Die schweren Jahre ab dreiunddreißig. Wiglaf Droste

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Die schweren Jahre ab dreiunddreißig - Wiglaf Droste

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WAR HIER. IN BERLIN. Tempodrom. Total ausverkauft. Aber billig. Feiner Zug. Könnte mehr nehmen. Ist populär genug. Herbert hackt Sätze. Nuschelt. Klingt lustig. Auch irgendwie kaputt.

      LP heißt »Sprünge«. Was meint er? Große Sprünge? Bochum-Hollywood? Sprung in der Schüssel? Weiß nicht. Kann nichts sagen. Angst. Deutschland. Kindheit: Vater Pils. Mutter Putzen. Alles total kaputt.

      Herbert schmachtet. Balladen: »Gib mir den Schmerz zurück, ich brauch deine Liebe nicht.« Teenies toben. Tränen. Trauer. Wut.

      Amerika: Entsetzlich. Thema zwei. Unberechenbar. Überheblich. Noch schlimmer als Deutschland.

      Herbert ist klug. Mehr im Kopf als Publikum. Publikum ballt Faust. Ruft: »Buh«. Spendet Applaus.

      Band ist gut. Wuchtig. Schlagzeuglastig. Schwer. Trocken. Bisschen schwülstig. Herbert lacht. Schwitzt. Winkt. Freut sich. Gibt, was er hat. Hat den Jaul, nicht den Soul. Klingt leicht abgestochen. Aber voll da.

      Tanzen. Herbert kann nicht tanzen. Kein Rhythmus. Kein Körper. Sieht komisch aus. Krank. Hospitalistisch. Autistisch. Herbert hebt Zeigefinger. Ständig. Zeigt ins Publikum. Warum? Weiß nicht. Angst. Kann nichts mehr sagen. Aus.

      1989

       Gürtellinie, Dudenfrage

      WENN MAN, HÄNDE AUF DEM RÜCKEN, unsere schöne Kulturstadt abschreitet und inspiziert, kann es einem passieren, dass ein Mitmensch ohne geeignete Ventile die Straße entlanggerast kommt, armerudernd, beineschlenkernd und die Fäuste ins Leere kloppend, Ihr Schweine! Ihr Schweine! kreischend, schattentretend und zeternd, wahllos und ungezielt verblüffte Passanten anblökend, eine Gebetsmühle auf Beinen ohne hinreichendes Überdrussrepertoire.

      Woher soll es auch kommen? Die Hohe Kunst der tödlichen Beleidigung wird nicht gelehrt, und die Angebervokabel Streitkultur meint bloß das wohlfeile Kaffeekränzchengeschwätz des medialen Gewurschtels. Man trägt wieder Gürtellinie, am liebsten als Halskrause, ist von jeder Bagatelle erschüttert, findet jedwede Lebensäußerung unerträglich oder besser noch zynisch und menschenverachtend und ist grundsätzlich betroffen.

      Und zwar sturz. In Trauerarbeitslagern treffen sich neue Weinerlich- und alte Mitscherlichkeit zum Händeschütteln mit Kanzler und Krawczykeria, geeint im Von-allem-und-jedem-Beleidigtsein steht man am Tränenbottich.

      Wohlig erschauernd dagegen liest man im jeweiligen Gürtellinienblatt, was einen schon zu Lebzeiten in die Klassizität überführt. Die eigene popelige Existenz muss zur Jahrhundertchance gebläht werden, eine Nummer kleiner besteht permanenter Handlungsbedarf. Mit Imponier- und Spreizwörtern von Essential bis Profil werden Bedeutung, Größe und Würde herbeigelabert, und bei Zwischenrufen wird Totensonntag angeordnet.

      Die Endlösung der Dudenfrage schreitet hurtig voran; bis es aber soweit ist, wird noch kräftig Öl auf die Mühlen gegossen, und Wasser ins Feuer.

      1989

       Hoch die Mauer!

