Der Ohrfeige nach. Wiglaf Droste

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Der Ohrfeige nach - Wiglaf Droste

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zur Unterwerfung.

      Ein Hype, auf deutsch das organisierte Übertreiben und Aufbauschen zu Zwecken der Selbstausstellung, »lenkt« laut stern »den Blick auf etwas, das uns bisher entgangen ist«, drückt einem also penetrant und übergriffig etwas auf, das man hanskuckindieluftig glücklich oder mit Absicht ignoriert hat. Diese Aufdringlichkeit wird zumindest beim stern goutiert. »Ein guter Hype bedeutet Spaß, gerade weil er übertrieben ist und unvernünftig.« Wo Lebensfreude sich aus gesteuerter Hysterie generieren muss, hat die Depression längst das Regiment übernommen.

      Deutlich wird das auch, wenn Leipzig beziehungsweise »Hypezig« als »The better Berlin« bezeichnet beziehungsweise eben »gehypet« wird: Leipzig ist besser als Berlin? Noch besser? Noch besser als die Hauptstadt des prekären Lebens, das sich als »kreativ« ausgibt, wenn es mit mindestens einem Bein in der existentiellen, künstlerischen und materiellen Prostitution steht? Wer das als Fortschritt feiert, hat nichts Gutes im Sinn – beziehungsweise »nischds Gudes«, wie man in Leipzig sagt, aber das ist selbstverständlich nicht »Hypezig«-tauglich.

      Vom Dummen ins Dreiste rutscht der stern-Text, wenn auch noch Gustave Le Bons im Jahr 1895 veröffentlichtes Buch »Die Psychologie der Massen« in die Kronzeugenschaft für das gleichermaßen krude wie hilflos trend­anflanscherische »Hype«-Gerede gezwungen wird. »Um Menschenmassen zu begeistern, müssten ihre Emotionen angesprochen werden«, subsummiert die Autorin, »wichtig sei dabei auch, einfache Botschaften und Bilder stetig zu wiederholen.« Um dann fröhlich auszuposaunen: »Das ist in Zeiten von Twitter und Facebook einfacher als je zuvor.«

      Nur dass Le Bon eben nicht schrieb, um die Massen in den Irrsinn zu peitschen, sondern um sie vor ihm zu bewahren. Aber Le Bon arbeitete ja auch nicht für eine »Hype Hype Hurra«-Illustrierte.

       Sich eine Platte machen

      »Und, machst du ’ne Platte?«, fragte mich eine Freundin und Kollegin, nachdem ich ihr ein Lied schickte, das ich sang. Der Klang ihrer Antwort freute mich sehr: dass jemand »Platte« sagt und nicht CD oder »Tonträger« oder »Produkt«. Kein Wunder, die feine Frau ist, wie auch ich, vom Jahrgang 1961, der nicht nur beim Wein schmeckt. In dem Jahr haben wir die Mauer gebaut, also ich selbst jetzt nicht, am 13. August 1961 war ich erst 47 Tage alt, aber sogar im Säuglingsalter kann man bereits Akte der Zivilisation erleben, die man erst später als solche wahrzunehmen im Stande – oder sagt man klein- und zusammengeschrieben und also ohne den Stand, imstande ? – ist.

      Mein Bargeld war alle, und so ging ich, weil ausschließlich Bargeld so lachen kann, wie eben nur Bargeld lacht, »Geld ziehen«, also in die sparkassitive Automatenwirtschaft, die man »Freiheit« nennen könnte, wenn man an die Bedeutung dieses schönen, großen Wortes keinen Gedanken zu verschwenden bereit wäre.

      In der Geldabholestelle lagen drei Männer meines Alters auf dem Marmorboden, sie sahen äußerlich recht herabgesunken aus und dünsteten auch nicht bestens; der Anblick »dauerte mich«, wie das im Grimmschen Märchen heißt, in der Sprache derer, die immerhin das Wagnis zu unternehmen versuchen, auf dem vorgegebenen Weg in die Idiotie hin und wieder auf eine Art und Weise zu straucheln, die zu erleben und zu betrachten sich eventu- und spirituell lohnen könnte.

      Die drei Herren hatten, wie man im Jargon der Obdachlosigkeit sagt, »Platte gemacht«, ich stand am »Spu­cki« genannten Geldspuckautomaten, sah, dass ich mehr hatte als ich brauchte und »zog Geld«, und dann gab ich den drei wahren Bohemiens Kaurismäkischer Prägung einen Zwanni, »ein Pfund«, wie der Berliner sagt, und bat die, wie meine Omma sie genannt hätte, Tippelbrüder, etwas zu ihrem und auch zu meinem Wohl zu trinken. Sie bedankten sich sehr. Ich ging, und draußen, in der unwirtlichen Straße, schämte ich mich, für die Welt und ihre Beschaffenheit und dafür, dass ich so wenig gegeben hatte.

