Die Faxen Dicke. Reiner Hänsch

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Die Faxen Dicke - Reiner Hänsch

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      „Herräh Knippschild“, sagt sie jetzt bestimmt und sehr, sehr ernst, und macht danach eine Pause voller Bedeutung, „ich notier mir Ihr’n Fall hier und will sehn, wattich mach’n kann, woll.“

      Damit klappt sie den Prospekt endgültig und etwas übertrieben theatralisch zu, und ich spüre, dass unser Gespräch schon zu Ende ist. Vielleicht ist ja damit alles zu Ende.

      Aus der Traum!

      „Ja, … gut, äh, Sie rufen mich also an?“

      „Ja, Herräh … Knippschild, ich ruf Sie an, wenn sich IRG’NDWAT ergeb’n SOLLTE“, sagt sie und schüttelt mir mitleidig die Hand, um mich schnell zu entlassen.

      ‚SOLLTE‘. Dat wird nix.

      „Darwet auch woanders sein?“ fragt sie dann aber doch noch, weil sie sieht, wie enttäuscht ich bin.

      „Sonne! Strand! Palmen!“, wiederhole ich meine ursprüngliche Forderung von vorgestern, unterstreiche sie dieses Mal meinerseits noch mit einem Schuss Gnadenlosigkeit und gehe dann einfach.

      Da hab ich doch schon wieder sooo die Faxen dicke!

      Wie kann man nur? Da kommt dieser Kerl Ende Oktober ins Reisebüro und will Weihnachten in der Sonne sitzen! Das grenzt ja an Missachtung der allseits bekannten Urlaubsgesetze. Das geht doch nicht! Hat der Kerl denn noch nie Urlaub gemacht? So was will von langer Hand vorbereitet sein. Von ganz langer Hand, Herräh … Knippschild! Ts, ts, ts.

      Ich mache mir ehrlich gesagt nicht viel Hoffnung und sehe mich schon am Heiligabend in der Redaktion sitzen und einen bösen Artikel über die Überheblichkeit in gewissen Sauerländer Reisebüros schreiben.

      Tja, es geht also nicht. Kein Urlaub. Ich komme nicht an Frau Gantenbrink vorbei!

      ***

      In den nächsten Tagen läuft in der Redaktion alles ganz normal wie immer. Ich darf zwar wieder in mein Büro, aber die Kollegen gehen mir, so gut es geht, aus dem Weg.

      Unser größter Kunde, der großkotzige Schlüter mit dem gleichnamigen Autohaus kommt, auch wie immer, in der letzten Minute, um seine doppelseitige Riesenanzeige reinzudrücken, der FC Leckede-Hintersten ist wieder nicht in die Bezirksoberliga aufgestiegen und die Kuh von Hermann-Josef Brinkmann ist die schönste im ganzen Sauerland.

      Und Alex Knippschild hält einfach mal die Klappe. Was ihm von den restlichen Mitgliedern der Redaktion zutiefst gedankt wird. Ich drehe mich nachdenklich zum Fenster um, aber das bringt auch nichts. Rein gar nichts. Draußen regnet es schon wieder den ganzen schrecklichen Tag lang. Eine graue, dichte Suppe aus kaltem Nass klatscht bösartig an die Fenster unserer kleinen Redaktion. Ich kann kaum die Leuchttafeln der Raiffeisen-Tankstelle gegenüber sehen und weiß also auch nicht, ob der Spritpreis mal wieder gestiegen ist und ob ich daraus mal wieder eine heiße Titelstory machen könnte. Ist mir auch egal jetzt.

      So einen schlimmen Oktober hatten wir doch noch nie. Was ist denn jetzt auch noch mit dem Wetter los?

      Heute ist ein ganz normaler Drecksmontag und ich kehre erschöpft von meiner sinnlosen Schreibertätigkeit nach Hause zurück. Immer noch regnet es aus Eimern. Ich hinterlasse eine große Pfütze im Flur und stelle meine nassen Schuhe gedemütigt an der Garderobe ab.

      Scheißlaune. Das Leben ist nicht schön.

      Doch Steffi empfängt mich mit einem seltsamen Glänzen in den Augen. Sie ist nicht beim Friseur gewesen und schwanger scheint sie auch nicht zu sein. Es muss etwas Größeres, etwas Bedeutenderes sein, das sie mir zu eröffnen hat.

