Die schweren Jahre ab dreiunddreißig. Wiglaf Droste

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Die schweren Jahre ab dreiunddreißig - Wiglaf Droste

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Deutscher zu sein, totgeschlagen, verbrannt o.ä. ums Leben gebracht, also das Opfer eines Mordes wird, gilt den hiesigen Landsleuten nicht in erster Linie als solches; nicht von Mord – der entsprechend zu ahnden wäre – ist die Rede, sondern von einem Anschlag auf das deutsche Volk und sein Image im Ausland. Soviel Kaltschnäuzigkeit muss man erstmal besitzen. Der Zweck der Lichterketten ist eben nicht ein antirassistischer, sondern ein rein kosmetischer: Die Politur des Deutschland-Bildes fürs Ausland.

      Auch kritische Patrioten sind in erster Linie Patrioten. Die Lichterkette gibt auch jenen, die das Grüßen mit erhobener Rechter abstößt, Gelegenheit zum Anschluss ans bzw. Einstieg ins Vaterland; man ist dagegen gewesen und hat doch mitgemacht, man trat auf der Stelle und lief doch mit: In den 70ern hätte man so etwas »die Dialektik des kritischen Opportunismus unter besonderer Berücksichtigung der lange schmerzhaft unterdrückten Vaterländerei« genannt. Oder jedenfalls doch so ähnlich.

      Es ist – politisch, ästhetisch (und von mir aus: moralisch) – nun einmal nicht ganz wurscht, mit wem man in einer Reihe steht. Bei einer Lichterkette z.B. mit den bereits o.g. Sängern Niedecken, Westernhagen, Lindenberg, Maffay, die für eine Anzeige des Bundesinnenministeriums mit der Parole Helfen statt Hauen zur Verfügung standen, mithin also die für das den Namen nicht mehr verdienende Asylrecht Verantwortlichen stützten, kritisch natürlich; z.B. mit Edzard Reuter u.a. exponierten Vertretern der deutschen Industrie, die in großen Anzeigen die Logik des Konzentrationslagers als Humanismus verhökern: Ausländer, die gute Arbeit geleistet haben oder leisten, dürfen bleiben, evtl. sogar am Leben; z.B. mit Karl Moik, dem Fleischsack vom Musikantenstadel, der demnächst Asylantenstadel heißen könnte, mit Verlosung eines abschiebesicheren Zellenplatzes und dem neuen Hit der Wildecker Herzbuben: »Kerzilein, oh oh oh Kerzilein, du darfst nicht traurig sein, es war doch nur der Wein, ich schlug ein paar Schädel ein ...«; auch Moik plädiert ja via TV-Spot für »friedliches Nebeneinander« o.ä. nichtssagenden, nichts verhindernden Krempel. Insgesamt wird der Lichterkettengänger feststellen, dass er Teil einer gigantischen Volksbewegung, -gemeinschaft und -genossenschaft ist, die angeblich ausschließlich höchst integre Ziele verfolgt; seltsam ist nur, dass die Zahl der Übergriffe auf Ausländer trotz aller gutvölkischen Mobilmachung nicht sinkt.

      Das Wort vom »hässlichen Deutschen« kann man bitte streichen. Die Avon-Beraterin richtet gegen Nazis nichts aus. Der Wunsch, sich als »anderer, besserer, anständiger Deutscher« zu präsentieren, ist nicht nur Ausdruck des – s.o. – kritischen Patriotismus, sondern in seiner Selbstbezogenheit, in seiner prahlerischen Sensibilität allein für sich selbst extrem widerwärtig; am liebsten ließen sich die guten Deutschen am offenen Grab von Angehörigen Ermordeter die Absolution erteilen: Nein, du bist nicht schuld, du bist gut usw.

      Auch das Zentralorgan der flotten Faschisten, die Junge Freiheit, singt in seiner Ausgabe vom Februar 1993 ein Loblied auf die Lichterkette. In Magdeburg fand am 16.1.1993 ein illuminierter Aufmarsch statt – am 48. Jahrestag des »Terrorangriffs anglo-amerikanischer Luftstreitkräfte«. 50.000 Friedensfreunde wollten sicherstellen, »nie wieder« vom Faschismus befreit werden zu müssen. So leicht kann das gehen bei einer derart rund umkompatiblen, beliebig für jedes Ziel verwendund verwertbaren Form wie der Lichterkette.

      Reichlich wird gewütet gegen den staatlich sanktionierten Antifaschismus der DDR. Und so erstarrt, ritualisiert, phrasenhaft und pathetisch dieser als »verordnet« denunzierte Antifaschismus partiell auch war, so war er vor allem anderen jedoch eins: eine Lebensversicherung für die im Land lebenden Ausländer und Juden, die sich jetzt mit dem nichtverordneten Antifaschismus des Herrn di Lorenzo bescheiden müssen, der zwar irre phantasievoll, aber auch irre wirkungslos ist; es könnte sich erweisen, dass die angepriesene »Ermutigung« via Lichterkette den einen oder anderen Ermutigten das Leben kostet. Bürgersfrauen und -männer, die ihrem Staatsoberhaupt (wichtig: Mann mit Vergangenheit) nahe sein wollten, taten das in den 80er Jahren, indem sie mit Karl Carstens singend durch den deutschen Wald eierten. Heute sind die fortschrittlicheren VolksgenossInnen (hier stimmt das I) mit Richard von Weizsäcker in Sachen Lichterkette unterwegs und denken sich buchstäblich nichts dabei; die Carstens-NS-Wanderer waren vergleichsweise erträglich, weil sie nicht ständig von sich reden machten, was für tollklasse spitzenhumanistisch gesonnene Eins a Top- Mitmenschen und alles sie doch wären.