      Heimwärts lief ich, zur Schönen, um ihr zu berichten, die aber, bevor ich beginnen konnte, ganz ihrerseits über jemanden sagte: »Der macht sich da überhaupt keine Platte«, womit gesagt war, dass der Erwähnte sich keinen Kopf machte, keinen Gedanken, keine Birne, keinen Kösel, der also die höchste aller Lebenskünste beherrschte, aber bevor ich auch darüber noch hätte grübeln können, begann ich doch lieber zu kochen.

       Ein Butziwacki, ein Orkan, eine eigene Liga

       Über Horst Hotte Tomayer

      Nachdem Ulrike Kowalsky Ende der Achtziger Jahre als Medienredakteurin der taz in den Sack gehauen hatte, organisierte sie ein mehrtägiges Lesefestival im Berliner Eiszeit-Kino, das sie »Maulaffen« nannte. Eingeladen war auch das Duo Ernst Kahl und Horst Tomayer, den Ulrike, die gebürtige Münchnerin, »Tomayerli« nannte oder auch zart einen »Süßi«, eine Auszeichnung, die sonst gerade mal dem schönen Schauspieler Victor Mature in seiner Rolle als Doc Holiday in John Fords »My Darling Clementine« zugestanden wurde, und als einen »Butziwacki« bezeichnete sie Tomayer auch. Denn der Mann, der auf der Bühne ein rhetorisch-stimmliches Fegefeuer entfachen konnte, war wesenszart, scheu und dezent.

      Gitarristisch begleitet von Ernst Kahl sang Tomayer auf die Melodie der »Moorsoldaten« sein Lied zur Erkämpfung der 35-Stunden-Woche: »Dafür haben unsere Väter nicht gelitten noch gekämpft / Dass man unsere Forderungen wie die Pellkartoffeln dämpft / Ihr Bosse und ihr Kunden / 35 Stunden sind genug...«

      Tomayer hinterließ bei denen, mit denen er arbeitete, Spuren. Für das »Kritische Tagebuch« (KT) beim WDR-Radio schrieb er Glossen, die Björn Blaschke, heute Radiokorrespondent aus dem Nahen Osten, als KT-Redak­teur sammeln und als Buch oder Hörbuch veröffentlichen wollte. Tomayer sagte zögerlich zu, er sah sich nicht als Mann für die Ewigkeit, und ein Hörbuch oder Buch mit seinen Radiotexten ist dann auch nie erschienen; vergessen hat sie dennoch niemand, der sie hörte, vorgetragen in Tomayers bayerischer Mund-Art und mit einem einzigartigen Ingrimm.

      Friedrich Küppersbusch schrieb, »Tomayer lieferte Glossen in WDR-Radiosendungen, das ist meine älteste Erinnerung an ihn. Weil sie funkelten in seinem Sprechen und seiner Sprache und oft mit größtem Furor scheinbar Nebensächliches behandelten. Eine rasende Aufzählung von Zivilisations- und Popkulturwichtigkeiten, erinnere ich mich am deutlichsten, handelte von der eben-nicht-Binse ›Nehmt Euch nicht so enorm wichtig‹.« Küppersbusch betont, dass Horst respektive Hotte Tomayer »seine eigene, inkorrupte Liga war«.

      Rayk Wieland ehrt Tomayer als einen Mann, »der stets und entwaffnend paradox auf der Seite derer war, die nun gar keine Partei hatten, sei's der ›Lifta Treppenlift‹, sei’s ›Paul, der Pornofilmregisseur‹, sei’s die Amsel, die er, Tomayer, als ›Amselleibgardist‹ gegen die Hauskatze mit dem Gewehr seiner Reime im Anschlag in Schutz nahm.«

      Klaus Bittermann schreibt in seinem Nachruf: »Zusammen mit Tomayer auf der Bühne zu sein war ein großes Vergnügen. ›Ihr habt das Zeug zu mehr als nur Publikum‹, sagte er am Schluss, fotografierte es und hatte sichtlich keine Lust aufzuhören. Die Zuhörer kamen sich häufig vor wie bei einem Orkan, der unerwartet über sie hereingebrochen war.«

      Als Tomayer bei unserer letzten gemeinsamen Lesung in Leipzig sein großes Lamento »S.O.S. Fellatio« vortrug, klammerten sich in den ersten Reihen junge Studentinnen an ihre gleichfalls juvenilen Begleiter. Vor einem Mann, der in großzügig lebenserfahrenem Ton berichtete, das männliche Glied schmecke durchaus »nach Ellenbogen oder Lineal«, aber auch »Madame Ehüm« dufte eben auch nicht immer »wie ein hochsommerlicher Himbeerhain«, hatten die jungen MenschInnen Manschetten. Dabei war Tomayers Suada reiner Humanismus.

      Tomayer war groß; er starb, wie Ulrike Kowalsky, an einem Gehirntumor. Und dabei habe ich so fest glauben wollen, dass vor Tomayers zärtlicher Sturmbögrandezza noch Tod und Teufel entweder den Hut gezogen hätten oder doch lieber ausgerissen wären.

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