Die schweren Jahre ab dreiunddreißig. Wiglaf Droste

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Die schweren Jahre ab dreiunddreißig - Wiglaf Droste

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dem Eintrittspreis – all das von Menschen, die sich als links, underground und sonstwie prima begreifen und immer bereit sind, für die gute Sache ihre Unterschrift zu geben.

      Johnny Thunders hat den Voyeuren ein Schnippchen geschlagen und ist, wie vor ihm Chet Baker und Wolfgang Neuss, standesgemäß allein abgetreten. Holger Klotzbach ist wieder sehr lebendig, da haben die Aasfresser Pech gehabt, aber Nikki Sudden soll es sehr schlecht gehen.

      Und die, denen einer fehlt, weil Johnny Thunders nicht mehr da ist, setzen sich in eine Ecke, legen »Checkin out in your last Hotel« von Herman Brood oder »»So alone« von Thunders auf und sind dann: allein. Und traurig. Und halten den Rand.

      1991

       Wie ich einmal Scorpions-Sänger Klaus Meine war

      ICH WAR NIE KATHOLISCH, aber ich muss etwas beichten. Es war Sonntag, der 25. August 1991. Mit den Freunden und Kollegen Goldt und Weimer hatte ich in der Hamburger Kowalski-Redaktion bis zur Ausjemerjeltheit jeschuftet (»Mulde« machen), gegen drei Uhr früh hatten wir – Feierabend!!! – ein Lokal aufgesucht und zügig diverse durstlöschende Biere getrunken, woraufhin Herr Goldt auf dem Tisch herumkrabbelte und sich auch sonst eher zoologisch benahm, bis Herr Weimer und ich ihn nach guter alter Vater-Mutter-Art ins Alternativhotelbettchen verklappten, und dann waren Herr Weimer und ich noch in eine Normalokneipe Beim Grünen Jäger eingekehrt, fünf, halb sechs war es mittlerweile, außer Holsten gab es eine Musiktruhe, in die stopfte ich ca. 27 Mark hinein oder vielleicht auch 270 und drückte 300 oder 30.000 mal im Wechsel den »Shoop Shoop Song« von Cher – »If you wanna know if he loves you so it’s in his kiss – that’s where it is« –, so wunderbar wie wahr, und, nicht leicht geht es mir über die schamzerbissene Lippe, »Wind of Change« von den Scorpions. Noch nicht einmal die Ausrede, ich hätte nur die anderen Gäste, die Idioten, ärgern wollen, kann ich anführen – außer dem Wirt, Marcus Weimer und mir war niemand da, nein, einfach so, ohne Not, ohne Androhung von Folter o. dergl. drückte ich etwa 3.000.000 mal die Hymne der Greise jeden Alters, das Lied, das so platt ist, wie man die Scorpions dafür hauen müsste, »where the children of tomorrow share their dreams ...« jaulte ich, es war schrecklich, eine Mixtur aus Faszination und Ekel, ja, ich gestehe: Ich sang die definitive Arschkriecher-Ballade, ich war Klaus Meine, der windelweichste Mensch der Welt noch vor Gorbatschow.

      1991

       In der Nachbarschaft

      VORMITTAGS GEGEN ELF BETRITT MAN das Postamt in der Skalitzer Straße. Im Eingang kauert wie an jedem Vormittag ein junger Mann von vielleicht 25 Jahren. »Kleingeld?« ächzt er; sein Gesicht ist voll pfennigstückgroßer, offener, nässender Wunden. Zwei große Hunde liegen bei ihm, und so muss der junge Mann den Lebensunterhalt für drei zusammenbetteln. Ist das klug von ihm? Oder folgt er nur dem Gesetz, das besagt: Je größer das persönliche Elend, desto höher die Anzahl der Haustiere, die man daran zu beteiligen hat?

      Zum Köter jedenfalls hat der Kreuzberger Lumpenproletarier dasselbe schmierig-sentimentale Verhältnis wie der Normalspießer, der seinen fetten Dackel, Wanst übern Trottoir, hinter sich herschleift: tierlieb wie einst der Führer sind sie beide.

      Über viele Zerstörte steigt man hinweg beim Rundgang durch die Nachbarschaft, und wenn auch klipp und klar ist, dass man auf der Seite der Marginalisierten steht und, auch wenn sie nerven, nicht gegen, sondern für sie Partei ergreift, so wäre es doch manchmal hilfreich, wenn man sie dabei nicht hören, sehen und riechen müsste. Patrick Süskind und Christian Dior jedenfalls könnten aus dem Bezirk Kreuzberg zwei Spitzenparfums destillieren: Iltîs und Alcôl.