       13.8.89: Berlins nützlichstes Bauwerk wird 28 Eine notwendige Gratulation

      DIE ÄUSSEREN VORGÄNGE SIND BEKANNT. Alljährlich am 13. August, eingeladen und herbeigekarrt von der Gerhard Löwenthal-Gesellschaft für Menschenrechte, versammeln sich rechte Menschen am Checkpoint Charlie, klettern auf einen Aussichtsturm, zeigen mit dem Finger nach Osten und weinen sich die bzw. den weißen Westen nass. Auch am 13. August 1989, als die Sonntagsreden passenderweise an einem Sonntag gehalten wurden, kulminierte das turnusmäßig abgesonderte Gezeter von Berufsvertriebenen, dissidierten Dichtern, Jungunionisten aller Parteien, Ostfront- und Jubelberlinern, von Alt- und Neo-Nationalisten in diesem Wutgeheule:

      »Hier schießen Deutsche auf Deutsche!«

      Die ostentative Empörung dieses Satzes richtet sich dabei keineswegs gegen das »Schießen« als solches, sondern allein gegen die ethnische Verwandtschaft von Subjekt und Objekt: »Deutsche auf Deutsche!« und meint: anstatt gemeinsam, wie oft und gründlich eingeübt, mit (wieder)vereinten Kräften auf den schäbigen Rest der Welt, auf Russen, Polen, Tschechen, Briten, Franzosen, Türken und und und.

      Nein, wenn überhaupt geschossen werden muss, dann auf Deutsche, bzw. wenn von einem Deutschen noch jemals geschossen werden darf, dann nur auf seinesgleichen. In der Nationalen Frage, diesem Kalten-Krieger-Kaffee, der immer wieder und derzeit wieder einmal verstärkt aufgeheizt wird, in der Deutschen Frage gibt es zum umgekehrten Rassismus keine Alternative: Lieber möge sich »das deutsche Volk« in seiner Gesamtheit von dieser Erde herunterbefördern, als dass auch nur noch ein Angehöriger einer anderen Nation von einem Deutschen um sein Leben gebracht wird; lieber jeden Tag Schüsse an der deutsch-deutschen Grenze als noch ein wg. Ladendiebstahls erwürgter Asylbewerber in Schwaben oder noch ein einfach so erstochener Türke in Westberlin.

      Die Deutschen, also die, die sich sog. Stolz einbilden, Deutsche zu sein, gehören in Schach gehalten, notfalls mit Mauer und Stacheldraht. Lässt man sie von der Leine, tritt immer wieder dasselbe zutage: der Restverstand in den Grenzen von 1937. Der von Weizsäcker salonfähig gemachte Nationalismus wird dankbar aufgenommen auch von sich links empfindenden Menschen, die mal verklausuliert, mal offen nationale Selbstbestimmung fordern, von einem Paneuropäismus unter deutscher Führung träumen und ihre Expansionsgelüste bis zur letzten Ural-Tankstelle auf der Reichsautobahn schweifen lassen. Es gibt wenig Abstoßenderes als die Vorstellung einer Wiedervereinigung: noch mehr Deutsche, und alle auf einem Haufen. »Am Chauvinismus ist nicht so sehr die Abneigung gegen die fremden Nationen als die Liebe zur eigenen unsympathisch«, schreibt Karl Kraus; man kann Franzosen, Italiener, Briten, ja sogar Deutsche schätzen (ich habe nichts gegen Deutsche – einige meiner besten Freunde sind Deutsche), aber ein »Volk«, ein »Volksganzes«, einen »Volkskörper« niemals. Die Vierteilung Deutschlands 1945 war ein Schritt in die richtige Richtung; er hätte konsequent fortgeführt werden sollen statt schrittweise zurückgenommen.

      Die Mauer behütet nicht nur die Welt davor, an einem ungebremsten deutschen Wesen zu verwesen, sie schützt auch Honeckers Cordhütchen-Sozialismus vor dem Kneifzangengriff des Kapitals, und umgekehrt bewahrt sie die BRD und Westberlin vor Horden naturtrüber, säuerlich sächselnder DDRler mit Hang zu Billig-Antikommunismus und REP-Wählen – dergleichen gibt es hier schon im Übermaß. Mögen andere Nationen um nichts besser sein – diese ist die unsere; es gilt, zuallererst die eigene Vaterländerei zu hassen und zu verachten. Hierbei ist die Mauer wenn nicht edel, so doch hilfreich und gut.

      47 Tage vor ihrem Bau bin ich geboren, und gerne möchte ich mit ihr alt werden. Halten wir die Mauer hoch

      – sie kann gar nicht hoch genug sein.

      1989

       Wichtigmann Weihbreyschan

       Wie ich einmal Diedrich Diederichsen war

      ES WAR AN DIESEM ABEND IN BIELEFELD Mitte November, ich hing bei Kornfeld rum, dem Hardcore-Gitarristen, der sich als Hilfslehrer für

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