Die schweren Jahre ab dreiunddreißig. Wiglaf Droste

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Die schweren Jahre ab dreiunddreißig - Wiglaf Droste

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so, als hätte er unentwegt etwas Weiches, Zerdrücktes und Nachgiebiges auf den Stimmbändern, zwischen Zunge und Gaumen und im Rachenraum; tropfnass waren wir durch die Gegend gelaufen, hatten im Mint, einem Treff der lokalen anpassungswilligen Oberschülerschaft, Pool gespielt, ich war Paul Newman gewesen in The Hustler, Haie der Großstadt auf ostwestfälisch, wie mit der Pocket-Kamera fotografiert, aber egal, die Kugeln liefen und nichts konnte mich aufhalten, nicht der weinerlich aus den Lautsprechern quäkende Morrissey und nicht die Sticheleien von Müller und Steini, die rauchend herumstanden und bedächtig am Malzwhisky zippten und die jetzt, nach einem kurzen Abstecher zu Müller, der noch eine Flasche spanischen Brandy in die kommenden Stunden zu investieren sich bereitgefunden hatte, bei Kornfeld einliefen, um den Abend angemessen zu komplettieren, abzurunden, ihm gleichsam Würze, ja eine Geschichte einzuhauchen; gemeinsam berauschte man sich noch einmal am Erlebten, an Kieseritzkys Lesung aus dem Buch der Desaster am Nachmittag in der Alten Spinnerei im Rahmen einer Bielefelder Literaturoffensive – in Berlin sagt man Irrenoffensive – sich nennenden Kulturveranstaltung mit Kleinkindern, schlechter Musik und Hausmeister, mehr noch aber am anschließenden Essen im Syrtaki, einem Fressgriechen in der Bleichstraße, wo Kieseritzky Wachtel, eine einzelne Wachtel orderte und sie auf eine Weise verspeiste, die stark an seinen just noch vorgelesenen Satz »Cunnilingus ist wie Schafehüten: dunkle, einsame Arbeit« erinnerte; »Aaah, mein kleines Wachtelmädchen«, lächelte ächzend der zartgliedrige Mann, packte den gebratenen Hühnervogel bei den Beinstümpfchen und schlug das Gebiss mittlings, im Schritt quasi, hinein, doch Dichter sind so, sonderlich, etwas abseitig, aber im Grunde nett, man liest und hört das ja immer wieder und so eben auch hier; zum Wiedereintauchen ins Gewöhnliche folgte das schon erwähnte Billard, das Schwenken der Queues, das Herausfummeln von Fluppen aus zerknautschten Packungen, Anlecken und In-die-Mundwinkel-wandern-Lassen, das Zusammenkneifen der Lider, die kurze Konzentration vor dem Stoß, das sachte Klack-Klack der Kugeln, Rituale des Boden-unter-die-Füße-Kriegens allesamt, und jetzt, Bielefeld lag schon und pennte maßvoll-zufrieden, kam das Absacken, das Nachschmecken, das Interpretieren, die Analysis in Kornfelds Hütte, wo es endlich Musik gab, die diese Bezeichnung verdiente, Jello Biafra musste ran, Lard, »Hör dir das an«, stieß augenleuchtend Kornfeld hervor, »der Mann ist ein Gott«, und du-duff-du-duff- duff zuckte der Schenkel, hämmerte der Kopf auf und nieder, Schneidezähne gruben sich in die Unterlippe, »der Mann ist ein Gott, seit den Dead Kennedys zieht der das durch, der Mann ist sowas von gut...« – »... jaja, ich weiß schon, ein Gott«, fuhr ich Freund Kornfeld nun schneidend in die elegische Laberparade, »kannst du nicht endlich mal aufhören mit diesem verspießerten individualistischen Künstlerkrams, sieh den Mann doch mal in seinem soziokulturellen Kontext«, blaffte ich den einigermaßen verblüfften Gitarristen an, »diese Heldenverehrung ist doch sentimental und beliebig, du musst den Mann in seiner Funktion begreifen, das geht doch gar nicht gegen ihn, im Gegenteil, der Mann ist ja wichtig als Musiker und mit seinem Alternative Tentacles-Label, aber doch nicht, weil er genial ist, sondern wegen seiner Funktion!«, heulte ich nun beinahe schon auf den immer kopfschüttelnd-entgeisterter mich aus kalten Augen anstarrenden Kornfeld ein, »da iss was dran«, orakelte Müller mit vager Handbewegung in die Runde, »lass den Mann reden«, aber Kornfeld schenkte ihm keinerlei Beachtung, sondern sich einen Brandy ein und warf mir nur ein verächtliches »Du hast doch wohl total das Rad ab!« hin, griff zum abgestellten Glas, das sich aber bereits Steini gegriffen und einverleibt hatte, der begütigend auf Kornfeld einsprach, »Lass doch, er meint das doch gar nicht so, er meint das doch ganz anders«, was wiederum mich in höchste Enragiertheit – in solchen Angebervokabeln dachte und formulierte ich mittlerweile schon, so weit war es mit mir gekommen – versetzte, »Wohl!« schrie ich, »Genauso mein’ ich das und keinen Deut anders!«, »Na dann«, seufzte Steini, zuckte wie resigniert die Achseln und nahm erneut das von Kornfeld wiedergefüllte Glas, während der nur »Das Letzte, das Allerletzte!« geradezu ausspie, und immer noch wullackte Jello Biafras Musik, auf die schon lange keiner mehr hörte, außer Müller vielleicht, der mit pendelndem Kopf auf Kornfelds IKEA-Couch hockte, was aber evtl. auch als ein Zeichen seiner Unentschiedenheit und seines Vermittelnwollens gedeutet werden konnte, geschenkt, ich war nun nicht mehr zu bremsen, ich war der Spex-Mann, ich hatte sie drauf, die Termini des Wichtigwichtig, die Diktion des Hipsters, die Code- und Passwords des Dabeiseins, »Haha«, funkelte ich Kornfeld jetzt geradezu dämonisch an und stieß ihn zur Seite, eilte an sein riesiges Plattenregal und schaute ihm beckmesserisch ins Auge, »und wo sehe ich hier die Musik des Ghettos, häh? Na, wo? Kein HipHop? Und wo ist der Reggae?«, begann ich die Platten aus den Ständern zu zerren und hinter mich zu schleudern, gierend nach Negermusik, ich, Diedrich Diederichsen, D.D. bzw. Dee Dee, das Crossover aus Quintenzirkel und Sozialkundeleistungskurs, der Guru der hornbrillentragenden bürgerlichen Jugend, der Klassensprecher auf Lebenszeit, ich war der Mann, der mit Buddha persönlich frühstücken ging, täglich, haha, und ich hatte einen stream of consciousness, mein Gott, hatte ich einen stream of consciousness, »Rastaman Vibration, ah ah positive« röhrte ich, händeflirrend und hüft (»hip!«)-schwingend, mit geschlossenen Augen mich wiegend, »de angrieh man is an angrieh man« jodelnd, zeitweilig ein schrilles »Hippieesk! Hippieesk!« oder auch bloß »positive vibration« einflechtend, unterlegt von Jello Biafra, guttural auf Kornfeld ein; der wandte sich schaudernd ab, griff zum x-ten Male zum natürlich von Steini stoisch bereits in sich versenkten Schnaps, während Müller, ganz gegen seine Gewohnheit, sehr entschieden in eine durch das Ende der Platte entstehende Pause fest, ja wie gegossen hineinsprach: »Reggae ist, neben Blasmusik und Rassentrennung, das Widerlichste, das die Menschheit je ersann«, und ich schrie, das sei jetzt kein »Dissing« mehr, sondern zum »Raven«, jawohl, und das tat ich dann auch, konvulsivisch, ekstatisch und ruckzuckend, in einem Schwall aus heißen sauren Bröckchen direkt auf Kornfelds bedauerlicherweise auch noch von seiner Mutter handgeknüpften Teppich, und das nahm mir irgendwie meine gute, meine souveräne Position, regelrecht schlapp machte ich, Kornfeld führte mich dann zur Taxe und meinte, er nähme es mir »nicht krumm«; ich war viel zu apathisch, um ihm zu widersprechen, auf dem Weg musste der Fahrer zweimal halten, die Diederichsen-Reste wollten nicht drinbleiben und schwappten in den Straßengraben, und zu Hause, in meinem alten Jugendzimmer, blätterte ich, es ging mir schon wieder gut genug dazu, in älteren Spex-Nummern:

