Die Faxen Dicke. Reiner Hänsch
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Er murmelt irgendwas, reicht der kleinen thailändischen Töffte-Frau einen Zettel runter, sie liest ihn, vergleicht, und reicht ihn dann nach oben zurück. Und dann nickt der lange Mann. Er scheint mit seinem Namen einverstanden zu sein, winkt seiner eigenen netten, normalwüchsigen Frau, und die beiden ziehen überglücklich, aber erschöpft Richtung Bus. Die haben’s schon mal geschafft.
Steffi sieht mich vorwurfsvoll an, als ob es jetzt an mir läge, dass hier nichts passiert, weil ich die Lage nicht im Griff habe, weil ich nicht mal einer kleinen, freundlichen thailändischen Frau, die uns offensichtlich nichts Böses will, klarmachen kann, wer wir sind und dass wir ein verdammtes Recht auf diesen Urlaub haben, den wir uns so schwer verdient haben.
„Papa, jetzt mach mal!“, ruft da auch noch der schwerkranke Max von seinem Kofferthron herunter, auf dem er seit einiger Zeit sitzt und heftig schwitzt.
Bitte, liebe Trägerin des roten Sonnen-Abzeichens von Töffte-Reisen, schick uns nicht wieder weg. Vertreibe uns nicht aus dem Paradies, in dem wir ja gerade erst angekommen sind. Lass uns hier im gelobten Land unseren verdienten Urlaub machen, bitte. Nur zwei Wochen! Tu es für mich und meine Familie.
Inzwischen wanken mehr und mehr Mitreisende mit neuen fantastischen Namen ermattet, aber glücklich an uns vorbei, immer in die Richtung, in die die Boje sie schickt.
Alle haben jetzt einen Namen, alle haben bald ein Zuhause für die nächsten zwei Wochen. Sie können jetzt Urlaub machen, sie sind alle erfasst von der unbestechlichen Urlaubsmaschinerie. Sie sind endlich eingerastet ins Räderwerk des allmächtigen Pauschaltourismus. Die Glücklichen.
Ich probiere es also noch mal mit leicht veränderter, versuchsweise frei ans Thailändische angepasster Aussprache unseres Namens und sage: „Knippssild“.
Nein, auch „Knippssild“ kommt in der Liste unserer freundlichen Betreuerin nicht vor.
„K-anippessilll!“ Zweiter Versuch.
Nein. Freundliches Kopfschütteln.
Was kann man noch machen? „Kniiipp…“. Nein. Mir fällt nichts mehr ein, aber die freundliche Frau findet keine Gnade. Es gibt uns einfach nicht.
„Zeig ihr endlich unsere Zettel!“, ruft Steffi mir zu. Sie sitzt inzwischen zusammengesunken und ohne Hoffnung auf unserem gigantischen Kofferensemble und macht einen erbärmlichen Eindruck. Max ist eingeschlafen.
Die Zettel! Ja, warum eigentlich nicht. Manchmal haben Frauen ja ganz gute, bestechend einfache und praktische Ideen. Ich wühle also in der kleinen, schwarzen Tasche herum, die ich mir als Dokumentenmappe auserkoren habe, und die auch nur ich tragen darf, der ich darüber wache, dass auch alles zusammenbleibt. Ich finde endlich unsere Zettel, die Urlaubsberechtigungsscheine, unter Kennern auch „Wautschers“ genannt, und zeige sie der kleinen, roten Frau. Hier ist ja schließlich unser Name klar und deutlich in Druckschrift zu lesen. Hier kann man sehen, wer wir sind, was wir eigentlich hier wollen, wohin, wie lange und warum, und so.
Sie sieht die Wautschers interessiert an, blättert wichtig darin herum und löst dann das Rätsel um unseren Namen ganz einfach und in Sekundenschnelle mit einem freundlichen „NIPSI!“
Na, bitte, es geht doch.
Von mir aus!
Wir sind jetzt die Familie Nipsi aus Germany und freuen uns mächtig über unseren neuen Namen. Wir haben es geschafft. Wir sind durch! Endlich, endlich gilt jetzt auch für uns die befreiende Handbewegung zum Haltepunkt des Busses und ich trommele fröhlich, aber erschöpft meine kleine Familie Nipsi zusammen.
