Die schweren Jahre ab dreiunddreißig. Wiglaf Droste

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Die schweren Jahre ab dreiunddreißig - Wiglaf Droste

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durchaus schon etwas matter funkelte, als Omma Kotsch das wahrhaben wollte.

      Zum fünfzigsten Geburtstag meines Vaters hatte sie eine mehrschichtige Säuberungsstrategie ersonnen; ihr Plan sah vor, im Obergeschoss des Hauses, in das sich die jüngeren Besucher, allesamt Freunde meines Bruders, zurückgezogen hatten, zu beginnen, das Feld quasi von außen her aufzurollen und dann ins Zentrum des Feindes vorzustoßen. Gegen zweiundzwanzig Uhr erschien sie, zunächst unter dem Vorwand, nur mal nach dem rechten sehen zu wollen, Habt ihr auch alles? Noch paar Kläpschen vielleicht? in der oberen Etage, wo mein im übrigen komplett volljähriger Bruder und seine Besucher zwischen heftigem Alkoholgenuss und Monopoly-Spielen hin- und herpendelten. Nur knapp zwanzig Minuten später tauchte sie erneut auf, diesmal bereits mit einem Plastikeimer in der Hand, in den sie rigoros den Inhalt der Aschenbecher wie auch der Weingläser hineinfeuerte und barsch erklärte, jetzt müsse Schluss sein, wenn die Eltern das wüssten, dieser Radau immer, um elf Uhr hängt die Hose kalt am Bett!

      Mein Bruder, von diesem Frontalangriff völlig überrumpelt, ja übertölpelt, leistete zunächst keinerlei Gegenwehr, einer seiner Freunde allerdings konnte sich ein heftiges Grinsen nicht verkneifen. Er brauche hier gar nicht zu grienen, fuhr ihn meine Omma augenblicklich an, Was wollen Sie überhaupt hier, Sie feister, speckiger Kerl? Dem so Angeredeten verschlug es blitzartig die Sprache, meine Omma aber, von ihrem zweifachen Punktgewinn beflügelt, knottete, paukte und drosch nun völlig enthemmt auf die Monopoly-Truppe ein. Was haben Sie hier verloren? Sie sind doch schon durch alle Betten gegangen! mähte sie die Freundin meines Bruders nieder, und Lassen Sie das stehen. Sie sind hier nicht auf dem Sozialamt! riss sie einem weiteren Gast ein Schälchen Erdnüsse jäh aus den Fingern.

      Auch im Erdgeschoss hatte unterdessen der Nahkampf begonnen. Onkel Karlheinz, der allgemein »Doktor« genannt wurde, weil sein Vater während des Zweiten Weltkriegs als Trichinenbeschauer gearbeitet hatte, hatte sich nach dem zügigen Austrinken einer Flasche Korn erhoben und fragte, wie auf jeder Feier, mit gespielter Arglosigkeit: Kennt einer von euch den Taucher? Wie immer lautete auch an diesem Abend die scheinheilige Antwort: Den Taucher? Nee. Kennwanich, woraufhin Karlheinz in Positur schwankte, um eine unglaublich schmutzige Version der Schiller-Ballade von sich zu geben, soweit seine Trunkenheit dies überhaupt noch zuließ, und im folgenden ein Füllhorn heillosen Gestammels auf seine natürlich begeisterte Zuhörerschaft herunterzupeitschen.