      »Gleich draußen vor den ratternden, expressionistischen Straßenbahnen in der rachitischen, ruinösen rheinischen Nacht«, oh Gott, das hatte ich geschrieben, ich, Diedrich Diederichsen, und ich fragte mich, wieso dann nicht gleich »rachitischen, ruinösen rheinischen Racht?«, stöhnend las ich weiter, »schlage ich die Kapuze über Kopf und Kragen zusammen ...« und es dämmene mir, dass, wenn’s Kapüzchen und der Kragen / überm Kopf zusammenschlagen und – pfffhhhh – heiße Luft entweicht, das nicht am Kragen liegt und nicht an der Kapuze, und leer und getröstet schlief ich endlich ein und hielt den Rand eine ganze, ganze Nacht lang.

      1991

       Johnny Thunders u.a.

      SAMSTAG, 27.4.1991, KOLLEGE WILLEN ruft an, ob ich schon gehört hätte, Johnny Thunders ist tot, ich sage nee, hätt’ ich noch nicht. Mir fällt das 88er Konzert im Berliner Loft ein, Thunders völlig fertig, kann kaum stehen vor heroinbedingter Abgewracktheit, neben mir zwei auf Hardcore getrimmte Fischgesichter, »»Mann ey, vielleicht kratzt er heute ab, ey«, oh ja, und dann wären sie live dabeigewesen und könnten ihrer miesen Existenz einen Schuss Maggi-Würze geben; dieselbe Sorte trieb es im selben Jahr in die Konzerte von Chet Baker im Quasimodo, Jazzfettsäcke, die darauf warteten, dass der ausgemergelte Mann vor ihren Augen authentisch und dekorativ zusammenbräche; dasselbe, ebenfalls 1988, bei den Geburtstagsauftritten von Wolfgang Neuss in der UFA-Fabrik, ausverkauft, Gerangel und Gemotze an der Kasse, »ach Scheiße, der krepiert eh bald, dann kann ich’s mir auf Video ankucken«,«, und er krepierte dann ja auch termingerecht für den Videoten nur ein halbes Jahr später; und noch mal, im selben Jahr 1988 in derselben UFA-Fabrik, ein Auftritt der Drei Tornados, 45° Celsius auf der Bühne, Tornado Klotzbach kippt um, Herzinfarkt, wird hinter die Bühne geschleppt, in die Garderobe, ein Arzt aus dem Publikum behandelt ihn notdürftig, und nur knapp zehn Minuten später

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