Die schweren Jahre ab dreiunddreißig. Wiglaf Droste

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Die schweren Jahre ab dreiunddreißig - Wiglaf Droste

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von der Firma Frenzel das Konferenzzimmer und heckten gemeinsam mit uns Werbestrategen eine Kampagne aus. Einer der drei Sauerkonservenmogule brachte die Sache auf den Punkt: »Das ist doch unsere Frage: Wie ist die Gurke? Ist sie fein? Ist sie herb?«

      Wie ist die Gurke? Ich habe nie aufgehört, mich das zu fragen.

      1992

       Klartext von Klarname Meyer

       Till Meyer war Stasi-Mitarbeiter Na und?

      WIE BITTER FÜR DIE TAZ-KOLLEGEN: Da hat man die Stasi im Haus gehabt, und die zeigte sich desinteressiert. Ließ einen quasi rechts liegen, schnüffelte, spitzelte und denunzierte nicht und forschte nichts aus, weil – jeder (Ex-)tazler weiß das – es in der taz nichts Unerforschtes gibt. Durch Till Meyers Selbstenttarnung via Spiegel-TV jetzt die eigene Bedeutungs- und Harmlosigkeit noch mal aufs Brot gelegt zu bekommen, tut weh, und entsprechend groß ist das Geschrei. Gewohnt betroffen wird von der »Natter am Busen«, von Undankbarkeit und Verrat geweint, wo man doch selbst so gütig war, dem Ex-Terroristen »eine Resozialisierungschance« einzuräumen - ach ja, Undank ist der Welten Lohn, buhuhu.

      Ärger noch aber als die bloße Tatsache der Stasi-Mitarbeit kommt die chronisch Tiefbestürzten Till Meyers Haltung an: Einfach und klar, ohne sich zu winden, ohne Selbstmitleid steht er da: »Non, je ne regrette rien!« Warum auch: Till Meyer ist kein Spitzel und kein Denunziant wie zum Beispiel Anderson, der Dreigroschendichter, oder Wollenberger, der mit der Wanze im Schwanze in seine Frau hineinhorchte. Meyers Weigerung, jetzt auf dem Bauch liegend um Verständnis und Gnade zu winseln, wird ihm als »Stalinismus«, »Beton im Kopf« und so weiter ausgelegt von Leuten, die jahrelang ihre politischen Jugendsünden mit verbohrtem Hass auf die DDR abgearbeitet haben, um doch noch im Schoße beziehungsweise Arsche der Gesellschaft anzukommen – »je suis arrivé, hehe!«

      Menschen ohne Würde und ohne Stolz präsentieren sich derzeit täglich, zeigen mit dem erigierten Finger auf sich selbst und ihre ehemaligen Mitstreiter, behaupten, von nichts gewusst zu haben oder zur Stasi-Mitarbeit gezwungen worden zu sein, ein halbes Volks betreibt kollektiv die Vernichtung der eigenen (politischen) Biographie und macht sich, als Folge dieses erbärmlichen Vorgangs, zur blinden Manövriermasse: gebrochene Figuren, mit denen man machen kann, was man will.

      Auf den Stühlen der Päpstlichkeit nehmen schlechte Schriftsteller wie Jürgen Fuchs die Beichten ab; Bärbel Bohley, die so malen kann wie Stephan Krawczyk singen, betreibt die Talkshow als Existenzform, und Wolf Biermann, der politisch in der Nähe jeder Fernsehkamera steht, macht für den Spiegel Klamauk im Hause Gauck und ernennt sich dreimal täglich zum Heine von heute.

      In dem Schleim aus Christlichkeit, Schuld und Sühne und medialer Wichtigtuerei wirkt Till Meyers klares Bekenntnis zur Stasi befreiend – es hätte für meinen Geschmack ruhig noch eine Nummer selbstbewusster ausfallen können.

      1992

       Komm, Erster Mai!

       Jährliche Rede zum Tag der Arbeit

      »HERAUS ZUM 1. MAI!« heißt eine alte Parole, die der Anarchist Fritz Teufel vor einigen Jahren aus der Gefängniszelle heraus so kommentierte: »Mir ist auch jeder andere Termin recht.« Dem kann ich nur zustimmen: Das Jahr hat 365 Tage, da muss nicht alles an diesem einen wegerledigt werden. Man kann es ruhig angehen lassen am Ersten Mai; es ist ein schöner Tag zum Schlachtenbummeln. Leicht aufgepeitscht von sog. »Frühlingsgefühlen« – die Vögel, die Bienen und alles, jaja – stromert und strolcht man durch die Straßen und setzt sich den Vibrationen seiner Mitmenschen aus, wird mit den Augen vernascht und vernascht zurück, in der Luft knistert eine allgemeine, sehr freundliche Geilheit, man pimpert mit Blicken und in Gedanken, aber auch in Worten und Werken, nimmt seine Süße, einmal her und einmal hin, und spielt ein schönes Spiel. Es heißt »Zusammenlegung jetzt!« Oh ja, so soll das sein, und kann man den Kampftag der Arbeiterklasse angemessener ehren als so?

