, das ins Lesen vertieft war. Auf einmal stand ein Mann in fremder Tracht draußen vor dem Fenster, wunderbar echt und zum Greifen deutlich; er hatte eine Axt im Gürtel und führte einen holzbeladenen Esel am Zügel.

      »Ei sieh! Es ist Ali Baba!« rief Scrooge begeistert aus; »der gute, ehrliche alte Ali Baba! Ja, ich kenn ihn! Einmal zur Weihnachtszeit, als dieses einsame Kind hier ganz allein zurückgeblieben war, erschien er zum erstenmal, gerade wie heute. Der arme Knabe! – Und Valentin«, rief Scrooge, »und sein wilder Bruder Orson! Da gehen sie! Und wie hieß doch gleich der, den man, während er schlief, in Unterhosen vor das Tor von Damaskus setzte? Siehst du ihn nicht? Und des Sultans Reitknecht, der von den Genien auf den Kopf gestellt wurde: dort steht er ja auf dem Kopf! Geschieht ihm ganz recht! Es freut mich. Was mußte er sich auch mit der Prinzessin verheiraten!«

      Seinen Geschäftsfreunden in der City wäre es keine geringe Überraschung gewesen,

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