Weihnachtserzählungen. Charles Dickens

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Weihnachtserzählungen - Charles Dickens Literatur (Leinen)

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Gesicht gesehen.

      »Hier ist der Papagei!« rief Scrooge; »grün der Leib, der Schweif gelb, ganz oben auf dem Kopf trägt er ein Ding wie ein Salatbüschelchen! Hier ist er! ›Armer Robin Crusoe‹, rief er, als dieser von seiner Fahrt um die Insel wieder heimkehrte. ›Armer Robin Crusoe! Wo bist du gewesen?‹ Der Mann glaubte, er träume, aber nein! Es war der Papagei, weißt du! Dort ist Freitag, er rennt um sein Leben nach der kleinen Landzunge! Hallo! Hopp! Hallo!«

      Dann brach er mit einem raschen Stimmungswechsel, der seinem Charakter ganz fremd war, wieder in Mitleid mit seinem früheren Ich aus. »Armer Knabe!« rief er und weinte wiederum.

      »Ich wünschte wohl …« murmelte Scrooge, steckte die Hand in die Tasche und sah sich um, nachdem er sich mit dem Ärmelaufschlag die Augen gewischt hatte, »aber jetzt ist’s zu spät!«

      »Was wünschtest du?« fragte der Geist.

      »Nichts!« antwortete Scrooge. »Gar nichts! Gestern abend kam ein Knabe vor meine Tür und sang ein Weihnachtslied; ich wünschte, ich hätte ihm etwas gegeben – das ist alles!«

      Das Gespenst lächelte gedankenvoll, winkte mit der Hand und sagte: »Laß uns einen andern Weihnachtstag beschauen!«

      Scrooges einstiges Ich vergrößerte sich bei diesen Worten, und das Gemach wurde etwas dunkler und schmutziger. Das Getäfel schrumpfte ein, die Fenster knarrten; der Gipsbewurf bröckelte von der Decke, und statt seiner zeigten sich nackte Latten. Aber auf welche Weise das alles geschah, wußte Scrooge nicht besser als ihr. Er wußte nur, daß es ganz richtig war: daß sich alles so zugetragen hatte und daß er hier wieder allein war, als alle andern Knaben über die Weihnachtstage nach Hause gegangen waren.

      Diesmal las er nicht, sondern schritt verzweifelt auf und nieder. Scrooge sah den Geist an und schaute dann mit traurigem Kopfschütteln ängstlich zur Tür hin.

      Sie öffnete sich, und ein kleines Mädchen, weit jünger als der Knabe, hüpfte herein, schlang die Ärmchen um seinen Nacken, küßte ihn immer wieder und begrüßte ihn als »lieben, lieben Bruder«.

      »Ich komme, um dich heimzuholen, lieber Bruder!« rief das Kind, schlug seine dünnen Händchen zusammen und schüttelte sich vor Lachen. »Dich heimzuholen, heim, heim!«

      »Heim, Fannylein?« fragte der Knabe.

      »Ei freilich!« erwiderte das Kind freudestrahlend, »für immer und ewig. Der Vater ist jetzt viel freundlicher, als er sonst zu sein pflegte, so daß es zu Hause ist wie im Himmel! Er redete so zärtlich mit mir, als ich neulich abends zu Bett ging, daß ich mich nicht fürchtete, ihn noch einmal zu fragen, ob du heimkommen darfst; und er sagte, ja, das solltest du, und schickte mich mit dem Wagen her, dich abzuholen. Du sollst jetzt ein Mann werden und nicht mehr hierher zurückkehren«, sprach das Kind mit großen Augen, »zuerst aber wollen wir alle miteinander den Weihnachtstag feiern und die fröhlichste Zeit von der Welt verbringen.«

      »Du bist ein richtiges Frauenzimmer, Fannylein!« rief der Knabe. Sie klatschte in die Hände und lachte und versuchte seinen Kopf zu erreichen; weil sie jedoch zu klein war, lachte sie von neuem und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu umarmen. Hierauf begann sie in ihrem kindischen Eifer ihn zur Tür zu zerren, und er folgte ihr gern.