      Natürlich kann man sich auch ernsthafter amüsieren gehen und z.B. bei einer Demonstration des DGB mitmarschieren. Denn so unsympathisch einem Gewerkschaftsfunktionäre, die Phänotypen von Korruptheit und geistiger Fettarschigkeit, auch sein mögen: Gewerkschaften sind, salopp gesagt, ganz ganz prima und können gar nicht stark genug sein. Denn ginge es nach denen, die idiotischer- und perfiderweise »Arbeitgeber« genannt werden – obwohl sie ja Arbeitnehmer sind, denn sie nehmen die Arbeit von denen, die ihre Arbeit und Arbeitskraft geben, die also die wahren Arbeitgeber sind, und sie bezahlen sie immer zu schlecht –, ginge es also nach der Nase der »Arbeitgeber« sich nennenden Arbeit-Nehmer, die Lohnabhängigen würden in Positionen von vor ca. 100 Jahren zurückgeboxt und hätten noch dankbar dafür zu sein. Denn das ist ja der Zweck, wenn man die, die ihre Arbeit geben, »Arbeitnehmer« nennt: ihnen das Bewusstsein, den Stolz, kurz: das Rückgrat zu brechen und sie auch noch zu verhöhnen. »Säg nicht am Ast, auf dem wir alle sitzen!« hebt die auf anderer Leute Knochen reich gewordene Bande noch den Moralfinger – als ob »wir alle« eine Fabrik besäßen (oder auch bloß eine besitzen wollten). Nein, den »sozialen Unfrieden« muss man nicht herbeireden, er ist da, er herrscht.

      Freunde eines verschärfteren Unterhaltungsprogramms werden am Ersten Mai in Kreuzberg gut versorgt: Dort findet die jährliche »letzte Schlacht« statt: Junge Helden in schwarz treffen auf Vertreter des »Schweinesystems« bzw., so will es der 1992er Jargon, »der imperialistischen Ausbeuter-Power« in waldgrün. Nicht, dass mir das Herz bräche, wenn Scheiben von Bankfilialen klirren, Schnapsläden niedergetrunken und Polizeiautos angezündet werden, aber muss man »die Weltrevolution« (darunter tun sie’s nicht) bei der Polizei anmelden und sie jedes Jahr am selben Tag und im selben Bezirk begehen? Anstatt sie immer wieder räumlich und zeitlich ein bisschen zu verlegen, damit das Spiel für die Aktiven auf beiden Seiten und für die Zuschauer spannend bleibt? (Ein kleiner Leckerbissen am Rande sind in jedem Jahr die Versuche des Kreuzberger alternativen Mittelstands, sozialarbeiterische Arschkriecherei als »Vernunft« auszugeben und sich schlichtend zwischen die Kontrahenten zu stellen. Bisher haben sie noch immer bekommen, was sie verdienen: tüchtig Haue von beiden Seiten.)

      Möglichkeiten, den Ersten Mai fröhlich und stimmungsvoll zu begehen, gibt es also reichlich. Mancher nimmt sich vielleicht auch nur still ein Winkelement und wedelt ein letztes Mal. Und drückt vor Rührung eine Träne ab, wg. »früher«.

      Ich wünsche alle Beteiligten an den Feierlichkeiten zum Ersten Mai den Spaß, den sie sich wünschen. Auf dass es ein eindrucksvoller Tag werde, eben einer von 365 im Jahr.

      1992

       Eiapopeia mit Negern

      HEISSA: WIR BEGEHEN DIE Woche des ausländischen Mitbürgers. Heißa und Hosianna: Wir bilden Menschenketten aus Ketten-, nein Quatsch!, aus Nervensägen. Wir haben nichts zu verlieren als unsere Menschenketten. Wir zünden Kerzen an, Lichtlein der Wärme und Liebe in einer kalten, kalten Welt. Wir nehmen uns bei den Händen und tanzen Ringelreihen: Seht her – wir fassen Ausländer an. Sogar ganz dunkle, sogar kohlenschwatte. Jaha. Sind wir nicht gut? Doch: Wir sind gut, Gutsein ist gut, alles wird jut, tut tut tut. Wir hauen – Bongo! Bongo! – auf das Fell von toten Tieren, arhythmisch, aber begeistert, in kuhäugiger Verzückung. Schramm schramm macht die Gitarre. Wir hampeln im Kreis und singen Lieder. Jesus macht auch mit bei uns. Das ist gut. Jetzt singen die ausländischen Mitbürger. Es sind Neger. Sie singen »Nggolloah hee, nggolli huu«, immer wieder, »Nggolloah hee, nggolli

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