Die schweren Jahre ab dreiunddreißig. Wiglaf Droste

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Die schweren Jahre ab dreiunddreißig - Wiglaf Droste

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Weiße Mann viel Scheiß in Kopp? Ja, genau das heißt es. Aber das wissen wir nicht. Wir singen nur ein schönes Lied für eine bessere Welt, in der ein Kind noch ein Rind sein darf, in der es Batterien nur für Taschenlampen, aber nicht für Hühner gibt, in der wir bedenkenlos die Milch glücklicher Schweine trinken können. Prost! Ein Toast auf uns und das Haus der Welt, an dem wir bauen: Aus Holz von gewaltlos gefällten Bäumen wird es sein und selbstverständlich nestwärmeisoliert. Und wenn es fertig ist, dann machen wir, die Schäfchen, ein kleines Schläfchen: mäh mäh, bzw. »Nggolloah hee, nggolli huu«.

      1993

       Vokabeltest

      »IHR HABT AUF HEUTE WÖRTER GELERNT!« – mit dieser ebenso drohenden wie unzutreffenden Behauptung betrat fünfmal die Woche Lateinlehrkraft Frl. Gebauer, eine kleine, zähe und energische Person mit viel Haar auf den Zähnen und einigem davon auf der Oberlippe, den Klassenraum. »Wörter gelernt«, d.h. Vokabeln gepaukt hatte man eben nicht, und so fürchtete man sich nicht wenig, denn ein Entkommen gab es selten oder nie: »Zehn Minuten Vokabeltest!« Und wenn auch die Segnungen bzw. Verwüstungen des Latinums lange verweht sind – die Vokabeltests, die vergeblichen Versuche, Kauderwelsch und wichtigtuerisches Gebrabbel in Sprache zu transponieren, haben seitdem nicht aufgehört.

      Nein, ich spreche hier nicht von Fachchinesisch oder vom oft gegeißelten Behördendeutsch. Aber haben Sie jemals versucht, eine Kommandoerklärung der RAF ins Deutsche zu übersetzen? Was sind Ihre geheimen Gedanken, wenn Sie Sportkommentatoren des Satans wie Heribert Fassbender oder Dieter Kürten Worte wie Nickligkeiten oder Standardsituationen raunzen hören? An was denken Sie bei Spielerfrauen? Sind Sie vielleicht selbst ein Gurtmuffel? Kaufen Sie im Schnäppchenmarkt? Oder bevorzugen Sie Restposten? Haben Sie eine Lebensgefährtin bzw. einen Lebensgefährten? Buchen Sie Ihren Resturlaub zum Schnupperpreis? Fühlen Sie sich wohl in der Okay-Gesellschaft? Und wie denken Sie über eine Ampelkoalition?

      Gleichermaßen wunder- wie qualvolle Gelegenheiten, den eigenen Wortschatz zu mehren, sind Wahlabende. Aus veritablen Sprech- und Sprengköpfen eimert es dann mit beneidenswert fröhlicher Dummheit heraus, man gibt sich dabei auch noch dezidiert, und das macht die Sache erst richtig schön. Am 24. Mai 1992, am Abend der Berliner Kommunalwahlen, saß ich, Ohren und Bleistift gespitzt, vorm TV-Apparat und ließ meinen Zoologischen Blick über Erscheinungen schweifen, deren Namen und Gesichtszüge man sich zum Glück nur selten merken kann. Auf und zu klappten die Münder, Berlin habe Brennglasfunktion, fiel aus einem heraus, der Rest der Bande nickte beflissen. Schade eigentlich, dachte ich, dass man Berlin nicht einfach wie eine Lupe nehmen, mit ihr den Rest des Landes in Brand stecken und sie hinterher, umweltgerecht natürlich, im nächsten Altglascontainer entsorgen kann!

      Allerhand Sonderbares gab es zu erfahren, ein sich vor die Kameras drängender Mensch von der CDU knarrte verdrießlich über den Erfolg der »Kommunisten im Ostteil der Stadt«, ach, dachte ich, da gibt’s noch welche, bis mir dann klar wurde, dass er bloß die PDS meinte, die Partei des Demokratischen Selbstmitleids. Ihr Abgesandter André Brie, eine Art Jesus Christus mit offenem Hemdkragen, wurde nicht müde, die ungerechte Behandlung seiner Partei durch die Konkurrenz und durch die Medien zu bejammern. Was hatte er denn gedacht? Nein, wer ans Grundgesetz glaubt wie an Bibel, Weihnachtsmann und Klapperstorch, der kriegt, was er dafür verdient: einen kräftigen Tritt und höhnisches Gelächter. Denn es gibt, zumal ästhetisch, etwas Schrecklicheres als die Henker, und das sind die Märtyrer.