      Eine fürchterliche Stimme im Hausflur schrie: »Bringt Master Scrooges Koffer herunter!« und im Flur erschien der Schulmeister selbst. Er stierte Scrooge mit grimmiger Herablassung an und jagte ihm durch seinen Händedruck Angst ein. Dann führte er ihn und seine Schwester in das schauerlichste alte Loch von Besuchszimmer, das man sich denken kann, wo die Landkarten an der Wand und die Erd- und Himmelsgloben an den Fenstern vor Kälte glänzten. Hier zog er einen Krug unglaublich leichten Weins und ein Stück unglaublich schweren Kuchens hervor und teilte diese Leckerbissen dem jungen Volk ratenweise zu; gleichzeitig beauftragte er eine hagere Magd, dem Kutscher draußen »etwas« zu trinken anzubieten, worauf dieser antwortete, er lasse dem Herrn danken, wenn es aber das gleiche Getränk sei, das er schon früher versucht habe, nehme er’s für empfangen. Master Scrooges Koffer waren inzwischen auf dem Verdeck des Wagens festgebunden worden, und die Kinder sagten leichten Herzens dem Schulmeister Lebewohl, stiegen in den Wagen und fuhren vergnügt die Gartenallee hinunter, so daß die schnellen Räder den Reif und Schnee von den dunklen Blättern des Immergrüns wie Sprühregen abstreiften.

      »Sie war immer ein zartes Wesen, das ein Hauch hätte versehren können; aber sie hatte ein großes Herz!« sagte das Gespenst.

      »Ja«, rief Scrooge, »da hast du recht, Geist! Gott verhüte, daß ich das bestritte!«

      »Sie starb als verheiratete Frau«, fuhr der Geist fort, »und hatte, glaube ich, Kinder.«

      »Eines«, versetzte Scrooge.

      »Ja«, sagte der Geist. »Dein Neffe!«

      Scrooge schien verstimmt, und er antwortete kurz: »Ja.«

      Obwohl sie kaum erst die Schule verlassen hatten, waren sie jetzt doch plötzlich in den geschäftigen Hauptstraßen einer Stadt, wo schattenhafte Menschen hin und her eilten, schattenhafte Kutschen und Karren einander den Weg streitig machten und das Gelärm und Getümmel einer wirklichen Stadt herrschte. An der Aufmachung der Läden erkannte man deutlich genug, daß auch hier Weihnachtszeit war, aber es war Abend, und die Straßen waren erleuchtet.

      Das Gespenst machte an der Tür eines bestimmten Warenhauses halt und fragte Scrooge, ob er es kenne.

      »Ei freilich«, meinte der, »ich war ja hier Lehrling.«

      Sie traten ein, und beim Anblick eines alten Herrn mit französischer Perücke – er saß hinter einem so hohen Schreibpult, daß er sicherlich mit dem Kopf an die Zimmerdecke gestoßen hätte, wenn er nur um zwei Zoll größer gewesen wäre – rief Scrooge in großer Erregung: »Ei, das ist ja der alte Fezziwig! Bei Gott, Fezziwig, wie er leibt und lebt!« Der alte Fezziwig legte seine Feder nieder und blickte zur Wanduhr empor, die eben auf sieben zeigte. Er rieb sich die Hände, zupfte seine geräumige Weste zurecht, lachte am ganzen Leib, von den Zehen bis zu den Haarspitzen, und rief mit behäbiger, fetter, satter und gönnerhafter Stimme: »Heda! Ihr! Ebenezer! Dick!«

      Scrooges früheres Ich, das inzwischen ein junger Mann geworden war, eilte mit seinem Lehrgenossen eifrig herein.

      »Dick Wilkins, nicht wahr?« fragte Scrooge den Geist. »Meiner Treu! ja, er ist’s! War mir recht zugetan, der Dick! Armer Dick! Lieber, Guter!«

      »Heda, meine Jungen!« rief Fezziwig. »Für heute ist Feierabend! Weihnachten ist, Dick! Weihnachten, Ebenezer! Schließt die Fensterladen, ehe einer sagen kann: Jack Robinson!« rief der alte Fezziwig und klatschte laut in die Hände.

      Ihr könnt euch kaum vorstellen, wie schnell die beiden Jungen zupackten. Eins, zwei, drei – eilten sie mit den Läden auf die Straße hinaus; vier, fünf, sechs – rückten sie sie an ihre Stelle; sieben, acht, neun – stießen sie die Querstangen und Riegel hinein und waren zurück, ehe einer bis zwölf zu zählen vermochte, atemlos wie Rennpferde.

      »Heißa!« rief der alte Fezziwig und sprang mit wunderbarer Behendigkeit von seinem hohen Pult herunter. »Räumt aus, Jungen, und laßt uns hier Platz machen! Hurra, Dick! Heißa, Ebenezer!«

      Ausräumen! Es gab nichts, was sie nicht wegräumen wollten oder wegräumen konnten, wenn der alte Fezziwig zusah. In einer Minute war es geschehen: alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde weggeschafft, als sollte es für immer aus dem öffentlichen Leben verschwinden; der Hausflur ward reingekehrt und gespritzt, die Lampen wurden

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