Die gesamte Mannschaft der anderen Getriebenen ist schon längst vollständig in einem silbernen Toyota-Kleinbus älteren Baujahrs versammelt, und vorwurfsvolle Blicke treffen die Familie Nipsi, die noch nicht mal ihren richtigen Namen kennt und damit den Beginn des ganzen Urlaubsvergnügens unfairerweise erheblich verzögert. Nur Herr Lotze-oder-so lächelt uns verständnisvoll an. Kann ja passieren. Er muss ein wenig seinen Kopf einziehen, denn der Bus ist nicht für mitteleuropäische Scheinriesen ausgelegt.
Ich lächele achselzuckend zurück und dann verteilen wir uns mit auf die restlichen engen Sitze. Ich komme neben einem schwitzenden, ganz dicken Menschen zu sitzen, der schon kaltlächelnd die Oberherrschaft über die Mittellehne gewonnen hat und auch nicht bereit ist, diese Macht zu teilen. Und ich bin zu schwach, um darum zu kämpfen.
Und so rattern wir in diesem stark klimatisierten, das heißt eigentlich kühlschrankmäßig tiefgefrosteten Toyota-Bus dahin. Alle zittern, Max niest, und wir alle hoffen, dass diese Tour nur sehr kurz sein wird.
Das wird sie aber nicht.
Die ersten beiden Aussteiger haben es richtig gut. Jedenfalls denken wir das zuerst, denn schon nach etwa fünf Minuten Fahrt wirft man das Pärchen aus Dresden an ihrem Hotel raus. „Lägünä Lötsch“, davon haben sie schon die ganze Zeit geschwärmt und sich kindlich darauf gefreut.
Es ist ein fünfstöckiger, furchterregender gelber Kasten direkt an der belebten Hauptstraße und in der Einflugschneise des Flughafens. Also sehr verkehrsgünstig gelegen, wie die bunten Urlaubsprospekte so was ja immer gerne anpreisen. Ich frage mich ängstlich, wer sich diesen verheißungsvollen Namen für den grauenhaften Siebziger-Jahre-Bunker ausdenken durfte – und wie er damit auch noch durchgekommen ist. Laguna Lodge. Sagenhaft.
Wir sind überglücklich, dass der Toyota uns noch nicht ausspuckt und wir weiterrattern dürfen und schnattern dafür auch gerne noch ein wenig länger. Als wir zurückblicken und die beiden armen Dresdner im erbarmungslosen Tropenregen inmitten ihrer zahlreichen, neuen, roten Hartschalenkoffer stehen sehen, tun sie uns unendlich leid.
Ich müsste dringend noch mal Ulli zurückrufen. Der verwählte Anruf von ihm hat mir doch zu denken gegeben. Irgendwas scheint da zu passieren im Sauerland. Riesensauerei, hat er gesagt. Aber ich komme jetzt nicht an das Handy dran, weil Steffi mich leicht säuerlich anlächelt. Aber immerhin lächelt sie schon wieder und das sollte man nicht aufs Spiel setzen.
Der Toyota pflügt sich seinen Weg durch Wasserlachen, die in etwa die Größe unserer heimischen Talsperren haben, und man denkt bei jeder neuen Stauanlage, dass der Wagen unweigerlich darin versinken müsse.
Ein paarmal gibt Max ein fassungsloses „Boah!“ ab, dann zittert er wieder. Der heutige Regenguss ist wohl keineswegs der erste oder gar einzige der Wintersaison auf dieser schönen Insel. Regen scheint hier wohl eher typisch zu sein. Wo kommt das ganze Wasser her? Was haben dieses Land und seine Menschen verbrochen, um so bestraft zu werden?
Der Fahrer vermindert zwar freundlicherweise ein wenig die Geschwindigkeit, wenn die Hütten der Ko-Samuianer zu dicht an der Straße und den Stauseen stehen, aber als dann nur noch Hütten dicht an der Straße stehen, da lässt es sich einfach nicht mehr vermeiden, dass auch schon mal die eine oder andere Hütte samt zunächst noch freundlich lächelnder Bewohner mit einer gewaltigen Fontäne schmutzig-brauner Regensuppe eingenässt wird. Auch einheimische Moped- und Rollerfahrer, die die riesigen Seen umsichtigerweise mit angezogenen Beinen vorsichtig durchschiffen, haben gegen unseren Fahrer keine Chance und werden erbarmungslos fontänisiert.
Land ohne Gnade.
Die Familie mit dem ewig plärrenden Blag ist jetzt endlich auch raus, als wir vor einer weiteren, überaus schäbigen Absteige anhalten, die uns allen das blanke Entsetzen ins Gesicht treibt. Den