      „Koshamui“, stößt sie dann atemlos hervor und wiederholt es gleich noch mal. „Koshamui!“ Dann ist sie auch schon am Ende ihrer Kräfte und sinkt erschöpft aufs Sofa.

      Asiatisch, denke ich. Ein neues Gericht beim Schnellchinesen? Ein Kampfkunstausruf?

      „Die Gantenbrink hat angerufen“, stößt sie mit allerletzter Kraft hervor. „Sie hat was für uns. Setz dich! Los, setz dich, Alex!“

      Also, Frau Gantenbrink hat tatsächlich angerufen und ihr mitgeteilt, dass sich da in allerallerletzter Minute etwas ergeben hätte. Kunden hätten storniert. Schlimmer Verkehrsunfall. Die fünfundachtzigjährige Großmutter der Familie wäre leider dabei draufgegangen. Noch auf dem Weg ins Krankenhaus verstorben, aber die wollte auch sowieso nicht mit. Ts, ts, ts. Dennoch: Tragisch, tragisch. Die Eltern hätten komplizierte Arm- und Beinbrüche, Knochensplitterungen, Entstellungen. Das Kind bloß Schürfwunden und Blutergüsse am ganzen Körper … na, und die Omma eben tot.

      Super! Was für ein verdammtes Glück! Vier Flüge frei. Und wir brauchen nur drei!

      Einen Tag vor Weihnachten könnten wir also nun an Stelle dieser gebeutelten und leicht dezimierten Familie in ein Flugzeug steigen und hätten für zwei Wochen Sonne, Strand, Palmen auf der Trauminsel Ko Samui in Thailand. Steffi hat es nur falsch ausgesprochen.

      Sie musste sich dann auch auf die Schnelle für ein Hotel entscheiden, was sie auch spontan gemacht hat. Na, sie wird sicherlich das richtige ausgesucht haben.

      Jetzt haben wir es also tatsächlich geschafft. Nur noch ein paar Wochen in stiller Vorfreude die Schnauze halten und ab und zu mal einen bunten Reiseführer durchblättern.

      Und wenn ich dann die Augen schließe und mich ganz doll konzentriere, was ich in der letzten Zeit öfter mal tue, dann höre auch ich die sanft heranrauschenden Wellen mit dem warmen Wasser des Mittelmeeres, des Pazifiks, der Südsee … ich weiß gar nicht genau. Ein paar giftige Tiere lauern auch auf mich, aber naja … kann man vernachlässigen.

      Und den Strand sehe ich ganz deutlich vor mir. Ja. Endlos weit und weiß, Palmen, Hütten, freundliche Eingeborene, die uns leckere Früchte und Kokosnüsse anbieten, ohne allzu viel Geld dafür haben zu wollen. Fröhliche Fischer, die ihren bunt schillernden Fang frisch und zappelnd an die Strandrestaurants verkaufen. Gleich werden wir in einem dieser Restaurants sitzen und eine dieser herrlichen Kostbarkeiten verspeisen, während unser Junge friedlich im Sand spielt und Muscheln nach Größe und Farbe sortiert.

      Naja, vielleicht hat er aber auch seinen Game Boy vor der Nase und sitzt irgendwo im Schatten, weil es ihm viel zu heiß ist. Egal, es ist so schön …

      Wir werden also Urlaub machen!

       24.12. Ko Samui - erster Tach: Pelledei Lock Lissoh

       (Paradise Rock Resort)

      „WÄLLKAMM TO THAILÄNN! WÄLLKAMM TO THAILÄNN!“

      Da. Ich kann sie sehen! Mitten im stürmischen Meer der hilflos herumtreibenden Touristen und anderer Gestrandeter, die alle wie wir aus der Ankunftshalle des fernen Flughafens im Paradies geschwemmt werden, entdecke ich sie als Erster. Die thailändische Außendienstmitarbeiterin von Töffte Reisen. Sie ist ganz klein und man sieht sie nur, weil sie die leuchtend rote Pappe mit der typischen, markanten Aufschrift „Töffte Reisen“ ganz hochhält. Und die kleine Frau selbst kann man nur sehen, weil sie ab und zu einen lustigen Hüpfer macht, um ihrerseits auch mal über das wogende Meer der erschöpften Touris gucken zu können. Wie eine rote, auf den Wellen hüpfende Rettungsboje in ganz schwerer See.

      Aber sie ist da. Nur für uns. Wir sind

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