      Rechtschaffen müde und schläfrig gelabert lag ich vor dem Fernsehkasten, da weckte mich noch einmal ein schönes Wort: Den Parteien mangele es an Bindungsfähigkeit, hieß es gleich mehrfach; eine kleine Gesundbeterei dafür, dass gerade noch gut jeder Zweite es für sinnvoll oder notwendig hält, sich an die Urne zu schleppen. Etwa die Hälfte der Insassen des Landes verzichtet auf die Wahl der Qual; Politik kostet sie ein müdes Arschrunzeln. Angesichts dieser Politikverdrossenheit, so lehrte mich das TV-Gerät, müsse die Politik wieder attraktiver werden. Genau: In der Sänfte will ich ins Wahllokal getragen werden, von den Kandidaten persönlich natürlich, die ich dabei nach Gutdünken herumkommandieren und beschimpfen darf! Jugendliche Erstwähler werden per Skateboard in die Wahlkabinen verbracht, für Feministinnen gibt es Urnen nur für Frauen, und alle Wählerinnen und Wähler erhalten herrliche Geschenke: Dampfbügeleisen, Werkzeugkasten, ein Pfund Butter, die Teilnahme an einer Verkaufsveranstaltung in den Hinterzimmern der Wahllokale ist möglich. Große Tombola!

      Weit entfernt rauschen die Lotterieergebnisse an mir vorbei. Ich liege in einer schattigen Ecke meiner Wohnung und warte, dass der Sommer vergeht – damit ich endlich wieder meinen Übergangsmantel tragen kann.

      1993

       Der Letzte macht die Lichterkette aus

       Abschließende Einlassung zu einer lästigen Angelegenheit

       »Oh wie trügerisch sind Menschenherzen: Ist kein Verstand da, nehmen sie Kerzen.«

       Kurt Ossietzky 1932

      »WAHR IST«, SCHREIBT GIOVANNI DI LORENZO im Spiegel vom 8.2.1993, »dass die Lichterkette gerade Ausländern und Juden, nicht nur in unserer Initiative, wieder Mut gemacht hat, in Deutschland zu leben.« Abgesehen mal von der Frage, ob den zitierten »Ausländern und Juden« damit ein besonders kluger Dienst erwiesen wurde, ist der Satz pure Selbstgefälligkeit – di Lorenzo gehört schließlich zu den Leuten, die die Lichterkette von München ausgeheckt haben. (Und demnächst rezensiert im selben Blatt André Heller sein jüngstes Bühnengehampel – wäre doch auch schön.)

      Aber nicht nur Jungschmock und Talkshowschöngeist di Lorenzo erhielt Gelegenheit, sich selbst öffentlich Spitzennoten für gutes Betragen auszustellen. Im Neuen Deutschland vom 30.l.1993 pries der Berliner Kabarettist Martin Buchholz die von ihm u.ä. Kunstgewerblern (Volker Ludwig, Reinhard Mey usw.) angezettelte sog. »Lichterspur« auf Seite Eins an. Buchholz, dessen kopfmäßige Beschaffenheit schon aus dem Titel seines jüngsten Programms – »Dumpfland Dumpfland (...) Ein viel zu aktuelles Pro- und Antigramm« – gut ersichtlich ist, rhabarberte von »Erhellung der germanischen Hirnfinsternis« und stilisierte seine weizsäckerkompatible Moral- statt-Verstand-Veranstaltung zum verschärften »Protest«. Und warum auch nicht? In Zeiten, wo alles mit allem verquarkt wird und die Insgesamtidiotie des Daseins in bislang so noch nicht gekanntem Ausmaße vor sich hinbrummt, da kann ein Kabarettist, ein Mitglied jener Berufsgruppe, die für ein Gutteil der öffentlich abgesonderten Flachpfeiferei und desgleichen für Gesinnungsabgreifertum, semi-humanoides Fortschritts- und Menschheitsgedussel u.ä. Pein und Qual und Ohrenzwang verantwortlich ist, nicht zurückstehen. Und hätte man es ausschließlich mit Figuren wie di Lorenzo, Buchholz, Weizsäcker und den ihnen assoziierten Starksängern W. Niedecken, M. Müller-Westernhagen, P. Maffay usw. sowie noch den Unterschriftgebern bei PR-Aktionen à la »Ich bin ein Ausländer« bzw. etwas später »Mein Freund ist Ausländer« – wie nun bitte? – zu schaffen, mit jener halbseidenen Mischpoke also, die die sog. »Prominenz« und die sog. »politische Klasse« stellt, man könnte achselzuckend seiner Wege gehen und die Bagage ihrem onanistischen Unfug überlassen.

      Kann man natürlich auch so. Für alle aber, die außer ihren Ohren und Augen noch weitere gute Gründe brauchen, um dem aus Friedenscamp und Mahnwache zwingend hervorgegangenen Tugut-Aktionismus von Lichterkette, -spur und -meer fernzubleiben, hier eine kleine Liste möglicher Einwände (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Schuhverkäufer (Schuhtick), Herrenausstatter (de Kalb), Werbehengste (Schirner), Buchhändler usw. schalten seit Monaten anstelle ihrer üblichen Geschäftsanzeigen vage, wachsweiche Appelle gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit; die Botschaft der Gesinnungsimpressarios

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