      Der Plan meiner Omma trat mittlerweile in seine zweite Phase. Nach dem Blitzsieg im Obergeschoss näherte sie sich nun bedrohlich der zweiten Etage, in diese aber hatten sich, zum Zwecke des wechselseitig aneinander zu vollziehenden Geschlechterverkehrs, ein weiterer Onkel dieser an Onkeln und Tanten so überaus reichen Familie, Onkel Rolf, zweiter Schwiegersohn meiner Omma, sowie eine ebenfalls durchaus verheiratete Nachbarin, deren Ehemann sich im Erdgeschoss zielstrebig zutrank, zurückgezogen, was wiederum meinem Bruder nicht verborgen geblieben war. Dieser eilte nun, um das Schlimmste, das Auffliegen der außerehelichen Verschränkung, die im allgemeinen Gewühl bisher verborgen geblieben war, zu verhüten, in die mittlere Etage und hämmerte, meine Omma schon hinter sich wähnend, wie von Furien gehetzt, an die Tür des Gästezimmers, Macht euch nicht unglücklich! Macht euch nicht unglücklich!, sprang wieder zurück auf die Treppe, um meine Omma abzufangen, in Schach zu halten und unter fadenscheinigen Begründungen ein Stockwerk weiter zu schicken, jagte, nachdem dies trotz des geradezu notorischen, ja ins Medizinische schon lappenden Misstrauens der alten Frau erstaunlicherweise glückte, wieder zurück, mahnte und drangsalierte die Eingeriegelten zur sofortigen Aufgabe ihrer unseligen Unternehmung, was ihm schlussendlich sogar gelang, und riet dem mit strubbeligen Haaren unfroh und mürrisch in der Tür erscheinenden Paar dringend, es möge sich doch zunächst im Garten verstecken – ein ganz und gar widersinniger, wenn nicht sogar teuflischer Ratschlag, dem zumindest mein Onkel unverständlicherweise auch noch Folge leistete; er wurde in den frühen Morgenstunden in den dichten Tannen des Nachbargartens stehend und heiser Ist die Luft rein? wispernd angetroffen. Dass die Geschichte nicht herauskam, hatte er allein dem Umstand zu verdanken, dass seine Ehefrau sich derartig mit diversen Alkoholika vollgesogen hatte, dass sie unentwegt davon faselte, sie müsse das Robbenfleisch anbraten, Robbenfleisch für dreißig Polen, eine Behauptung, die ihr aber bei bestem Willen und stärkster Angetrunkenheit keiner der übrigen Gäste abnehmen wollte, so dass sie sich schließlich selbst in den Schlaf salbaderte und schnarchend zwischen zwei Verwandten minderen Grades einschlief.

      Im Zentrum des Geschehens war mittlerweile Onkel Erich beim Russlandfeldzug angelangt; hier aber verweigerte ihm die streng sozialdemokratisch orientierte und gesonnene Verwandt- und Besucherschaft kollektiv das Gehör. Das einzige, was du noch hochkriegst, ist der rechte Arm! johlte ohne jede familiäre Rücksicht seine Ehefrau, Tante Hilla, die es wissen musste, und brach in haltloses Geschepper und Gequietsche aus.

      Mein Bruder, jeglicher Rettungsaufgaben enthoben, war indessen in die Fänge des Geschäftsführers einer Küchenmöbelfabrik geraten – im Ostwestfälischen gibt es, nebenbei bemerkt, mehr Küchenmöbelhersteller als potentielle Käufer dafür, aber die Geheimnisse und spezifischen strukturellen Probleme dieser Branche können hier leider nicht weiter vertieft und erläutert werden –; jener Geschäftsführer nun quallte, im Furor und Feuer der in seinen aufgeblähten Leib hineingeworfenen Getränke auf meinen Bruder, einen eher unpolitisch vor sich hinlebenden Vertreter des laisser faire, des laisser passer ein, was er denn wolle, ja, was überhaupt alle wollten, Was wollt ihr eigentlich, ihr Linken? teufelte er, woraufhin mein Bruder sich augenblicklich hinter einem Glas verschanzte, wobei ihm sein Patenonkel Heinz heftig zur Seite sprang bzw. torkelte, er, der blöde Fabrikantenarsch (was im übrigen nicht einmal zutraf, handelte es sich doch nur um den Geschäftsführer), solle die Jugend zufriedenlassen, wobei er mit großer, schwungvoller Geste einmal ins Runde zeigte, obwohl dort keinerlei Vertreter irgendwie gearteter Juvenilität, sondern nur ein Trupp grau-erloschener Nachbarn auszumachen war, dies seien die Garanten der Zukunft, jawohl, plötzlich heftig schluchzend meinen Bruder umklammerte und Ihr seid die Garanten der Zukunft! jaulte, ein Satz, von dem er sich für den Rest des Abends nicht mehr trennen noch verabschieden wollte.

      Neben diesen einigen wenigen Ausfällen hielt sich der Rest der Gäste noch erstaunlich senkrecht, ja, es konnte durchaus von einer aufgelockerten, heiteren Partystimmung gesprochen werden; die ausgesprochen russische Atmosphäre weinender Männer, Selbstbezichtigungen usw. machte sich, zumindest zu diesem Zeitpunkt, allenfalls an den Randbereichen bemerkbar, aber nun, taktisch äußerst gewieft, brachte meine Omma den letzten Teil ihres Plans zur Ausführung. Auf dem Weg zum jetzt recht häufig frequentierten Bad nämlich lauerte sie den mehr oder weniger geschwächten, angeschlagenen Gästen auf, um ihnen mit Grabesmiene und -stimme mitzuteilen, meinem Vater gehe es sehr schlecht, ach, es iss was, es iss was, jammerte sie, er sei schwer krank, hinfällig und eigentlich so gut wie tot, habe aber natürlich das geplante

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