      Die Nachbarschaft ist aufgegebenes Gebiet mit aufgegebenen Menschen darin. Kiez haben vor »Erfahrungshunger« (Salman Rutschky) strotzende, sich selbst für links, fortschrittlich, alternativ und gut drauf sowieso haltende Leute solche Quartiere immer wieder genannt, Kiez, das klingt nach dem ganz echten wahren Leben, das ist Zille oder eben auch bloß Zwille sein Milljöh, hier kann man vergessen, dass man aus Schwäbisch Hall stammt, und sog. Lebensgefühl, gern auch Authentizität genannt, abgreifen von Leuten, die das selbst nie so nennen würden, und wenn man den kleinen Erfahrungshunger zwischendurch gestillt hat, kann man weiterziehen und in anderen Stadtteilen den ganz und gar unurbanen Ringelkiez mit Anfassen spielen.

      Die Dagebliebenen strunkeln fatalistisch weiter, Bierbüchse in der Hand, autistisch von der Straßenecke aus die Welt kommentierend. Gern liegt Erbrochenes herum in der Nachbarschaft, Einwegspritzen sowieso. Und doch gibt es Tünsel, die raunen inmitten von Junkies und Leuten, die auf offener Straße einen ganzen Pansen an ihre drei stinkenden Riesentölen verfüttern, noch immer mythisch-mystisch von Kreuzberg!, verkleiden sich stundenlang und aufwendig vorm Spiegel als autonom, was ja eigentlich ein schönes Wort ist: unabhängig; geradezu zwanghaft wird der Kopf umfunktioniert zum Ständer für eine Demm dirty Fatlocks, ah!-Frisur, ein paar dekorative Risse in Hose und Jacke, einen Lappen um den Schädel gewickelt, und fertig ist der »Mensch in der Revolte« (Camus). In kleinen Schrebergärten kann man dann simulieren, was zu sein man sich woanders nicht traut, kann per Dekret eine Fläche von z.B. 40 Quadratmetern zur patriarchatsfreien Zone o.ä. erklären und diese frisch erklommene erschwindelte Höhe dann bis aufs Blut verteidigen. Mit Ku-Klux-Clean-Gesinnung kann man verfügen, dass die Gesetze der Welt auf meine persönliche Straße keinerlei Anwendung finden, und am Halleschen Tor endet der Horizont.

      Wer aber nicht berufsmäßig in der Nachbarschaft wohnt, muss mehr sehen und mehr ertragen. In der U-Bahn gibt sich die Kaskade der Schnorrer die Klinke in die Hand. »Ich heiße Horst und bin HIV-positiv«, mümmelt einer, den Blick gesenkt; kaum hat er seinen Vers aufgesagt und seine Münzen eingesammelt, betritt ein neuer Kunde den Waggon: »Hallo! Ich bin der Klaus und obdachlos!« geht er seinen Job auf die forsche Tour an; groß ist die Komik der Situation und entsprechend das Gelächter, jener »Klaus« aber hat seinen Vorgänger nicht mitgekriegt und reagiert sauer: »Hey! Das ist nicht lustig! Aber ich hasse es zu betteln, und deshalb singe ich euch ein Lied. Ich habe es in meiner Muttersprache geschrieben. My mother was a gipsy, my father was a gigolo«, beginnt er jetzt mit starkem deutschen Akzent und in schneidendem Diskant zu schreien, »now she’s a famous doctor« geht es weiter, und an der nächsten Station wird er von einem Puppenspieler abgelöst. Schön wäre es, wenn all diese Kameraden gegen viel Geld im Cabaret Wintergarten aufträten, wo André Heller und Bernhard Paul mit der von ihnen ständig beschworenen »Phantasie, Magie und Poesie« das machen, was Hitler und Stalin mit Polen gemacht haben.

      Nach einer kleineren Reise endlich am Flughafen Tegel angekommen, kann man sich amüsieren, indem man ankommende Inlandsmaschinen abpasst und die Passagiere betrachtet: identische Männer mit identischen gestreiften Hemden, identischen dunklen Anzügen, identischen Aktenkoffern und identischem Gesichtsausdruck; ob sie alle aus ein und demselben Reagenzglas stammen? Häufig werden diese Irrläufer der Evolution von Frauen abgeholt, die ihrerseits wieder einen identischen Eindruck machen. Oft schon habe ich mich gewundert, wie diese Menschen einander überhaupt erkennen, wie also immer das jeweils zusammengehörende Paar auch zusammenfindet. Selbst langes Grübeln blieb fruchtlos, bis die Erkenntnis blitzartig kam: Nein! Sie erkennen und finden sich gar nicht. Es nimmt einfach jede Frau irgendeinen dieser Männer mit nach Hause, ein Unterschied ist weder für sie noch für ihn feststellbar, die Verständigung klappt problemlos, die Codes sind identisch, die Bedürfnisse auch, und auch Geschlechtsverkehr, Wochenende und, Angestelltenvokabel Nr. 1, Jahresurlaub laufen reibungslos ab, egal, wer am Flughafen wen erwischt hat, funktioniert garantiert und überall, in Berlin, Frankfurt, München oder Düsseldorf.

      In Düsseldorf, wo ich 1987 drei Monate lang

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