      Wer sich mit der Selbstverständlichkeit, dass er das Anzünden und Totschlagen von fremden Menschen scheußlich findet, im Brustton des eigenen notorischen Gutseins auf die Straße stellt, muss jedes Gespür für Peinlichkeit verloren haben. »Ich bremse auch für Ausländer!« rufen und stolz drauf sein, geht einfach nicht.

      Wem all das nicht reicht, der sei mit Reinhard Mey gestraft: Was ich noch zu sagen hätte / dauert eine Lichterkette / und ein letztes Fass im Stehn.

      1993

       Zur Dialektik von Vatermutterkind

       Ein dringend erforderlicher Einwurf, geschrieben in schwerer Zeit

      EINERSEITS IST GERADE DIE JUNGE, moderne, aufgeschlossene, ja aufgeklärte, bewusste, politisch um Himmels Willen keineswegs desinteressierte, undressierte und feministisch vollfrisierte Frau von heute zum Verzicht aufs Jungekriegen nun nicht länger bereit, sondern im Gegenteil zum Werfen, Gebären, Sichvermehren und Abmuttern wüst und wild entschlossen, so dass eine Fortsetzung von Kevin Costners »Robin Hood« unter dem Titel »Motherhood« wohl unabwendbar ins Haus steht;

      andererseits fantert und gackert gerade diese Klientel über kein anderes Thema so gleichermaßen aufgekratzt wie ahnungslos durcheinander wie über das Modesujet der Saison 1992/93, Kindesmissbrauch. Denn über nichts lässt sich in entsprechenden Kränzchen und Runden, bzw. wenn der Fahrstuhl steckenbleibt, prickelnder und raumgreifender sprechen als über, so heißt das einschlägig, die diesbezüglichen eigenen »Erinnerungen und Nicht-Erinnerungen«, wobei noch zu klären wäre, was enervierender ist: das Sich-Brüsten mit tatsächlich Erlittenem, das Sich-Ergehen in permanenter Opfer-Gestik und -Rhetorik oder aber das Kramen in Nicht-Erinnerungen, das Zutagefördern erfundener Schrecken, um im Zuge der allgemeinen Wichtigmacherei nicht abseits stehen zu müssen;

      drittens aber – auf These und Antithese folgt stets und zwingend die Prothese – hat die klassische Kleinfamilie als Organisationsform zur Sicherung des Populationsbestandes quasi ausgedient und verspielt, und das kleine Glück ist gleichermaßen fragil wie fragwürdig geworden, leicht geht alles in die Dutten und groß sind dann Ach und Krach;

      und so kommt viertens und schlussendlich den jungen, frischgebackenen Vätern die schwere Aufgabe zu, sorgengepeitschte Mütter zu entlasten, beruhigend auf sie einzuwirken, ihnen mit Hilfe von vertrauensbildenden Maßnahmen die Angst, wenn nicht sogar die Ängste zu nehmen; denn wer Angst sagt, muss auch Ängste sagen, Angst vor der Zukunft z.B., oder, mit Björn gesprochen: »ein Stück weit Ängste vor den Zukünften«. In Zeiten allerdings, wo Woody Allen, der es wagte, ein Verhältnis mit einer zwar jungen, aber komplett volljährigen Frau zu haben, dennoch aber weiterhin seine kleine Tochter dann und wann auf dem Knie zu schaukeln, sie auf den Schoß zu nehmen u. dergl. und dafür in Emma von Alice Schwarzer zum Kinderficker deklariert wurde, als Verkörperung des Bösen schlechthin gilt – klar, Frau Schwarzer: Mann, Intellektueller, Komiker und auch noch Jude, das kann einfach nicht gutgehn –, in all dieser wirren Verzwacktheit aus Mutterschaft, bösen Onkels – nein, nicht auch noch die Nazi-Rocker mit ins allgemeine Gereiher hineingerührt, die sind hier nicht gemeint – und sog. »neuen Vätern« ist die Latte für den männlichen Erziehungsberechtigten hoch, sehr hoch gehängt, und unter den gleichsam hoffnungsvollen, wiewohl misstrauisch strengen Augen der Mütter kann es leicht zu einem folgenschweren Schnitzer kommen.

      Ein Beispiel? – Nur zu gern: Kürzlich hatte ich Gelegenheit, Herrn Worgitzky, einem Kollegen und Neu-Vater, beim Wickeln seiner vier Wochen zuvor

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